Kolumne «Mami, du hast mir nichts zu sagen, Zuhause ist Papi der Chef»

Mara Ittig

3.3.2018

Wenn der Vater der Boss ist, was ist dann die Mutter?
Wenn der Vater der Boss ist, was ist dann die Mutter?
Bild: Getty Images

«Du hast mir nichts zu sagen! Papa bringt das Geld nach Hause. Er ist der Chef bei uns.» Wie bitte? Bestürzt sitze ich meinem siebenjährigen Sohn gegenüber. Hat er das wirklich gesagt? Und schlimmstenfalls sogar gemeint?

Es war seine Reaktion auf meine Ansage, bei uns zu Hause wolle ich «so ein Wort» nicht hören.

Und sie schockiert mich. Ich gerate ins Grübeln,  frage mich, woher ein Erstklässler so ein Weltbild hat. Klar, mein Mann arbeitet 100 Prozent, ich seit der Geburt unseres ersten Sohnes «nur» 60 Prozent – eine Aufteilung, die in vielen Schweizer Haushalten die Norm und vielleicht nicht in allen Belangen ganz gleichberechtigt ist. Das heisst aber keineswegs, dass bei uns der Mann der Boss ist, der nach getaner Arbeit die Füsse hochlegt und sich die Pantoffeln ans Sofa bringen lässt (ich hoffe, dass es das überhaupt gar nirgendwo mehr gibt).

Wenn er am Abend nach Hause kommt, räumt mein Mann erst mal die Legosteinli und Auto-Kolonnen aus dem Weg, ich koche – er macht danach den Abwasch. Beim bringen und holen der Kinder in KiTa und Hort wechseln wir uns ab. 

Das glitzernde Tutu als persönliche Grenze

Wir verstehen uns als Paar auf Augenhöhe. Niemand ist der Chef. Wieso also meint mein siebenjähriger Sohn, dass der Papa der Boss ist? Und was bin dann ich? Und sowieso: Wieso soll derjenige mit mehr Geld automatisch das Sagen haben? Aber das ist eine andere Baustelle.

Wir geben uns Mühe, unsere beiden Söhne so gross zu ziehen, dass sie mit möglichst wenig einengenden Stereotypen aufwachsen, ihren Interessen unabhängig vom Geschlecht nachgehen können.

Der 4-Jährige will gerne ein Röckli anziehen wie seine Freundinnen? Kann er gerne (obwohl er mich in der Kinderabteilung einer grossen Bekleidungskette an meine Grenzen brachte, als er sich ein glitzerndes Tutu aussuchte, das ich ihm zu meiner Schande auch nicht gekauft habe — er hat jetzt ein schwarz-weisses Kleid).

Die beiden Jungs wollen sich gemeinsam mit mir die Zehennägel pink anmalen? Von mir aus. Sie haben beide ein Bäbi, das wir abends auch mal ins Pyjama stecken und das im Buggy unter unseren Esstisch «in die Ferien» gefahren wird.

Genderneutral: Der heilige Gral?

Von den leidigen Gender-Schubladen können wir uns natürlich dennoch nicht völlig frei machen. Ganz automatisch drängen wir unsere Kinder immer mal wieder unbewusst in eine Mädchen- oder Buben-Ecke.

Wir finden es normal, dass Jungs wild und laut sind und Mädchen gerne malen und bäbelen. Wir kaufen unseren Söhnen von Geburt an blaue Strampler und Nuggis mit kleinen Fussbällen drauf. Ich habe Freundinnen, die ihre Töchter bereits im Säuglingsalter nur rosafarben einkleideten und das kaum vorhandene Haar mit Mäscheli und Spängeli malträtierten, aus lauter Angst, der kleine Mensch könne sonst für einen Buben gehalten werden. So what?

Pinke Rössli sind für Mädchen -  klare Sache. Zumindest wenn es nach der Spielwarenindustrie geht. 
Pinke Rössli sind für Mädchen -  klare Sache. Zumindest wenn es nach der Spielwarenindustrie geht. 
Getty Images

Und ganz ehrlich: Kaufen Sie einem Baby oder Kleinkind mal etwas, das nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet ist. Da können Sie sich genauso gut auf die Suche nach dem heiligen Gral machen.

Geschlechtsneutrales für Kinder scheint auf dem absteigenden Ast zu sein: Seien es nun Kleider, Spielsachen, Filme, Kinderbücher, ja sogar Lego – alles ist entweder ganz eindeutig pink oder blau. Männlein oder Weiblein. Star Wars oder Elsa. Rüschen oder Dinosaurier.

Schaut unser älterer Sohn in der Adventszeit jeweils Spielzeugkataloge durch, um sich für seinen Wunschzettel inspirieren zu lassen, ruft er auf jeder 2. Seite: «IIh, das ist für Mädchen!» und blättert schnell weiter, bis er zu einer Seite gelangt, die – ganz eindeutig – für sein Geschlecht bestimmt ist.

Ich kann es ihm irgendwie nicht verübeln, dass er sich für rosafarbene Plastik-Waschmaschinen (ich meine, ernsthaft jetzt??) und gruselige Schmink-Köpfe nicht so recht begeistern kann. Das wäre aber auch bei einem Mädchen der Fall.

Sogar die Pflanzen haben ein Geschlecht

Auch die Lieblingsfilme und -Fernsehserien meiner Söhne zementieren ein Geschlechterbild, das direkt aus den 50er-Jahren kommt. Die Männer sind stark, mutig und - ganz eindeutig - in der Hauptrolle. Die weiblichen Figuren hingegen sind sanfte Wesen mit wallendem Haar, das ihnen bis zur Taille reicht und ansonsten vorallem eins: ziemlich passiv. Die Handlung käme auch ohne sie aus.

Sogar in Serien, in denen Tiere die Hauptrolle spielen, kommt auf neun männliche Protagonisten gerade mal eine einzige weibliche Hauptfigur. Laut einer Studie der Uni Rostock sind sogar die meisten Pflanzen in Kinder-Formaten männlich. Echt jetzt?

Väter sollen nicht basteln müssen

Von Film- und Spielzeugindustrie darf ich schon mal keine Schützenhilfe erwarten. Auch im weiteren Umfeld beisse ich auf Granit: Im Abschlusstheater der Kita spielen sämtliche Mädchen Prinzessinnen, die von einem bösen Drachen bedroht werden. Es braucht den Einsatz der Jungs, die sie als heldenhafte Ritter aus den Klauen des Ungeheuers befreien. Selber sind sie offenbar nicht in der Lage, sich zu wehren. Ist das wirklich das Weltbild, das wir unseren Kindern mit auf den Weg geben wollen?

Am Besuchstag im Kindergarten sollen ganz explizit die Mütter mit den Kindern etwas basteln, den Vätern (die in der Unterzahl, aber durchaus anwesend sind) wird das Hantieren mit Kinder-Scheren und filigranen Bastelutensilien offenbar nicht zugemutet. Wahrscheinlich wird ihnen hoch angerechnet, dass sie überhaupt erschienen sind, da sollen sie nicht auch noch basteln müssen.

Uns ist natürlich nicht entgangen, dass sich unsere Söhne auch von Haus aus für Buben-Sachen interessieren: Fussball, Autos, Bagger, Dinosaurier. Und natürlich ist es ok, wenn Jungs gerne Fussball spielen und die Namen aller Dinosaurier-Unterarten und Automarken kennen, weil sie das fasziniert.

Wer hat denn nun die Hosen an?

Es ist aber nicht ok, wenn sie denken, dass Männer automatisch aufgrund ihres Geschlechts der Chef sind. Und es ist auch nicht in Ordnung, wenn sie ihren Interessen nicht frei nachgehen können, weil sie das Gefühl haben, damit irgend einer Norm, wie Buben sein sollen, nicht zu entsprechen.

Da stehe ich nun also als einzige Frau in diesem Männerhaushalt und versuche, meinen Söhnen zu vermitteln, dass Frauen und Männer gleichwertig (nicht gleich) sind und dass auch Männer Kranke pflegen und Frauen schwere Maschinen steuern können. Dass auch Jungen in der Puppenecke und Mädchen mit Bauklötzen spielen können – wenn sie das wollen. Aber ich merke: Das ist ein Kampf gegen Windmühlen.

Trotzdem, ich mag nicht passiv sein wie ein Trickfilmmädchen. Es ist mir wichtig, meine Jungs zu starken und selbstbewussten Wesen zu erziehen, denen mehr als nur eine blau oder pink gelabelte Welt offen steht. Dazu braucht es viele Gespräche, eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vorbildfunktion und ein ständiges Hinterfragen von etablierten Rollenmustern.

Das ist manchmal zwar ganz schön anstrengend, aber oft auch ziemlich befreiend. Und so hat auch unser Sohn jetzt begriffen, dass bei uns zu Hause die Mama genauso die Hosen anhat wie der Papa.

Oder eben beide auch ein Röckli tragen könnten.

Dieser Beitrag ist zuvor bereits auf dem Blog Anyworkingmom erschienen. 

Mara Ittig ist Lifestyle-Redaktorin und beschäftigt sich beruflich vor allem mit Dingen, die das Leben schöner machen. Als Mutter zweier Söhne muss sie sich des Öfteren mit Fragen auseinandersetzen, die zwar wichtig, aber nicht immer angenehm sind. Sie freut sich, dass sie bei der Arbeit ihre Mädchen-Seite ausleben kann, während sie zu Hause auch mal raufen und Fussball spielen darf.
Mara Ittig ist Lifestyle-Redaktorin und beschäftigt sich beruflich vor allem mit Dingen, die das Leben schöner machen. Als Mutter zweier Söhne muss sie sich des Öfteren mit Fragen auseinandersetzen, die zwar wichtig, aber nicht immer angenehm sind. Sie freut sich, dass sie bei der Arbeit ihre Mädchen-Seite ausleben kann, während sie zu Hause auch mal raufen und Fussball spielen darf.
Bild: zVg
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