Sprachpfleger Anglizismen – ist das Sprache oder kann das weg?

Von Mark Salvisberg

16.2.2021

Heisst es nun Königsfamilie oder Royals? Verstanden wird jedenfalls beides. 
Heisst es nun Königsfamilie oder Royals? Verstanden wird jedenfalls beides. 
Bild: Getty Images

Fänden Sie es cool, wenn ein Start-up Ihnen eine Message aufs Smartphone beamen würde, oder wären Sie dann mit Ihrer Work-Life-Balance nicht so happy? Der Sprachpfleger widmet sich den Anglizismen.

Goethe sagte: «Die Gewalt einer Sprache ist nicht, dass sie das Fremde abweist, sondern dass sie es verschlingt.» Heisst das, wir müssen vonseiten der Sprache stilistische Gewalt durch Anglizismen erdulden? Offene Arme in Ehren, aber zu Goethes Zeiten gab es weder Internet noch Radio noch TV noch anglizismusversessene Werbetexter, Wissenschaftler oder Fastübersetzer. Wäre also nicht eine Art staatliche Sprachbremse angebracht wie heute in Frankreich?

Der österreichische Schriftsteller Karl Kraus (1874–1936) meinte: «Nichts ist der Sprache gleichgültiger als das Material, aus dem sie schafft.» Dies ist mir kein Trost, denn es gilt nicht für uns Lebewesen, wir haben Geschmack und Gefühle. Gibt es denn keinen Schnelltest für zweifelhafte Anglizismen, um eine exponentiell starke Ausbreitung in unserem Sprachraum zu verhindern?

Schön war die Zeit

Goethe hatte es gut, er hörte noch kein Denglisch: «Am Annual Marketing Meeting zog der CEO aus den Below-the-Line-Massnahmen die richtigen Learnings.» Es wollte auch niemand «out of the box» denken. Die Jungen sagten nicht «Chill deine Base!», und keiner fragte: «Traden die Bitcoin-Kids per App unsere Hedge-Funds groggy?» Ist das Sprache oder kann das weg?

Vor allem durch den Jugendslang fühle ich mich überfordert. Er ist wohl am wechselhaftesten. Für seine Wörter gilt eine Halbwertszeit von einigen Wochen, danach ist ein Begriff wieder «mega uncool». Als psychohygienische Gegenmassnahme stelle ich mir die Jugendlichen einfach als 50-Jährige vor, die sich über den neusten Jugendslang aufregen.

Lächerliche Pseudoübersetzungen

Anglizismen sind häufig lachhaft. Einer jener Sorte ist für mich der perfekte Sturm, eine Nichtübersetzung von the perfect storm. Es gibt bei uns keine «perfekten Stürme»; dieser Ausdruck sollte schleunigst zurück zum Absender.

Leider führt der Duden neuerdings Expertise als Ausdruck für Fachwissen («sie hat viel Expertise») und lässt damit ausser Acht, dass das Wort auf Englisch und Deutsch verschiedene Bedeutungen hat. Eine Expertise ist keine Erfahrung, sondern ein Gutachten und wird es für mich immer bleiben.

Englische Begriffe der «harmlosen» Sorte

Die Auswirkungen des Phänomens Anglizismus auf das Deutsche sind mannigfaltig: Da werden Wörter entlehnt, falsch oder teilweise übersetzt, übertragen, ja erfunden (beispielsweise das Handy, der Showmaster oder Mobbing; diese existieren im Englisch nicht). Neben den genannten Auswüchsen gibt es die «getarnten» Fremdwörter, die längst akzeptiert sind und uns als solche kaum auffallen:

Wenn der Bayer «Fesch schaust aus!» sagt, wer käme auf die Idee, dass das charmante fesch von fashionable (englisch: modisch) kommt. Ebenso wenig stören uns längst eingedeutschte Begriffe wie Bigband, Countdown (wie würden Sie das auf Deutsch nennen?), Hobby (Freizeitbeschäftigung, Steckenpferd?). Sinnvoll finde ich Anglizismen überdies, wenn es keine «verträgliche» deutsche Alternative gibt: E-Mail, Liveticker, T-Shirt.

Beruhigende Fakten

Laut verschiedenen Erhebungen beträgt der Anteil der Anglizismen in der deutschen Sprache nur rund 4 Prozent. Der Anteil von Fremdwörtern aus weiteren Sprachen beläuft sich hingegen auf das Fünffache. Grosser Ärger hat sich deswegen nicht breitgemacht. Zeitgeist ist hier ein wichtiges Stichwort. Der Germanist Karl-Heinz Göttert wies in seinem 2019 erschienenen Buch darauf hin, dass Sprachreiniger vor allem im 19. Jahrhundert gegen den französischen Einfluss im deutschen Wortschatz kämpften. Nun wolle man den Anglizismen an den Kragen.

Tatsächlich hat das Englische während des Mittelalters rund einen Drittel aus dem Französischen entlehnt, das Japanische gar 50 Prozent aus dem Chinesischen. Das ist laut Göttert ein Beweis dafür, dass sogenannte Nehmersprachen nicht knechtisch, sondern kreativ mit dem Einfluss der Gebersprachen umgehen. Der Brite klingt gehoben, wenn er das französischstämmige aide verwendet statt help, elegant statt stylish, examination statt test.

Trotzdem hat sich, dies laut einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung der Uni Bamberg, die Verwendung von Anglizismen innert zehn Jahren verdoppelt. Ich werte dies als Indiz dafür, nicht jeden Mist telquel zu übernehmen.

In Frankreich herrscht gegenüber Anglizismen noch immer eine besondere Abneigung. Zur Einhaltung der Sprachquote wurde dort eigens ein Case Manager angestellt. Gut, Letzteres ist gelogen.

Wider den Sprachpurismus

Es sollte nicht so weit kommen, dass wir angesichts der Zunahme der Anglizismen diesen gegenüber eine generelle Abneigung entwickeln. Denn häufig sind sie praktisch: Kaffee zum Mitnehmen ist nun einmal länger als Coffee to go; ausserdem verstehen das ausländische Gäste jeder Couleur, was dem Tourismus gelegen kommt. So betrachtet sind Anglizismen, wie auch anderes Eingedeutschtes, ein kleiner Beitrag zur Völkerverständigung.

Kaffee wurde seinerzeit auch importiert, nämlich doppelt, als Bohne und Begriff, dieser stammt aus dem Arabischen. Das Wort Schokolade kommt aus Mexiko. Fenster aus dem alten Rom. Alkohol hat seinen Ursprung im Arabischen. Wenn wir dieses Wort von den alten Germanen übernommen hätten – der Wein würde kein bisschen besser schmecken.

Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute täglich journalistische Texte bei einer Tageszeitung.


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