Interview zum Veloboom«E-Biken verändert den Lebensstil fundamental»
Von Sulamith Ehrensperger
27.8.2020
Der Trend zum Velo mit Elektroantrieb hat durch die Corona-Krise noch einmal so richtig Schub bekommen. Ein Gespräch über Rückenwind, Tempo und Tücken mit Daniel Meyer, der E-Bikes mit visionärer Kraft entwickelt.
Daniel Meyer, Sie sind Geschäftsführer und Co-Gründer von EGO Movement. Erinnern Sie sich, als Sie zum ersten Mal Elektrovelo gefahren sind?
Ja, das ist schon über 10 Jahre her. Das war ein wahnsinniges Gefühl. Wenn ich heute fahre, empfinde ich noch immer diese Freiheit so wie am ersten Tag.
Damals waren E-Bikes noch halbe Töffs: schwer, ungelenkig und auch nicht sehr elegant.
Absolut, die Batterie war nicht im Rahmen verbaut, der Motor bei weitem nicht so leistungsfähig und rund 27 Kilo schwer. Das Handling und vor allem auch das Design waren nicht so, wie ich mir das wünschte – und das hat mich dazu bewogen, unsere Produkte zu entwickeln.
Inzwischen fährt fast jeder Velo, hat man den Eindruck. Auch ich bin wieder auf den Drahtesel umgestiegen. Wie beeinflusst die Coronakrise unser Verhältnis zum Velofahren?
Ich beobachte, dass sich die Leute viel mehr Gedanken zu ihrer Mobilität machen. Viele möchten sich mehr bewegen und etwas für ihre Gesundheit tun, andere wollen keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen oder nachhaltiger durch den Alltag fahren. Das sind Themen, die sicher längerfristig bleiben.
In Basel sind laut SRF wieder gleich viel Velofahrer unterwegs wie noch vor Corona. Das würden Sie also nicht unterschreiben?
Ich bin überzeugt, dass das Velofahren zugenommen hat. Ich glaube aber auch, dass das Wachstum über längere Zeit immer mehr kommen wird. Velofahren – aber noch viel mehr mit dem E-Bike – verändert den Lebensstil fundamental. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Wer also die letzten zehn Jahre jeden Morgen ins Auto oder ins Tram gesessen ist, braucht ein bisschen eine Angewöhnungsphase.
Fahren E-Bike-Fahrer tatsächlich dafür weniger Auto?
Effektiv! Wir haben mit der Stiftung MyClimate zusammen eine Studie gemacht und angeschaut, welche anderen Verkehrsmittel unsere Kunden mit ihrem E-Bike ersetzen. Tatsächlich waren es 53 Prozent, die Autokilometer mit ihrem EGO Movement E-Bike ersetzten. Das ist natürlich eine tolle Zahl – und ich bin überzeugt, dass es jetzt mit Covid-19 noch mehr sein dürften.
Wie erleben Sie die Coronazeit?
Es ist eine herausfordernde Zeit. Vor allem die Sorge, wie wir unsere Mitarbeiter und Kunden schützen können. Während des Lockdowns mussten wir unsere sieben Läden für den Verkauf schliessen und durften nur noch Reparaturen anbieten. Als wir wieder öffnen durften, wurden wir mit Bestellungen regelrecht überrannt. Wir machten ein Mehrfaches vom Umsatz.
Hält die Nachfrage auch rund vier Monate nach dem Lockdown an?
Inzwischen hat es sich wieder etwas beruhigt, aber der Trend hält auf jeden Fall an. Es ist schwierig, eine Prognose zu wagen, aber grundsätzlich befinden wir uns in einem hohen zweistelligen prozentualen Wachstum.
Wie sind die Schweizerinnen und Schweizer im internationalen E-Bike-Vergleich unterwegs?
Letztes Jahr sind knapp 130'000 E-Bikes in der Schweiz verkauft worden. Das ist eine stattliche Zahl. Der Markt in der Schweiz entwickelt sich sehr stark, wobei aber EGO Movement nach wie vor einer der wenigen Schweizer Hersteller ist. Auch die Akzeptanz ist sehr gross – das hat sich in den letzten fünf Jahren, der Zeit, in der wir angefangen haben, fundamental verändert. Aber der Markt hat sicher noch viel Luft nach oben, wenn man Länder wie Holland anschaut, in denen der prozentuale Anteil an E-Bikes am gesamten Zweiradmarkt noch viel höher ist als in der Schweiz.
Mit welchen Vorurteilen hatten Sie damals zu kämpfen?
Damals habe ich von jedem zweiten Kunden gehört: ‹E-Bikes sind doch für Ü70. Ich mag noch selber trampen.› Das hat sich komplett geändert, heute haben wir stilvolle Produkte für eine nachhaltige Mobilität. Diese Vorurteile kommen viel weniger, da hat sich auch das Kundendenken extrem gewandelt.
Ein weiteres häufig gehörtes Vorurteil: E-Bike-Fahrer sind faul.
Das stimmt nicht. Unsere Kunden legen im Schnitt 2'756 Kilometer pro Jahr per E-Bike zurück. Während es beim normalen Velofahren laut Statistik gerade mal 270 Kilometer pro Jahr sind. Klar, verbrennt man beim E-Biken im Schnitt 30 bis 40 Prozent weniger Kalorien, aber man bewegt sich trotzdem und tut etwas für seine Gesundheit. Auf die höheren Kilometerzahlen gerechnet, die E-Biker ja zurücklegen, macht das schon was aus. Und man kann ja auch wählen, mit wie viel Unterstützung man fahren möchte, also wie sportlich die Fahrt sein soll. Viele Kunden fahren auf dem Hinweg zur Arbeit mit höherer Unterstützung, um weniger zu schwitzen, auf dem Rückweg dann mit weniger, um etwas für die Gesundheit zu tun.
Die günstigsten E-Bikes gibt es ab 800 Franken – eher zuschlagen oder die Finger davon lassen?
Ich glaube, es hat so seine Tücken, wenn man bei einem Grossverteiler für 900 Franken ein E-Bike kauft. Ich denke, es ist ähnlich, wie wenn man Fast Fashion kauft. Um ein Produkt längerfristig und nachhaltig zu nutzen, lohnt es sich, ein bisschen mehr zu investieren. Ich denke, ein E-Bike mit guten Komponenten, gewissen Anforderungen an die Komponenten und einem professionellen Service nach dem Kauf gibt es ab 2'000 bis 3'000 Franken. Unsere E-Bikes sind preislich sicher in einem attraktiven Bereich, weil wir die Einzigen sind, die eigene Stores betreiben, mit eigenem Service und ohne Zwischenhändler. Daher können wir einen Teil des Preisvorteils an unsere Kunden weitergeben.
Ausser dem Preis – wie finde ich das für mich richtige E-Bike?
Das Wichtigste am Ende ist, dass der Kunde herausfindet, warum er ein Elektrovelo braucht. Ist mir der Stil wichtig oder eine starke Batterie mit Reichweite für längere Touren? Es gibt komplett unterschiedliche Produkte: vom komplett gefederten Mountainbike für sportliche Betätigung bis hin zum Citybike. Bei letzterem geht es mehr um die Alltagstauglichkeit und passendes Zubehör wie Körbe oder Anhänger.
Welches sind die häufigsten Stolpersteine beim E-Biken?
Viele denken: ‹Ich habe ja einen Motor, also muss ich nicht mehr schalten.› Vor allem bei Kunden, die vom Auto aufs Velo umsteigen, oder solche, die seit ihrer Jugendzeit nicht mehr gefahren sind, beobachte ich, dass sie kaum schalten. Mit höchster Unterstützungsstufe und einem hohen Gang könnte man theoretisch E-Biken ohne zu schalten. Die Folge ist jedoch eine hohe Abnützung auf den Komponenten und dann höhere Servicekosten. Daher besser schalten, das macht auch mehr Spass. Für alle, die das nicht wollen, haben wir eine vollautomatische elektronische Schaltung – das ist wie ein Automat beim Auto.
Gibt es noch weitere Anfängerfehler?
Das Pumpen geht gerne vergessen. Sauber gepumpte Reifen unterstützen ein besseres Fahrverhalten, mehr Reichweite und einen kleineren Stromverbrauch. Das unterschätzen sehr viele – die meisten pumpen erst, wenn der Reifen fast keine Luft mehr hat.
Der Bundesrat will die E-Bike-Regeln verschärfen: Wer ein Elektrovelo fährt, soll in Zukunft einen Helm tragen und das Licht am Velo auch tagsüber einschalten. In den vergangenen fünf Jahren habe sich die Zahl der schweren Unfälle mit Elektrovelos fast verfünffacht, schrieb der Bundesrat zu seinem Entscheid. Sind viele E-Biker zu schnell unterwegs?
Dort muss man unterscheiden zwischen den schnellen E-Bikes, den S-Pedelecs, die bis 45 km/h unterstützen, und den langsamen bis 25 km/h. Mit einem S-Pedelecs ist man im Strassenverkehr in der Stadt oft schneller als die Autos, deshalb ist es extrem wichtig, dass man vorsichtig fährt und sich sicher fühlt und auch ein Fahrsicherheitstraining macht. Generell ist beim E-Biken essenziell, dass man daran denkt: Andere Verkehrsteilnehmer sind sich oft nicht bewusst, wie schnell ein E-Bike eigentlich fährt. Daher besser defensiv fahren und anderen Verkehrsteilnehmern die Chance geben, rechtzeitig reagieren zu können.
Wie viele Velos besitzen Sie?
Acht oder neun, ich zähle sie mittlerweile nicht mehr. Eines der Velos, mit dem ich am liebsten unterwegs bin, ist der erste Herrenvelo-Prototyp von EGO Movement. Es hat schon einiges hinter sich und sieht mittlerweile etwas verlebt aus. Doch ist da so viel Herzblut dabei.