Rapper Stress«Die Depression schlug voll ein und ich war ein schlechter Freund»
Von Bruno Bötschi
10.11.2022
Stress ist einer der erfolgreichsten Schweizer Musiker. Der Erfolg hat aber Schattenseiten: Der Rapper litt an Depressionen. In seiner Biografie erzählt er über Schläge, Trennungen, Suizidgedanken – und warum er sich trotzdem nicht unterkriegen lässt.
Von Bruno Bötschi
10.11.2022, 16:17
03.07.2024, 08:39
Bruno Bötschi
«Heute bin ich überzeugt davon, dass wir in den Momenten, in denen wir als vermeintliche Verlierer dastehen, oft mehr gewinnen, als wenn wir als Sieger ausgerufen werden. Niederlagen machen einen stärker. Wir sollten aufhören, sie nur negativ zu bewerten.»
Als ich im vergangenen März Rapper Stress zum Interview traf, um mit ihm über sein neues Album «Libertad» zu reden, sprachen wir auch über seine Depressionen. Und über ein Treffen mit Sängerin Stefanie Heinzmann. Die beiden verbindet eine langjährige Freundschaft.
Ich wusste schon zuvor, dass Stress unter Depressionen litt. Auf «Sincèrement», seinem Album aus dem Jahr 2019, singt er darüber. Ich wusste jedoch nicht, wie schlimm die Auswirkungen der Schatten auf seiner Seele wirklich waren. Und was sie ausgelöst hat.
«Stefanie Heinzmann hat mich rausgezogen»
Jetzt ist die Biografie von Stress erschienen. «179 Seiten Stress. Das Leben von Andres Andrekson». Ein Buch wie ein Faustschlag. Der Musiker erzählt darin «Republik»-Journalist Daniel Ryser sein Leben.
Schonungslos. Ehrlich. Schlag auf Schlag.
Es ist ein Buch über einen erfolgreichen Musiker und scheinbar harten Kerl, der irgendwann erkennt, dass er Depressionen hat. Und Hilfe braucht.
«Die Depression schlug voll ein: Ich war Ronja (Furrer, Anmerkung der Redaktion) nicht nur ein schlechter Freund, ich kackte auch komplett mit der Musik ab und war eigentlich ziemlich sicher: Es ist vorbei mit Stress. Die Sängerin Stefanie Heinzmann hat mich da rausgezogen ... Zu der Zeit, als ich mich ganz langsam aus der Depression herauskämpfte, führten wir im Backstage eines Open Airs ein langes Gespräch.»
Während des Lesens der Biografie von Stress realisiere ich erst richtig, worum es beim eingangs erwähnten Gespräch mit Stefanie Heinzmann wirklich ging.
Und wie entscheidend die Sängerin aus dem Wallis den Lebensweg des in Estland geborenen Rappers beeinflusst hat.
«Fickt euch alle»
Andres Andrekson ist eineinhalb Jahre alt, als ihn sein Vater halb tot schlägt. Er ist fünf Jahre alt, als seine Mutter mit ihm und seiner Schwester vor dem gewalttätigen Vater flüchtet.
Die Prügel bleiben Alltag. Seine Mutter schlägt ihn mit dem Gürtel. Als sie realisiert, dass der Sohn Striemen davonträgt, sagt sie ihm, dass er nicht am Sportunterricht teilnehmen darf.
«Also musst du sagen, dass du deine Sportsachen vergessen hast, obwohl du deine verfickten Sportsachen gar nicht vergessen hast, und dafür kriegst du dann Schläge vom Lehrer und neue Striemen und blaue Flecken. Fickt euch alle.»
Mit zwölf Jahren zieht die Familie in die Westschweiz. Kurz danach drängt die Rapmusik ins Leben von Andres Andrekson. Die Situation daheim ist nach wie vor nicht gut. Der 13-Jährige hat jedoch zum ersten Mal ein eigenes Zimmer. Dort schliesst er sich ein, hört Musik und beginnt zu tanzen.
Die Musik wird zum Rettungsanker, die Schläge sind aber nicht vorbei. Irgendwann schlägt Stress zurück. Die Gewalt begleitet ihn in seinen Träumen bis heute, auch wenn der heute 45-Jährige sagt, dass er seit fünf Jahren keine Schlägerei mehr gehabt habe.
«Manchmal träume ich heute von Gewalt. Es ist immer derselbe Traum. Ich gerate in eine Auseinandersetzung und müsste zuschlagen, aber ich kann nicht. Meine Arme sind wie gelähmt.»
«Ich war in dieser extrem toxischen Beziehung gefangen»
Was Musiker Stress auf den 179 Seiten dem Journalisten Ryser erzählt, ist «krasser als vieles, was ich als Reporter bisher gehört habe». Die Biografie ist aber auch gleichzeitig ein schönes Stück Schweizer Musikgeschichte.
Dabei wird von einem Menschen erzählt, der beruflich oben ankommt und zugleich ständig gegen die Gewalt kämpft, die sein Leben kaputt machen will. Und immer wenn man glaubt, es könne nicht noch schlimmer kommen, folgt: der nächste Schlag.
In der Biografie geht es auch um die Frauen im Leben des Musikers. Stress erzählt von Iréne, seiner ersten Ehefrau.
«Ich war in dieser extrem toxischen Beziehung gefangen. Einerseits war sie gewalttätig, flippte völlig aus, was mich von ihr wegstiess. Andererseits war sie sterbenskrank, was mir unendlich leidtat und mich bei ihr hielt.»
Die Trennung von Ronja Furrer ist ein Thema. Stress, der aktuell wieder liiert ist, sagt, er wisse nicht, wie man Dinge beendet. Und er fragt sich, ob er noch genug Energie hat, noch einmal etwas Neues aufzubauen. Er hätte nämlich gerne Kinder.
Der Musiker findet zudem Heiraten cool. Abgesehen von der Scheidung empfiehlt er eine Hochzeit deshalb wirklich jeder und jedem. Es sei eine grossartige Erfahrung. Die Hochzeit mit Melanie (Winiger, Anmerkung der Redaktion) war einer der besten Tage im Lebens des Musikers.
Hochzeitsreisen empfiehlt er hingegen nicht: «Dabei wäre ich fast gestorben.» (Cliffhanger!)
«Mich im Wald erhängen»
Er würde im Leben gerne mehr Spass haben, sagt Stress. Er glaubt auch, das dies möglich wäre. Gleichzeitig hat er das Gefühl, dass er sich nur in Nöten und Herausforderungen wirklich wohlfühlt.
Während seiner Depression, offenbart sich Stress in seiner Biografie, dachte er auch über Suizid nach. Er überlegte sich, wo er seinem Leben ein Ende setzen könnte. In seinem eigenen Haus wollte er es nicht tun. Sonst wäre es mit einer Art Fluch belegt.
«Ich spazierte durch den Wald: Hier wäre es möglich. Mich im Wald erhängen. Aber was, wenn mich jemand findet? Der wäre dann sein Leben lang traumatisiert.»
Depression heisst, dass Dinge verschwinden. Dass sich Nebelschwaden über einen Menschen legen. Alles ist scheissegal, weitergemacht wird trotzdem. Eine Lethargie, die Stress durchaus entspannend empfand.
Trotzdem wurde ihm irgendwann klar: Er braucht Hilfe. Und er holte sie sich.
«Das Gute bei allem Kummer der vergangenen Jahre ist, dass ich durch die Therapie lernte, in den kleinen Dingen das Glück zu finden. Vor lauter Stress hatte ich dieses Bewusstsein verloren. Rannte durch mein Leben, realisierte gar nichts mehr. Realisierte nicht, wo ich stand. Wie es mir ging. Was ich eigentlich alles erreicht hatte.»
Buchvernissage im Literaturhaus Zürich : Montag, 14. November, 19:30 Uhr, Stress und Daniel Ryser stehen gemeinsam auf der Bühne.
Stress: «Ich weinte, als ich den Refrain geschrieben habe»
Er ist ein Anker in der hiesigen Musiklandschaft und der Patron der Schweizer Rappszene: STRESS. Nun ist er mit seinem 8. Album «Libertad» zurück. Ob er es geschafft hat «bye» zu seinen Dämonen aus der Vergangenheit zu sagen, erzählt er bei LÄSSER.
05.04.2022
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