Kolumne Eltern, steckt Eure Handys weg!

Von Marianne Siegenthaler

16.9.2019

Niemand zwingt uns, stänndig aufs Handy zu starren. Erst recht, wenn es Wichtigeres gibt. Beispielsweise ein Baby, das sich mit Mami oder Papi austauschen will. (Symbolbild)
Niemand zwingt uns, stänndig aufs Handy zu starren. Erst recht, wenn es Wichtigeres gibt. Beispielsweise ein Baby, das sich mit Mami oder Papi austauschen will. (Symbolbild)
Bild: Getty Images

Eine Hand am Kinderwagen, die andere am Handy und der Blick aufs Display – und wer interessiert sich für das Kind?

Kürzlich im Café: Eine junge Frau sitzt mir gegenüber, trinkt Cappuccino und wischt auf ihrem Handy herum.

Nichts Besonderes also. Doch neben ihr steht ein Kinderwagen. Darin höckelt ein etwa einjähriges Kind. Es schaut zu seiner Mutter. Diese lächelt.

Nein, nicht dem Kind zu, ins Handy. Hat ihr wohl grad jemand ein lustiges Katzenfilmli geschickt. Oder sie freut sich über ein Whatsapp ihrer Yogagruppe. Oder die Bestellung bei Zalando ist unterwegs. Was auch immer.

Mami reagiert nicht

Jedenfalls greift das Kind einen Plastikspielring und schmeisst ihn aus dem Wagen. Pling! Das Ding scheppert auf den Boden. Mami reagiert nicht. Sie wischt auf dem Handy.

Das Kind nimmt den Nuggi aus dem Mund und wirft ihn weg. Keine Reaktion.

Jetzt brüllt das Kleine lautstark los. Sichtlich unwillig löst Mami kurz den Blick vom Handy, um die Lage zu checken. Sie legt den Spielring in den Kinderwagen, schiebt dem Kind wortlos den Nuggi in den Mund und wendet sich wieder ihrem Smartphone zu. Worauf das Ganze von vorn beginnt.

Handy stört Bindung

Offenbar ist manchen Eltern – ja, ähnliche Szenen wie die beschriebene können auch mit männlicher Besetzung beobachtet werden – nicht bewusst, dass Babys und Kleinkinder Blickkontakt suchen und brauchen für den Beziehungsaufbau.

Bonding nennt man das auch, und das Handy ist da ein echter Störfaktor. Gut möglich, dass es dem Kind aus der Szene oben später einmal geht wie diesem Mädchen, das seinen Unmut über den Handygebrauch seiner Mutter in einem Aufsatz äusserte.  Die Lehrerin veröffentlichte den Text auf Facebook, der daraufhin Tausende Male geliked wurde.

Smartphone-Sucht der Eltern

Dass Mütter und Väter besonders häufig aufs Handy starren, wurde inzwischen auch wissenschaftlich bestätigt. Mütter sind gemäss einer Studie von Flurry Analytics in der Gruppe der Smartphone-Süchtigen zehnmal stärker vertreten als in der gesamten Smartphone-Nutzergruppe. Väter immerhin noch siebenmal so häufig.

Machen Kinder Smartphone-süchtig?

Manche Experten vermuten, dass das Handy Eltern aus ihrer Isolation – alleine zuhause mit dem Kind – befreien und sie zumindest virtuell am Leben teilnehmen lässt.



Also indem sie mit anderen per Whatsapp plaudern, Bilder vom Kleinen auf Instagram hochladen oder auf Facebook sehen, wo Freunde grad ihre Ferien verbringen. Das hat schon ein gewisses Suchpotenzial, zumal der Austausch mit einem Baby oder Kleinkind auch nicht immer rasend spannend ist.

Es gibt Wichtigeres

Trotzdem: Die Art und Weise, wie wir mit dem Smartphone umgehen, können wir selber steuern. Niemand zwingt uns, ständig aufs Handy zu starren. Erst recht, wenn es Wichtigeres gibt. Beispielsweise ein kleines Kind, das sich mit Mami oder Papi austauschen will.

Marianne Siegenthaler ist freie Journalistin und Buchautorin. Wenn sie grad mal nicht am Schreiben ist, verbringt sie ihre Zeit am liebsten im, am und auf dem Zürichsee.

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