Mike Müller«Jetzt brauche ich mein Geld halt für die Pandemie statt fürs Kniegelenk»
Von Bruno Bötschi
18.3.2021
Von wegen nicht systemrelevant: Schauspieler Mike Müller spricht über die Bedeutung seines Berufs, die finanziellen Ausfälle im vergangenen Corona-Jahr und warum er trotz Grosserfolg seiner Youtube-Videos die Bühne vermisst.
Für Ihren Youtube-Kanal haben Sie mit Hanspeter Burri und Bauer Wermelinger zwei Ihrer Paraderollen in ‹Giacobbo/Müller› wiederbelebt. Warum?
Die Idee, einen eigenen Youtube-Kanal zu lancieren, gab es schon vor dem Lockdown. Anfangs dachte ich, ich würde bei mir zu Hause am Tisch sitzen, Kommentare zu irgendwelchen aktuellen Themen abgeben und mich dabei filmen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich das auch einmal tun werde. Der Lockdown sorgte dafür, dass das Projekt schneller als erwartet aktuell wurde.
Warum das?
Die Kulturbranche liegt wegen der Corona-Pandemie seit Monaten brach. Es gibt also genug Leute, die mir beim Realisieren der Videos helfen und mich mit dem technischen Support unterstützen können. In der Folge entschied ich, ein erstes Video mit meiner Bühnenfigur Hanspeter Burri zu drehen – ganz ohne Ambitionen, ausser meinen eigenen.
Die da wären?
Es muss ein guter Text sein – zumindest in meinen Augen.
Wermelinger ist Bauer. Und der Burri, was ist das eigentlich für ein Typ Mensch?
Keine Ahnung.
Wie bitte?
Man hat schon oft von mir verlangt, Hintergrundgeschichten zu meinen Bühnenfiguren zu schreiben. Ich weigerte mich immer standhaft und werde das auch weiterhin tun. Ich bin kein Fan von psychologisch ausgereiften Backstorys. Der Burri erklärt einfach Dinge und hält einen Vortrag.
Bauer Wermelinger beweist in seinem Corona-Video ‹Wermelingers Impfstoffe› grossartige Dichterkunst: ‹Frauen sterben, kein Verderben, Kuh verrecken, grosser Schrecken.› Wie reagieren die Schweizer Bäuerinnen und Bauern auf solche Kalauer?
Die Meinung von allen Schweizer Bäuerinnen und Bauern kenne ich natürlich nicht. Aber die paar Bauern, die sich direkt bei mir gemeldet haben, fanden das Video lustig. Aber natürlich gab es auch Leute, die sich über das Video aufgeregt haben, aber halt keine Bauern.
Manch einer Künstlerin, manch einem Künstler hat die Pandemie die Kreativität gründlich verdorben. Bei Ihnen scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Sie scheinen in den letzten Wochen neue Energie getankt zu haben?
Ich habe keine neue Energie gesammelt, aber ich konnte vielleicht meine Energie besser kanalisieren. Aber auch ich hatte in den letzten Monaten natürlich Tage, die nicht gut waren. Im ersten Lockdown war der Schock zudem noch etwas grösser, weil niemand wusste, ob die Kulturbranche wieder auferstehen wird. Heute weiss man, die Branche wird wahrscheinlich wieder aufstehen – aber sie wird möglicherweise nicht mehr so gut laufen wie vor der Pandemie. Das gilt aber nicht nur für die Kulturbranche, sondern auch für die Gastronomie, die Clubs, für die gesamte Unterhaltungsbranche. Wie es weitergehen wird, hängt eben nicht nur von den politischen Massnahmen ab, sondern auch davon, wie die Menschen darauf reagieren.
Sie sagen über sich selber, dass Sie eine Rampensau sind: Wie stark fehlt Ihnen die Bühne und das Publikum?
Für eine gewisse Zeit nicht auf der Bühne zu stehen, macht mir nichts aus. Was mir hingegen fehlt, ist die Normalität. Wir leben gerade in einer ereignislosen Zeit und das finde ich schwierig. Während des ersten Lockdowns wurde hierzulande zudem diskutiert, was alles systemrelevant ist. Kultur und Kunst sind es auf alle Fälle nicht. Es geht ja auch gut ohne uns (lacht).
Und ernsthaft?
Ach, ich will nicht klagen, aber klar fehlt mir die Bühne. Gleichzeitig kann ich mir natürlich als Autor meine Arbeit selber einteilen und das habe ich auch getan. Während des ersten Lockdowns im Frühling 2020 schrieb ich das Theaterstück ‹Erbsache – Heinzer gegen Heinzer und Heinzer›. Wir haben es auch schon geprobt und standen kurz vor der Premiere. Aber nach zwei Probeaufführungen vor jeweils 50 Leuten war wegen der zweiten Corona-Welle Schluss. Das Stück liegt jetzt quasi unter Verschluss und wartet auf seine Premiere. Ja, es ist wirklich gut, wenn diese ereignislose Zeit dann mal wieder vorbei ist.
Das ist schön. Aber man kann natürlich einen Auftritt in den sozialen Medien nicht mit einem Live-Erlebnis vergleichen.
Haben SRF oder CH Media schon angeklopft bei Ihnen für ein neues Comedy-TV-Format?
CH Media hat nicht angeklopft und mit den Verantwortlichen von SRF habe ich einmal gesprochen. Aber die müssen zuerst die entsprechenden Strukturen schaffen …
Wie viel Geld hat Ihnen Youtube bisher für Ihre Videos überwiesen?
Bisher noch nichts.
Wie sieht es sonst finanziell bei Ihnen aus? Wie gross waren die Ausfälle in den letzten zwölf Monaten?
Die Ausfälle sind gross. Aber es ist für alle schwierig und mir ist zudem klar: Unter den Kulturschaffenden gehöre ich zu den Privilegierten. Es ist jedoch nicht so, dass der Staat nicht Nichts macht für die Kulturschaffenden in unserem Land.
Haben Sie Ausfallentschädigung erhalten?
Ich habe verschiedene Entschädigungen erhalten, möchte da aber nicht weiter ins Detail gehen. Meine Schäden sind aber nicht zu 100 Prozent gedeckt worden und auch nicht zu 50 Prozent. Bei manchen meiner Gagen fände ich das als Steuerzahler aber auch sehr schlecht. Fakt ist: Den grössten Teil des Schadens zahlen wir Kulturschaffenden selber. Mich macht es deshalb auch madig, wenn es immer wieder heisst, der Staat könne nicht alles zahlen. Der Staat hat noch nie alles bezahlt, nicht annähernd und wird es auch nicht tun. Aber das verlangt auch niemand.
Von was leben Sie zurzeit?
Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten oft gut verdient und konnte deshalb eine Reserve aufbauen. Jahrelang dachte ich, ich würde dieses Geld irgendwann einmal für ein künstliches Kniegelenk oder eine neue Hüfte einsetzen. Jetzt brauche ich es halt für die Pandemie. Dafür geht es meinem Knien und den Hüften, zumindest im Moment, tipptopp.
Wie ist Ihre aktuelle Gefühlslage als Angehöriger einer Risikogruppe?
Risikogruppe? Sie meinen wegen meinem BMI? (lacht)
Genau.
Meine Angst an Corona zu erkranken war während des ersten Lockdowns grösser. In den letzten Monaten habe ich gelernt, mit dem Virus zu leben. Ob ich Risikogruppe bin oder nicht, finde ich dabei auch gar nicht so wesentlich. Wir alle leben mit Menschen zusammen und wir alle wollen niemanden anstecken, weil selbst scheinbar Gesunde ohne Vorerkrankungen brutal harte Covid-Verläufe erleben können. Ich habe das in meinem Umfeld erleben müssen und weiss: Das will niemand erleben.
Werden Sie sich impfen lassen?
Mit Sicherheit.
Den meisten Menschen ist in den letzten Wochen und Monaten irgendwann einmal wegen Corona der Humor abhandengekommen. Was hilft Ihnen, wenn Trübsal droht oder eine depressive Verstimmung?
Ich leide nicht an depressiven Verstimmungen, aber habe hin und wieder melancholische Anfälle. Depression ist ein Wort aus der Pathologie und wer je mit depressiven Menschen zu tun hatte, weiss, dass man mit dem Wort vorsichtig umgehen sollte. Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich mache das Gleiche wie viele andere auch.
Das wäre?
Das einfachste und gesündeste ist Bewegung und das Naheliegendste und sehr wirkungsvoll ist Alkohol. Ich fröne beidem.
Gleichzeitig?
Nacheinander (lacht).
Welchem öfter?
Der Bewegung.
Wermelingers Clip zum russischen Impfstoff Sputnik V war ja geradezu prophetisch. Wagen Sie eine Prognose, wann Sie wieder auf der Bühne stehen werden?
Nein, die wage ich nicht, denn meistens lag ich mit meinen Prognosen falsch. Als Komiker bin ich zudem nicht prädestiniert, Prognosen zu stellen.
Ein Osterhase hat viele Kalorien, deshalb steht heuer an Ostern ein Butterlämmli auf dem Tisch.
Butter hat auch viele Kalorien.
Aber davon isst man nicht so viel. Ein Osterhase ist von der Portionierung her ein hochproblematische Angelegenheit. Ein Osterhase gehört eigentlich nicht in die Läden, sondern in die Langstrasse auf den Schwarzmarkt.