End-of-Summer-Depression Das hilft, wenn dich der nahende Herbst fertigmacht

Vanessa Büchel

31.8.2024

Die Erkenntnis, dass das Sommerende nahe ist, trifft Betroffene einer End-of-Summer-Depression schwer. 
Die Erkenntnis, dass das Sommerende nahe ist, trifft Betroffene einer End-of-Summer-Depression schwer. 
Unsplash/williambout

Bald ist er vorbei: Der Sommer neigt sich dem Ende zu. Der Abschied fällt nicht leicht, viele klagen, wollen dem Herbst nicht ins Auge blicken. Ein Experte verrät, was gegen Verstimmungen zum Sommerende hin hilft.

Vanessa Büchel

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Bei Verstimmungen zum Sommerende hin spricht man häufig auch von einer End-of-Sommer-Depression. 
  • Laut Psychiater Gregor Hasler sei es wichtig, zwischen Depressionen und Verstimmungen zu unterscheiden. 
  • Schwierigkeiten mit dem Loslassen des Sommers können durchaus vorkommen.
  • Der Experte erklärt, warum das so ist und was dagegen hilft.

«Der August ist wie der Sonntagabend unter den Monaten», das habe ich kürzlich online gelesen. Der Blues schlägt zu, wenn – entgegen deiner Wunschvorstellung – etwas Wunderbares langsam vorbeigeht, und du der Realität ins Auge schauen musst: Alles Schöne geht irgendwann zu Ende.  

So hat es sich auch mit dem Sommer. Leider. Als ich diese Zeile gelesen habe, hat es also Klick gemacht. Denn seit Wochen fühle ich mich betrübt, will nicht wahrhaben, dass es bald aus ist mit der schönsten Jahreszeit. Aber wie alle Jahre wieder muss man auch in diesem Jahr irgendwann Abschied nehmen. 

2024 fühlt sich das Abschiednehmen aber besonders schwierig an. Denn zuerst hatte der Sommer seine Anlaufschwierigkeiten, dann ist er doch noch schön geworden. Jetzt zum Ende hin fühlt er sich darum irgendwie einfach zu kurz an, weil uns aufgrund langanhaltendem Schlechtwetter der Anfang genommen wurde.

Das Tschüss ist herzzerreissend – ich wünsche mir ein phänomenales Finale, will noch alles reinpacken, stresse mich mit all den unvergesslichen Sommererinnerungen, die noch gemacht werden müssen. Ab wer weiss, vielleicht gibt es ja noch eine Zugabe im September.

Als ich im Umfeld von meinem aktuellen Tief berichte, stosse ich auf Zustimmung. Auch anderen geht es anscheinend so. Ist es in diesem Jahr speziell schwierig loszulassen oder war die End-of-Summer-Depression schon immer ein Thema?

Abschiednehmen von etwas Geliebtem ist immer schwierig

Loslassen ist für Menschen nie einfach – vor allem, wenn etwas losgelassen werden muss, das den Betroffenen besonders am Herzen liegt. «Bei betroffenen Menschen denkt das Hirn am Ende vom Sommer, dass ihnen all das Gute weggenommen wird, das sie so lieben – Schwimmen in der Badi, Schifffahrten oder Grillabende», sagt Gregor Hasler, Professor für Psychiatrie an der Universität Freiburg und Chefarzt am Freiburger Netzwerk für psychische Gesundheit, im Gespräch mit blue News.

Das Hirn stufe dann die Erwartungen gegenüber dem Herbst und Winter herab, es kommt zu Verstimmungen. Der Experte erklärt: «Untersuchungen zeigen allgemein, dass wenn die Tage länger werden, die Stimmung besser wird, und wenn die Tage wieder kürzer werden – also ab August –, die Stimmung leicht schlechter wird.»

Füsse raus: Im Sommer barfuss oder in offenen Schuhen zu gehen, ist ein unvergleichliches Gefühl von Freiheit. 
Füsse raus: Im Sommer barfuss oder in offenen Schuhen zu gehen, ist ein unvergleichliches Gefühl von Freiheit. 
Instagram/anja_r

Diese generelle Veränderung in der Stimmung müsse nicht bedeuten, dass wir Menschen darunter leiden, aber es könne durchaus so sein. «Es ist nicht einfach, das Ganze zu quantifizieren. Es muss auch zwingend zwischen Verstimmung und Depression unterschieden werden», so Hasler. 

Dass sich starke Depressionen aufgrund des Sommerendes entwickeln, sei eher weniger der Fall. Doch: «Menschen, die von Depressionen betroffen sind, bei denen kann sich die Erkrankung zum Herbst hin schon verstärken.»

Kälte kann «belastend» sein

Gründe für Verstimmungen zum Ende der schönen Jahreszeit sei einerseits der physiologische Effekt, dass die Tage wieder kürzer werden und wir weniger natürlichem Licht ausgesetzt sind, andererseits auch der soziale Aspekt. Der Psychiater befindet: «Im Sommer gehen die meisten mehr raus, treffen sich mit Freunden in der Badi. Im Winter ist das einfach schwieriger.»

Und bei anderen Betroffenen könne auch die Temperatur ausschlaggebend sein. Manche Menschen würden Kälte als «belastend» erleben.

Sich an den schönen Dingen im Winter festhalten

Wichtig sei für Personen, die jetzt Verstimmungen wahrnehmen, dass man diesen Gefühlen nicht einfach nachgebe, sondern dagegen ankämpft. «Betroffene sollten sich keinesfalls einfach zurückziehen und nichts mehr machen.»

Hasler rät, weiterhin regelmässig aufzustehen, rauszugehen und Sachen zu planen, die guttun. Der Experte weiss: «Die Adventszeit, Guetsli, Weihnachtslieder – das alles haben wir erfunden, damit es auch im Winter Highlights gibt.» Man solle sich vor Augen halten, dass auch die dunkle Jahreszeit schön sein kann und Positives bereithält.

«Und dann gibt es Menschen, denen zwei Wochen Ferien in der Karibik oder sonstwo unter der Sonne guttun.» Da würde sich dann einfach die Frage stellen, wie gut das der Umwelt tut.

Schlechter Sommerstart Schuld an mehr Verstimmungen?

Depressionen, die saisonal bedingt sind, machen keinen ganz so grossen Anteil in der Schweiz aus, wie Hasler ausführt. «Interessant ist aber, dass sich reine Winterdepressionen häufig stark von anderen Depressionen unterscheiden.»

So würden sich atypische Verhaltensweisen zeigen. Betroffene essen mehr, schlafen mehr. Der Psychiater sagt: «Sie fallen wie in eine Art Winterschlaf, um die kalte Jahreszeit zu überstehen.»

Ob der August-Blues in diesem Jahr besonders stark zuschlägt, weil der Sommerstart so verregnet war? «Gewisse Menschen sind bestimmt frustriert, dass sie so wenig von den Tagen hatten, die sie so sehr lieben. Diese Erkenntnis führt nicht zwingend zu Depressionen, sondern mehr zu Verstimmung und Frustration», befindet Hasler.

Doch der Sommer sei noch nicht zu Ende. Diese Woche habe er sich noch einmal von seiner besten Seite gezeigt. Und: «Anderseits kann man auch sagen, wenn wir diesen Sommer gar nicht so richtig gehabt haben, ist es auch nicht ganz so schlimm, ihn wieder loszulassen.»


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