Bötschi fragtPhilipp Langenegger: «Ich bin aus dem Helikopter abgestürzt»
Von Bruno Bötschi, Urnäsch
24.2.2021
Lange Zeit lebte Philipp Langenegger in Deutschland. Ein Gespräch mit dem Ausserrhoder Schauspieler über die Rückkehr in die Heimat, seine vier Buben und warum er sich trotz Corona die Laune nicht verderben lässt.
Das Gesicht von Philipp Langenegger, 44, kennen hierzulande möglicherweise ziemlich viele Menschen. Seinen Namen aber wahrscheinlich deutlich weniger. Das hängt damit zusammen, dass der Schauspieler lange Zeit in Köln und danach in Berlin gelebt und gearbeitet hat.
Angefangen hat jedoch alles ganz anders an: Der Schauspieler aus Urnäsch AR lernte einst Metzger. Heute sagt er über die damalige Zeit: «Ich hatte die Feinmotorik eines Muni und von der klassischen Literatur keine Ahnung.»
Na, dann legen wir doch gleich los mit unseren vielen Fragen.
Philipp Langenegger, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen – und Sie antworten möglichst schnell und spontan. Passt Ihnen eine Frage nicht, sagen Sie einfach ‹Weiter›.
Schiessen Sie los.
Bern oder Berlin?
In Bern wohnt ein Teil unserer Familie. Angi, meine Frau, ist dort aufgewachsen. Aber zum Arbeiten, also wenn ich wählen müsste, würde ich Berlin bevorzugen.
Urnäsch oder Köln?
Ich mag Köln sehr – besonders während des Karnevals. Ich liebe die Offenheit der Rheinländer und schätze gleichzeitig die Anonymität der Grossstadt.
Fernsehfilm oder Werbespot?
Fürs Image als Schauspieler ist ein Fernsehfilm besser, aber mir machen auch Werbespots Spass. In den letzten Jahren hat sich aber viel verändert: Vor 20 Jahren fand man, obwohl es viel Geld zu verdienen gab, oft nur mit Mühe Schauspieler für einen TV-Spot. Heute gibt es deutlich weniger Geld zu verdienen und es finden sich viel leichter Schauspieler, die bei einem Spot mitmachen.
Wann zuletzt einen schönen Kinoabend verbracht?
Seit dem Lockdown organisieren wir regelmässig Kinoabende daheim mit der Familie. Zum letzten Mal wirklich im Kino gewesen bin ich im vergangenen Jahr – zusammen mit einem Freund schaute ich «1917», den Kriegsfilm von Sam Mendes.
Zum Autor: Bruno Bötschi
«blue News»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.
Popcorn oder Chips?
Popcorn – das war früher schon so und heute noch viel mehr.
Warum?
Franz, unser zweitjüngster Bub, hat vom Chrischtchindli eine Popcorn-Maschine zu Weihnachten geschenkt bekommen. Seither esse ich fast jede Woche ein halbes Kilo Popcorn (lacht).
Wie bringt man den quatschenden Vordermann im Kino zum Schweigen?
Ganz klassisch mit einem lauten und deutlichen ‹Psst!›.
Ihre erste grosse Leinwandliebe?
Sharon Stone in ‹Basic Instinct›. Der Film sorgte mit einigen freizügigen Sexszenen für Furore und machte die Stone weltweit zum Sexsymbol – auch für mich.
Der Held Ihrer Jugend?
Chuck Norris. Lustigerweise erzählt Moritz, unser ältester Bub, ständig Norris-Witze. Als ich ihn kürzlich fragte, ob er wisse, wer Chuck Norris sei, antwortete er: ‹Keine Ahnung.› Ich erklärte ihm dann, dass Norris für mich während meiner Jugend ein ähnliches Vorbild war, wie Dwayne ‹The Rock› Johnson heute für viele Buben eines ist.
Netteste Erinnerung an Ihre Kindheit?
Meine Mutter und mein Vater gewährten mir viele Freiheiten. Ich konnte meistens tun und lassen, was ich wollte, spürte immer viel Vertrauen seitens meiner Eltern.
Sie sind ein Einzelkind?
Ja. Aber mein bester Kumpel Hansueli war wie ein Bruder für mich.
Eine Lehre, die Ihre Mutter Ihnen über Frauen mitgegeben hat?
Bevor du dich für eine Freundin entscheidest, begutachte immer auch ihre Mutter.
Speziell. Zum ersten Mal traf ich sie in Kroatien, wo sie seit einigen Jahren lebt. Angi und ich reisten damals in einem VW-Bus durch das Land und spielten Strassentheater. Kaum hatte ich Mami Kellenberger kennengelernt, spielte sie mit uns mit. Das war sehr lustig.
Eine Angewohnheit, die Sie von Ihrem Vater übernommen haben?
Schmatzen.
Welche politische Ansichten Ihrer Eltern waren Ihnen als Kind peinlich?
Politik war bei meinen Eltern kein grosses Thema. Dafür lief bei uns im Haus den ganzen Tag Radio DRS1 (heute SRF1, Anmerkung der Redaktion). Zu meinem grossen Ärger spielten die damals den ganzen Tag Ländler.
Sind Sie lieber dafür oder dagegen?
Dafür.
Im Bett schon einmal etwas erfunden?
Im Bett habe ich schon einige gute Geschichten erfunden – schon von klein auf. In der 6. Klasse mussten alle Schüler*innen ein Theaterstück erarbeiten. Als ich nach Hause ging, war ich nicht zufrieden mit meinem Stück. Irgendwann während der Nacht stand ich auf und schrieb eine neue Geschichte.
Lohnten sich die nächtlichen Überstunden?
Sehr sogar – nachdem ich am nächsten Morgen die Geschichte vor der Klasse vorgelesen hatte, wurde sie von meinen Mitschüler*innen und der Lehrerin zur besten der ganzen Klasse auserwählt.
Morgenmuffel – ja oder nein?
Nein. Das hat sicher auch mit meiner ersten Berufsausbildung zu tun …
Sie lernten ursprünglich Metzger.
Damals stand ich jeweils ab 4 Uhr morgens mit meinen Messern am Fliessband und musste von der ersten Minute an funktionieren.
Wann wachen Sie heute auf, wenn Sie sich keinen Wecker stellen?
8:30 Uhr.
Typische Philipp-Langenegger-Worte gleich nach dem Aufstehen?
Hast du in der Kaffeemaschine Wasser aufgefüllt?
Zum ganz schnell wach werden: kalte Dusche oder Koffein?
Koffein.
Singen im Bad?
Ich zaure.
Was ist das?
Ein Appenzeller Naturjodel ohne Worte.
Zur Freude der ganzen Familie?
Meine Auftritte im Bad werden ignoriert.
Immer wieder ein gutes Gefühl, in den Spiegel zu schauen?
Ja.
Eine Person, die Sie definitiv nicht am Frühstückstisch aushalten?
Arnold Schwarzenegger.
Das Medium, das Ihnen morgens schlechte Laune macht?
Radio SRF1.
Welche Hausarbeit machen Sie gern?
Den Boden feucht aufnehmen.
Lieber das Geschirr abwaschen oder abtrocknen?
Als Kind lieber abwaschen, heute lieber abtrocknen.
Wie viel Prozent der Aufgaben im Haushalt übernehmen Sie?
40 Prozent.
Haben Ihre Frau und Sie bezüglich Aufgabenteilung im Haushalt eine klare Abmachung?
Nein, es passiert alles intuitiv.
Die härteste Arbeit, die Sie je mit Ihren Händen getan haben?
Im Schlachthof eine Muttersau metzgen.
Bei was heben Sie den Finger: Eitelkeit oder Narzissmus?
Narzissmus.
Metzgerlehre, Territorial-Grenadier, Mitglied der Antiterror-Einheit der Schweizer Armee, Hausierer für Bücher, Schauspielschule: Ihr bisheriger Weg tönt einigermassen verrückt. Wie kam es zu dieser aussergewöhnlichen Berufskarriere?
Viele Menschen finden meine Berufskarriere spektakulär. Ich selber habe das nie so empfunden, weil sich einfach alles so ergeben hat. Wie viele andere Menschen gehe ich gern unterschiedlichen Interessen nach. Ich bin zudem ziemlich ehrgeizig. Nehme ich mir etwas vor, will ich es unter allen Umständen erreichen.
Ursprünglich wollten Sie Polizist werden.
Genau – wegen meinem Götti.
War er Polizist?
Ja. Mich beeindruckte sein Motorrad. Nachdem er mir ein Modell eines Töffs geschenkt hatte, war es um mich geschehen. Am Ende fehlte mir nur noch die letzte Prüfung, der sogenannte Psychotest. Dieser fand jedoch erst ein Jahr nach der eigentlichen Prüfung statt, weil die Kantonspolizei Zürich damals kurzfristig einen Einstellungsstopp erlassen hatte. Als ich damals nach Zürich gefahren bin, spürte ich bereits auf der Hinfahrt, dass mir irgendwie die Motivation abhandengekommen war – als ich dann die anderen Kandidaten sah, wurde mir klar: Das ist nicht mein Weg.
Sie arbeiteten danach als Vertreter, hausierten mit Büchern.
Ein brotloser Job, warnten mich meine Freunde. In den ersten zehn Tagen verkaufte ich kein einziges Buch. Monate später war ich einer der besten Verkäufer.
Sie lieben scheinbar das Extreme – zumindest bis 20. Was geschah damals?
Ich hatte einen Unfall, bin im Militär aus einem Helikopter abgestürzt.
Wie bitte?
Während eines Einsatzes sollte ich mich über einer Wiese abseilen lassen. Beim Herunterlassen rastete das Seil nicht richtig ein und ich fiel aus rund 30 Meter Höhe auf die Wiese. Glücklicherweise realisierte ich sofort, dass etwas nicht stimmt und konnte mich auf den Aufprall vorbereiten.
Was taten Sie?
Ich habe mich ganz klein gemacht, so wie ich das in der Ausbildung gelernt hatte, zudem wurde ich von einer Panzerschutzweste und dem Helm geschützt. Ich hatte viel Glück im Unglück, brach beim Aufprall nur zwei Rückenwirbel. Trotzdem war dies ein Zeichen für mich, einen Gang tiefer zu schalten.
Wer hat Ihnen als Erster abgeraten, Schauspieler zu werden?
Das weiss ich nicht mehr. Was ich hingegen nicht vergessen habe: Ich gab schon als Kind auf Hochzeiten und an Familienfesten komödiantische Einlagen zum Besten. Schauspieler werden war also schon sehr früh ein Wunsch von mir. Ich liebte es, Geschichten zu erzählen, aber – zumindest in Urnäsch – gab es damals noch kein Kindertheater, wo ich meine Fantasie hätte ausleben können.
Heute sind Sie als freier Schauspieler, Stand-up-Comedian, Moderator, Theaterlehrer und Szene-Netzwerker tätig, zudem betreiben Sie ein Kleintheater. Habe ich akzeptabel recherchiert oder irgendeine Berufsbezeichnung vergessen?
Ich habe zudem mit ein paar Freunden einen alten Brauch wiederbelebt, die ‹Narregmend›. Der Ausserrhoder Brauch wurde 1680 erstmals verboten und von uns nun wieder aufgenommen. An dieser Versammlung, am Tag nach der Landsgemeinde, wurde die Regierung von der einfachen Bevölkerung nach Lust und Laune durch den Dreck gezogen. Ich spiele dann jeweils den Chläppere Sepp, quasi den Hauptmann Ratsherr, und habe einen Stab vier Ratsherren dabei und ziehe über die Lokalpolitiker vom Leder. Und das Geile: Viele Politiker sind jeweils auf dem Platz und hören zu. Der Anlass findet jedes Jahr an einem anderen Ort statt. Bei dieser Volksbelustigung auf freiem Feld kommen bis zu 1000 Menschen zusammen.
Rückblickend nach 20 Jahren Tätigkeit als Schauspieler: Hat sich der ganze Ärger gelohnt?
Auf jeden Fall. Ich durfte in all den Jahren so vielen tollen Menschen begegnen, war an wunderbaren Projekten beteiligt und konnte mich immer wieder auf total Neues anlassen. Gleichzeitig hatte ich auch immer wieder Zeit. Ich darf mir schon seit Jahren die Zeit selber einteilen. Vielleicht würde ich mehr verdienen, wenn ich einem Beruf nachginge mit geregelter Arbeitszeit – aber dafür habe ich eben hin und wieder Zeit. Zeit haben ist ein Privileg. Zeit haben, mit den Buben eine Baumhütte zu bauen. Zeit haben, mit meiner Frau eine Wanderung zu machen. Das alles ist mir viel mehr wert, als in der Wirtschaft tätig zu sein und immer Vollgas zu geben.
Sind Sie besser, wenn ein Regisseur Sie quält? Oder wenn Sie quälen?
Wenn ich quälen kann.
Ihr dümmster Action-Unfall?
Da muss ich grad studieren … ich habe zwar schon einige Actionszenen gedreht, aber hatte zum Glück noch nie einen Unfall.
Mal im echten Leben eine Tür eingetreten?
Im echten Leben hatte ich schon ein paar Unfälle.
Erzählen Sie bitte.
Während der Metzgerlehre bin ich einmal auf dem Töffli eingeschlafen. Ich hatte früher die Angewohnheit, dass ich fast überall schlafen konnte. Zum Glück habe ich das heute nicht mehr.
Schon mal in eine Schlägerei verwickelt gewesen?
Es gab einige Momente, wo Schläge drohten, aber es ist nie passiert, ich konnte die explosive Situation immer noch entschärfen. In Australien ist mir einmal ein Skinhead nachgerannt mit einem Baseballschläger. Zum Glück habe ich wie Sie, Herr Bötschi (Anmerkung der Redaktion: 11.42 Sekunden über 100 Meter ist die Bestzeit des Interviewers), so schnelle Beine.
Wie schnell waren Sie nochmals über 100 Meter?
Das weiss ich nicht mehr.
Das glaube ich Ihnen nicht. Auf Ihrer Website philipplangenegger.com steht der Satz: ‹Er wurde Nationalturner im Steinstossen, Ringen, Turnen und Schnellauf und katapultierte sich schliesslich unter die schnellsten sechs Schweizer in der Distanz über 100 Meter.›
Der Text ist nicht von mir, er wurde von einem Kollegen von mir geschrieben.
Dann stimmt es gar nicht, dass Sie der sechstschnellste Schweizer waren.
Doch, das stimmt.
Wie schnell sind Sie gerannt?
Mit 15 lief ich 11.31 Sekunden über 100 Meter.
Ihr Lieblingsschimpfwort?
Himmelzack!
Sind Sie gut im Nichtsagen?
Auf der Bühne kann ich das ganz gut.
Und daheim?
Auch (lacht schallend).
Die Tageszeit, zu der Sie am zuversichtlichsten sind?
Gegen 22 Uhr.
Warum?
Dann sind die Buben im Bett und ich kann in die Sauna hocken.
Gegen welche Ängsten soll Sie Ihr Lachen schützen?
Mein Lachen schützt mich gegen dumme Menschen.
In der Öffentlichkeit scheinen Sie ständig gute Laune zu haben. Wann ist Ihnen das Lachen zum letzten Mal so richtig vergangen?
Grundsätzlich bin ich ein zufriedener Mensch und es braucht wirklich viel, bis mir das Lachen vergeht. Ehrlich gesagt, ich kann mich in diesem Moment nicht daran erinnern, wann dies das letzte Mal passiert ist.
Wann zum letzten Mal geweint?
Das ist auch schon lange her.
Wie viel schlechte Laune macht Ihnen das Coronavirus?
Wir können seit Monaten nicht mehr Theater spielen und, was noch viel schlimmer ist, die jungen Menschen können nicht weggehen. Gleichzeitig sage ich mir: Wir müssen durchhalten, den ich kann die Situation ja nicht ändern. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, geniesse ich die Zeit mit der Familie und hecke neue Ideen aus. Ich bin kein Jommeri. Ich bin ein Mensch, der auch in schwierigen Situationen versucht, das Gute zu sehen.
Nach einem Jahr Pandemie: Auf einer Skala von eins bis zwölf, wie verrückt ist die Welt gerade?
Bauchweh macht es mir eigentlich keines, denn ich kann, wie gesagt, die Situation nicht ändern. Wir mussten in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder Vorstellungen verschieben oder sogar absagen. Gleichzeitig weiss ich, dass wir in der Schweiz im Honigtopf leben. Viele meiner Kolleg*innen aus Deutschland oder Österreich sind viel schlimmer dran als wir. In der Schweiz wird die Kultur zumindest teilweise unterstützt, deshalb lasse ich mich nicht ins Bockshorn jagen. Gleichzeitig haben wir die vergangenen Wochen kreativ genutzt, um in der Stuhlfabrik einiges umzustellen. Unser Leitungsteam sitzt regelmässig zusammen und schaut, was möglich ist, was wir ändern sollten oder müssen, damit, wenn die Theater wieder aufgehen dürfen, wir sofort parat sind. Ich habe die Hoffnung, dass wenn 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung geimpft sind, sich die Situation rasch wieder normalisiert und die Kultur wieder aus dem Dornröschenschlaf erwachen wird.
Welches Gesicht hat das Böse?
Ein böses Gesicht kann Franz, unser zweitjüngster Bub, machen, wenn er hässig ist. Dann muss sich die ganze Familie sofort in Sicherheit bringen (lacht).
Und ernsthaft?
Wie schon erwähnt: Ich bin ein positiv gestimmter Mensch, auch wenn manchmal die Situation ziemlich auswegslos erscheinen mag.
So grundsätzlich: Wie fühlt sich das Leben ohne Bühne und ohne Applaus an?
Ich habe das Glück, dass meine Frau und meine Buben mir täglich applaudieren.
Und Sie klatschen für Ihre Familie auch täglich?
Ständig. – Aber ich kenne Kolleg*innen, die in den letzten Wochen und Monaten in ein ziemliches Tief gefallen sind. Ich darf mich glücklich schätzen, dass ich so eine wunderbare Familie habe. Deshalb ist mir der Applaus gar nicht so wichtig. Ich habe zudem das Glück, dass bei mir diverse Projekte weitergelaufen sind. Ich konnte Radiospots vertonen und durfte mit meinen beiden jüngsten Buben einen TV-Spot drehen.
Dann geht es Ihnen wirtschaftlich gar nicht so schlecht?
Wirtschaftlich geht es mir nicht gut, künstlerisch hingegen schon. Während des ersten Lockdowns im Frühling 2020 habe ich jede Woche für die Alters- und Pflegeheime in der Region einen Film gedreht. Das war eine tolle Erfahrung. Ich bin jetzt 20 Jahre als Schauspieler tätig. In dieser Zeit gab es immer wieder Momente, in denen es wirtschaftlich nicht besonders gut lief. Ich bin einiges gewohnt – gleichzeitig lebt unsere Familie nicht auf grossem Fuss.
Wenn die Welt in 365 Tagen untergehen würde – was wäre dann Ihre Aufgabe? Sie dürfen allerdings keinen Baum pflanzen.
Unsere Familie plante, in diesem Winter fünf Monate in Neuseeland zu leben. Die Kinder wären dort in die Schule gegangen. Der Virus hat uns jetzt leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich war 1997 mehrere Monate in Sydney. Ja, wenn die Welt in einem Jahr untergehen würde, würde ich mit meiner Familie für ein paar Monate auf die andere Seite der Welt reisen.
Heimat – was bedeutet das für Sie?
Heimat ist dort, wo die eigenen Wurzeln sind. Und ich glaube, weil ich viele Jahre in Köln und Berlin gelebt habe, lernte ich meine Heimat wieder mehr schätzen.
Wenn wir einen halben Tag Zeit hätten, was würden Sie mir im Ausserrhodischen unbedingt zeigen wollen?
Dann würde ich mit Ihnen aufs Spitzli wandern, dass ist sozusagen der Hausberg von Urnäsch.
Wo ist die Schweiz am allerschönsten?
Im vergangenen Jahr bin ich mit dem Velo am Genfersee entlanggefahren. Das war toll. Aber unser Land ist fast überall schön. Und ich mag, wie gesagt, das Spitzli. Im Sommer lege ich mich hin und wieder dort oben ins Gras und geniesse Ruhe und Aussicht. Das ist wunderschön.
Trotzdem sind Sie um die Jahrtausendwende nach Deutschland ausgewandert, um das Schauspiel zu lernen. Warum?
Das Weggehen war auch eine Flucht.
15 Jahre später kamen Sie mit Frau und vier Buben zurück und kauften an Ihrem Geburtsort in Urnäsch ein Haus. War das Heimweh stärker?
Ich gebe zu, die Rückkehr ist mir vor fünfeinhalb Jahren nicht leichtgefallen. Man sagt ja, wenn ein Mensch zehn Jahre weg war, kommt er nicht mehr zurück. Aber für mich gingen damals in der Schweiz einige Türen auf und mir wurde klar: Entweder gehe ich durch diese Türen durch oder ich gehe nicht mehr heim. Und so ganz grundsätzlich gesagt: Da, wo ich bin, bin ich gern.
Manchmal Fernweh nach Berlin?
Ja. Ich mag deutsche Grossstädte sehr.
Berlin gilt, zumindest bis vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, als die Partystadt. Haben Sie in der deutschen Metropole die Nacht auch hin und wieder zum Tag gemacht?
Als meine Frau und ich noch nicht Eltern waren, waren wir ab und an länger unterwegs. Die krassesten Partys habe ich in Köln erlebt – wenn dort Karneval ist, gehen die Menschen nicht ins Bett.
Verrückteste Erinnerung an Alkohol?
Das war in Amsterdam, als ich mit einem Freund nicht nur Alkohol trank, sondern auch noch einen Space-Cookie gegessen habe. Irgendwann wurde mein Kollege immer langsamer und ich habe mich scheinbar nur noch im Kreis gedreht. Als wir irgendwann doch noch zurück ins Hotel gefunden hatten, wollte mein Kollege den Urnäscher Dorfdoktor anrufen.
Warum das?
Er dachte, er komme von seinem Flash nicht mehr runter. Zum Glück hat er es nicht gemacht.
Wo trinkt man am besten?
Daheim – am liebsten trinke ich ein Quöllfrisch-Bier oder meinen selbst gemachten Gin.
Was mögen Sie an den Deutschen besonders gern?
Ich mag ihre direkte Art und ihre Unkompliziertheit. Ja, ich mag die Deutschen sehr.
Was weniger?
Die deutschen Touristen, die im Appenzellerland unterwegs sind, benehmen sich manchmal ziemlich mühsam.
Welche Eigenschaften der Ausserrhödler geht Ihnen ab und zu auf den Wecker?
Ich finde, dass ich in einem liberalen Schweiz Kanton lebe, und deshalb will ich mich nicht beklagen.
Wer alles kennt das Geheimnis des Appenzeller Käses?
Ich glaube, nur zwei oder drei Personen.
Welche natürlichen Gaben möchten Sie gern haben?
Toll wäre es, wenn ich in die Zukunft schauen könnte.
Was würden Sie als König der Schweiz tun?
Die ganze Schweiz autofrei machen.
Wenn Sie ein Baum sein könnten, welcher möchten Sie sein?
Eine Fichte.
Wenn Sie eine Blume sein könnten, welche möchten Sie sein?
Ein Enzian.
Welches Geräusch oder welchen Sound können Sie nicht ertragen?
Wenn Moritz, unser ältester Bub, extra mit seiner Gabel auf dem Teller kratzt.
Was verabscheuen Sie am meisten?
Ungerechtigkeit.
Sie werden im Mai 45. Wie stehen Sie zum Älterwerden?
Ich habe das Gefühl: Je älter ich werde, desto spannender wird das Leben.
Ihr übelstes körperliches Gebrechen?
Das Kreuz meldet sich ab und zu, ich sollte mehr Dehnungsübungen machen
Ihr übelstes mentales Gebrechen?
Keines.
Was soll man Ihnen später einmal nachsagen?
Er hat vier coole Buben durchgebracht. Für ihn die Hölle, für die Nachwelt eine Bereicherung.
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