Schluss mit Missverständnissen Hä? Warum wir Vorwürfe hören, die gar keine sind

Von Sulamith Ehrensperger

16.4.2021

Erst nach einigen Missverständnissen und Umwegen finden Maria und Florian Behringer in der Fernsehserie «Die glückliche Familie» wieder zueinander. Als die Eltern der Familie traten Siegfried Rauch und Maria Schell in ihrer einzigen Serien-Hauptrolle auf.
Erst nach einigen Missverständnissen und Umwegen finden Maria und Florian Behringer in der Fernsehserie «Die glückliche Familie» wieder zueinander. Als die Eltern der Familie traten Siegfried Rauch und Maria Schell in ihrer einzigen Serien-Hauptrolle auf.
Bild: kpa/United Archives via Getty Images

Nur weil jemand etwas sagt, heisst das noch lange nicht, dass er es auch so meint. Mit einer simplen Frage kann man Missverständnisse umgehen. Wie das geht, erklärt ein Kommunikationsprofi.

Von Sulamith Ehrensperger

16.4.2021

Herr Grimm, Sie haben über ein Wort – das nicht mal «Hä» ist, wie der Titel vermuten lässt – ein über 200-seitiges Buch geschrieben. Wie ist das möglich?

(lacht) Das habe auch ich mich ganz lange gefragt. Während des ersten Lockdowns muss ich wohl so verzweifelt gewesen sein, dass ich das Unmögliche wahr machte. Die Methodik der Ein-Wort-Rückfrage-Methode, die ich in meinem Buch «Hä» beschreibe, steht stellvertretend für die Grundhaltung, dass man sich für den Menschen, der mit einem spricht, interessiert.

«Hä?» hätten wohl viele Eltern und Lehrer gern aus dem Sprachschatz verbannt. Wie kann ein Wort, das eher mit Unhöflichkeit konnotiert ist, helfen, besser zu kommunizieren?

«Hä?» ist es natürlich nicht, um das es in meinem Buch geht, doch es ist schon sehr nah dran. Die Ein-Wort-Rückfrage-Methode hilft zu klären, was der Sender wirklich beabsichtigt hat. Die Methodik besteht darin, dass man aus der Botschaft des Senders ein ganz bestimmtes Wort auswählt, das man als das entscheidende Wort erachtet, und dieses in eine Rückfrage einbettet. Das ist alles.

Zur Person: Bernhard Grimm
Bernhard Grimm
zVg

Seit über dreissig Jahren begleitet Bernhard Grimm als Trainer und Coach Menschen und Firmen in ihrer kommunikativen Entwicklung. Zu seinen Kunden zählen internationale Grosskonzerne und regionale KMU. Grimm ist Speaker und Autor von mehreren Büchern, unter anderem von «Hä? Die Ein-Wort-Rückfrage-Methode».

Das tönt fast zu gut, um wahr zu sein. Warum funktioniert das?

Nur ein Wort zu wiederholen, tönt auf den ersten Blick banal. Manche haben auch den Eindruck, dass das komisch wirken oder nicht funktionieren kann. Was Sie aber auslösen mit dieser Methodik ist, dass Sie Ihrem Vis-à-Vis dadurch zeigen, dass Sie zuhören und sich fürs Gegenüber interessieren. Das geht runter wie Öl, deshalb funktioniert das auch so gut.

Die Ein-Wort-Rückfrage-Methode soll auch dabei helfen, Missverständnisse abzubauen – wie genau?

Sicher ist es Ihnen in einer Diskussion auch schon passiert, dass Sie sich angegriffen fühlten. Manchmal braucht es nicht mal einen klassischen Vorwurf, es reicht eine einfache Frage. Zum Beispiel: Beim Kochen streut die Ehefrau noch ein bisschen Petersilie über den Kartoffelstock, der Mann fragt: «Was ist das Grüne da?» Das kann schon dafür reichen, dass die Frau meint, es sei ein Vorwurf. Mit der Ein-Wort-Rückfrage-Methode kann sie das sofort klären. Dieses Nachfragen hilft, Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen, und das Leben ein bisschen zu vereinfachen, indem man nicht alles persönlich nehmen muss.

Missverständnisse haben nur selten positive Folgen und sollen auch schon zum Flugzeug-Absturz geführt haben. Warum gibt es so viele Missverständnisse?

Sie sind absolut menschlich. Die wenigsten Missverständnisse führen zu Katastrophen. Es geht aber immer dann ans Läbige, wenn man meint, man habe etwas so oder so verstanden und seine Antwort oder Reaktion danach richtet. Missverständnisse entstehen also, wenn man nicht aufeinander hört, wenn man meint, zu verstehen, was jemand sagt, oder wenn man vorschnell entscheidet, mit welchem Bild man es zu tun hat.

In welchen Lebenslagen passieren am meisten Missverständnisse?

Wahrscheinlich ist es so, dass es in der Partnerschaft mehr Missverständnisse geben kann als im Beruf. Der Partner ist einem im besten Fall immer die nächste Person – da hört man besonders gut hin, wenn jemand etwas sagt und ist wahrscheinlich auch sensibler in der Interpretation. Die Ein-Wort-Rückfrage-Methode habe ich entwickelt, damit man ganz einfach herausfinden kann, was der Kunde wünscht. Sie funktioniert aber genauso im Privaten.

Bitte geben Sie uns noch ein Beispiel aus dem privaten Umfeld.

Sie haben ein neues Rezept für eine Salatsauce ausprobiert und Ihr Partner meint dazu: «Schatz, die Sauce schmeckt komisch.» Was haben Sie verstanden? Die meisten werden hier wohl einen Vorwurf raushören, schliesslich ist man ja für die Sauce verantwortlich. Interessanterweise ist eine Äusserung wie «komisch» zuerst einfach nichts anderes als eine Meinung oder eine Interpretation. Es sind wir selber, die in der Regel eine solche Äusserung viel zu schnell als einen Vorwurf empfinden.

Wie reagieren Sie, wenn Ihre Frau Ihre Kochkünste nicht erwartungsgemäss goutiert?

Ich löse solche Situationen mittlerweile konsequent mit Nachfragen. Meine Frau übrigens auch. Entscheidend bleibt, dass ich sicherstelle, dass das, was ich gerade gehört habe, auch das ist, was meine Partnerin gesagt hat. Das mit der Salatsauce ist übrigens ein absoluter Klassiker. Ebenso, wenn man in einer Beiz fragt, ob man den Koch sprechen könnte. Dann bekommen Sie garantiert die Antwort: Ist das Essen nicht gut? Dabei wollte man sich vielleicht nur fürs gute Menü bedanken.

Warum verstehen wir oftmals etwas als persönlichen Angriff?

Das Muster, dass man schnell etwas persönlich nimmt, hat verschiedene Ursprünge. Der eine Grund ist die eigene Erziehung, ein anderer, dass wir Menschen grundsätzlich Negatives vermeiden wollen und daher besonders sensibel auf potenziell Negatives reagieren. Es ist eine Überlebensstrategie, die sagt, bevor du auf etwas reagierst, schau, ob es für dich gefährlich sein könnte. Das ist an und für sich sinnvoll. In der Kommunikation führt es aber dazu, dass wir Gras wachsen hören, wo gar kein Gras wächst.

Besonders interessant finde ich, dass bestimmte Worte viel über das Gegenüber verraten können. Was hat es mit diesen Trigger-Wörtern auf sich?

Ein Trigger ist in der Psychologie nichts anderes als ein Auslöser für bestimmte Emotionen oder Reaktionen. Es gibt auch Trigger-Wörter, die ich verwenden kann, um Leute zu beeinflussen. Umgekehrt sagen sie auch sehr viel über die Personen aus, die diese verwenden. Es sind wertvolle versteckte Botschaften wie zum Beispiel: immer, nie, schon wieder, jedes Mal. Solche Trigger-Wörter sollten immer nachgefragt werden.

Was können wir da rauslesen?

Nehmen wir an, jemand sagt zu Ihnen: «Du kommst immer zu spät.» Das können Sie als Vorwurf auffassen – was auch die meisten so interpretieren würden – und Sie würden sich rechtfertigen und erwidern: «Das stimmt nicht.» Sie hätten wohl sogar recht, weil es sicher Situationen gab, in denen Sie pünktlich waren. Dies zu diskutieren, hat also keinen Sinn. Viel spannender ist es, zu schauen, warum das Gegenüber das so empfindet und nachzufragen «Wie meinst du das genau?» oder eben mit der Ein-Wort-Rückfrage. Das Gegenüber wird dankbar sein, dass Sie nachfragen und wird Ihnen seine Motive mitteilen. Mit dem Nachfragen wechseln Sie in die sogenannte partnerzentrierte Kommunikation. Sie kümmern sich um die Motive Ihres Gegenübers und nicht um Ihre persönliche Rechtfertigung. Und das wirkt Wunder.

Warum fragen wir eigentlich so wenig nach?

Wir haben gelernt, immer dann zu fragen, wenn etwas nicht klar ist. So sind wir erzogen worden. Das impliziert jedoch automatisch auch die Haltung: Wenn ja alles klar ist, muss ich nicht nachfragen. Wenn ich eine Botschaft höre, liefert mir mein Unterbewusstsein in einer Tausendstelsekunde eine Übersetzung von dem, was gesagt wurde. Passe ich hier nicht auf, reagiere ich also auf das, was ich gehört habe, aber niemand gesagt hat. Diese Übersetzung wird dann zu meiner Wahrheit, und es gibt keinen Grund, diese zu hinterfragen, da ja alles klar ist. Doch es scheint eben nur klar. Dazu folgende Frage: Welche Farbe hat eine gelbe Zitrone, wenn Sie sie durch eine Brille mit blauen Gläsern betrachten?

Grün?

Ja, das ist nachvollziehbar, Gelb und Blau gibt Grün. Die Farbe der Zitrone ist faktisch natürlich immer noch gelb. Doch was gilt jetzt? Grün ist die Wahrnehmung durch die blauen Brillengläser. Wenn Sie diese Wahrnehmung jetzt nicht hinterfragen, wird die grüne Zitrone automatisch zu Ihrer Wahrheit. Wenn wir also glauben, alles sei klar, heisst das noch lange nicht, dass es auch wirklich klar ist. Wir reagieren daher sehr oft nicht auf das, was jemand gesagt hat, sondern auf das, was wir glauben gehört zu haben. Im Fall der gelben Zitrone hilft, ganz einfach, die Brille abzunehmen. Dafür müssten Sie sich aber erst einmal bewusst werden, dass Sie die Welt immer durch Ihre persönliche Brille sehen.


Bibliografie: «Hä? – Die Ein-Wort-Rückfrage-Methode», von Bernhard Grimm, 2. Auflage mit Zusatzkapitel, erschienen im Werd & Weber Verlag, 29 Franken