Grippewelle Mit Engagement gegen impfkritisches Spitalpersonal 

Runa Reinecke

18.1.2019

Ein Piks, der Leben retten kann. 
Ein Piks, der Leben retten kann. 
Bild: iStock

Die Grippewelle hat die Schweiz erreicht. Trotzdem verweigern sich viele Pflegemitarbeitende in den Spitälern einer Impfung, die sie und ihre Patienten vor einer Ansteckung schützt. Dass es auch anders geht, zeigt ein Beispiel aus Luzern. 

Antibiotikaresistenzen, Umweltverschmutzung und Impfgegner haben etwas gemeinsam: Sie gehören zu den zehn grössten Bedrohungen für die Gesundheit, mit denen sich die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2019 konfrontiert sieht.

Dass die misstrauische bis ablehnende Haltung gegenüber Impfungen in den Top Ten zu finden ist, kommt nicht von ungefähr. Insbesondere in den westlichen Industrienationen breitete sich die Impfkritik in den vergangenen Jahrzehnten geradezu pandemisch aus. Meistens steckt dahinter eine allgemeine Skepsis gegenüber der Schulmedizin, die mit Behauptungen jenseits von medizinisch-evidenzbasierten Fakten untermauert wird. 

Behauptungen statt Fakten

Auf einschlägigen Websites werden Impfstoffe  als mögliche Auslöser für Krankheiten wie Autismus oder multiple Sklerose angeprangert. Paradox,  denn während ein schützender Piks in unseren Breiten mancherorts verweigert wird, nehmen weniger privilegierte Menschen an anderen Orten der Welt tagelang andauernde Märsche auf sich, um sich gegen eine oder mehrere ansteckende Krankheiten impfen zu lassen. 

Besonders heiss diskutiert werden in diesem Zusammenhang die Masern, gegen die es in der Schweiz seit 1970 einen Impfstoff gibt. Sie sind hochansteckend und werden zu Unrecht als harmlose Kinderinfektionskrankheit abgetan. Zumeist ist die Krankheit nach zwei Wochen, begleitet von Symptomen wie Hautausschlag, Fieber und Lichtempfindlichkeit, überstanden. Normalerweise, denn bei einem von tausend Patienten tritt während der akuten Phase eine Masernencephalitis auf.

Tödliche Gehirnentzündung

Diese Gehirnentzündung hinterlässt bei einem Viertel aller Betroffenen bleibende Hirnschäden. Laut einer Studie liegt das Risiko, eine  subakute sklerosierende Panecephalitis, kurz SSPE, zu erleiden, bei Kindern unter fünf Jahren bei 1:1700 bis 1:3300. Diese entzündliche Gehirnerkrankung erleiden vor allem Buben im Alter zwischen fünf und zehn Jahren. Die SSPE ist nicht heilbar und verläuft immer tödlich.

Im vergangenen Jahr wurden gemäss Bundesamt für Gesundheit BAG bis einschliesslich 21. November 2018 48 Masernfälle in der Schweiz gemeldet. Für die WHO gelten die Masern erst dann als eliminiert, wenn im Laufe von zwölf Monaten keine Infektionen mehr örtlich begrenzt auftreten. Zwar ist die Zahl der Masernfälle im Vergleich zum Jahr 2017 wieder rückläufig; um die Erkrankung in der Schweiz auszurotten, müssten 95 Prozent aller Kinder und aller nach 1963 geborenen Erwachsenen gegen die Masern geimpft sein. Bislang ist das nur bei 87 Prozent der Zweijährigen und bei 93 Prozent der 16-Jährigen der Fall.

Höhere Impfrate bei Pflegenden

Im Moment steht ein weiterer Erreger im Fokus: Während der zweiten Kalenderwoche meldeten 144 Ärztinnen und Ärzte, die an das schweizerische BAG-Meldesystem Sentinella angeschlossen sind, 15,5 Grippeverdachtsfälle pro 1000 Konsultationen. Das entspricht 121 Fällen pro 100'000 Einwohner. Dass der epidemische Schwellenwert (68 pro 100'000 Fälle) überschritten wurde, bemerkt auch Dr. med. Christina Orasch, Fachärztin für Infektiologie. «Seit Mitte Januar haben wir hier mehrere Fälle mit Grippeverdacht pro Tag.»

Viele Patienten sind nicht oder noch nicht geimpft. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Personal in vielen Spitälern. Als Orasch in der Hirslanden Klinik St. Anna in Luzern anfing zu arbeiten, war die Impfrate bei ihren Arbeitskolleginnen und -kollegen sehr niedrig. Heute liegt sie bei knapp 40 Prozent – ein im schweizweiten Vergleich hoher Wert. «Gerade bei den Pflegenden, die in engem Kontakt mit den Patienten stehen, ist es sehr wichtig, gegen die saisonale Grippe geimpft zu sein», manchmal sogar «überlebenswichtig», wie sie betont: Ältere und kranke Menschen hätten ein geschwächtes Immunsystem, andere bekämen Medikamente, die eine höhere Infektanfälligkeit zufolge hätten.

«Viele dieser Patienten sprechen weniger gut auf eine Grippeimpfung an als Patienten mit einem gesunden Immunsystem. Da kann auch eine Grippe schnell lebensbedrohlich werden.» Eine Impfung sei deshalb nicht nur Privatsache.

Aufklärung durch Fortbildung

Um die Zahl der immunisierten Mitarbeiter in ihrer Umgebung zu erhöhen, erarbeitete Christina Orasch zusammen mit ihrem Team der Infektiologie und Spitalhygiene ein Programm. «Wir klären unser Pflegepersonal in Fortbildungen regelmässig darüber auf, wie wichtig die Grippeimpfung ist.» Viele Mitarbeitende seien verunsichert: «Wir vermitteln medizinisches Fachwissen. Das hilft, mit Mythen und Halbwahrheiten, die sich um die Grippeimpfung ranken, aufzuräumen.»

Die Anstrengungen der letzten Jahre haben sich gelohnt. Dafür spricht die Impfrate beim Pflegepersonal, die dank der kontinuierlichen Aufklärungsarbeit stetig gestiegen ist. Ihr persönlicher Wunsch sei es, so Christina Orasch, dass sich irgendwann nicht mehr die Leute erklären müssten, die sich impfen liessen, sondern umgekehrt.

Bilder aus der Schweiz
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