Ärger um «Vogue»-Titelbild Anna Wintour hat Kamala Harris nicht um Erlaubnis gebeten

Von Bruno Bötschi

18.1.2021

Im Internet wird über ein Foto der künftigen US-Vizepräsidentin Kamala Harris diskutiert: Zu unpräsidial? Oder gar rassistisch?
Im Internet wird über ein Foto der künftigen US-Vizepräsidentin Kamala Harris diskutiert: Zu unpräsidial? Oder gar rassistisch?
Bild: Keystone

Kurz vor der Amtseinführung zeigt das Modemagazin «Vogue» die künftige US-Vizepräsidentin Kamala Harris auf dem Cover – in einem Outfit, das von der Politikerin offenbar nicht abgesegnet worden ist.

Wie hat eine künftige US-amerikanische Vizepräsidentin auszusehen, wenn sie für das Titelbild einer Zeitschrift fotografiert wird? Ich weiss es nicht.

Was ich hingegen weiss: Über diese Frage wird seit Tagen im Internet diskutiert, nachdem auf dem aktuellen «Vogue»-Cover Kamala Harris zu sehen ist. Die künftige Vizepräsidentin sei zu leger gekleidet, in Jeans und Turnschuhen, reklamieren die einen. Das Bild sei zu lieblos gestaltet, motzen die anderen.

«Das Modemagazin wollte die erste amerikanische Vizepräsidentin eigentlich ehren und hat ihr offenbar einen Bärendienst erwiesen», schreibt die NZZ.

US-Medien berichten, Harris und ihr Team seien enttäuscht vom Bild. Auch der Fotograf Tyler Mitchell – in der 126-jährigen Geschichte der «Vogue» übrigens der erste schwarze Titelbild-Fotograf – scheint mit der Auswahl von Chefredaktorin Anna Wintour nicht wirklich einverstanden zu sein.

Das sind Interna, die ich nicht weiter kommentieren möchte. Was ich jedoch loswerden will, weil ich mich schon so oft darüber geärgert habe: Warum werden Frauen wegen Äusserlichkeiten kritisiert? Und warum müssen sie das so viel häufiger ertragen als der Rest der Welt?

«Falsches Kleid zur falschen Zeit am falschen Ort»

Vielleicht erinnern Sie sich, liebe Lesenden, an den März 2009: Damals war Michelle Obama auf dem Cover der «Vogue» zu sehen, fotografiert von Annie Leibovitz. Michelle Obama war nach Hillary Clinton erst die zweite First Lady, die es auf die Titelseite schaffte.

Das Bild stiess ebenfalls auf Unverständnis – der Grund: Frau Obama zeigte ihre Oberarme. Ein Leser der «Chicago Tribune» fragte allen Ernstes: «Kennt die First Lady den Unterschied zwischen einem seriösen Business-Anlass und einer Cocktail-Party nicht? Wir haben Winter, der Anlass war ernsthaft, das war das falsche Kleid zur falschen Zeit am falschen Ort.»

Michelle Obama war schon oft auf der Titelseite zu sehen – unter anderem im März 2009 auf jener der «Vogue» (rechts).
Michelle Obama war schon oft auf der Titelseite zu sehen – unter anderem im März 2009 auf jener der «Vogue» (rechts).
Bild: Keystone

Maureen Dowd, Kolumnistin bei der «New York Times», konterte damals geschickt: «Die Bizeps von Michelle sind im Moment doch die einzigen Zeichen der Stärke, die Amerika vorzuweisen hat.»

Ein typisches Politiker*innen-Porträt

Zurück zu Kamala Harris: «Vermutlich hat sie beim Shooting auf diesem Outfit (Turnschuhe etc.) bestanden», schrieb der «Spiegel»-Autor Philipp Löwe vergangene Woche über das «Vogue»-Cover. Dieses Selbstbewusstsein überrasche ihn nicht, es mache «Frau Harris vielmehr sympathisch, auch deshalb, weil die ‹Vogue› doch vielen immer noch als Zentralinstanz in Sachen Mode gilt».

Und weiter: «Vermutlich trägt Harris mindestens so oft Hosenanzüge, wie sie in ihre Lieblingsschuhe steigt. Ob sie es mit der gleichen Leichtigkeit tut oder darin eine Bürde des Amtes sieht, muss ungeklärt bleiben.»

Mit Hosenanzug gibt es übrigens auch ein Motiv. Dieses wurde von der Redaktion allerdings nicht für titelwürdig befunden und deshalb nur online veröffentlicht wurde: Die lächelnde Harris frontal im blassblauen Zweiteiler, die Arme vor der Brust verschränkt. Ein typisches Politiker*innen-Porträt halt.

Gandenlos verurteilt

Wer der Diskussion um das Harris-Titelbild folgt, stellt fest, es gibt immer noch viel Unsicherheit im Umgang mit mächtigen Frauen.

«Diese haben heute dasselbe Problem wie früher die adeligen Herrscher», glaubt «Monopol»-Chefredaktorin Elke Buhr, «die durch ihr Äusseres auch politische Botschaften senden mussten.» Während die allermeisten männlichen westlichen Politiker in der Uniform des Anzugs verschwinden würden, müssten sich Frauen sehr genau überlegen, wie sie in der Öffentlichkeit auftreten, weil sie noch immer gnadenlos be- und verurteilt würden.

Diese Geschichte lässt bei mir noch einen weiteren schalen Nachgeschmack zurück: Was, wenn Kamala Harris wirklich nicht einverstanden war mit der Wahl des Coverbilds durch die «Vogue»-Chefredaktorin Anna Wintour? Es würde einmal mehr zeigen, wie mit Frauen nach wie vor umgesprungen wird.

Das ist unschön. Und nervt mich.

Zurück zur Startseite