Kehrseite der Krebs-TherapieKampf gegen Krebs – «Wir erkaufen uns den Erfolg mit Nebenwirkungen»
dpa
29.1.2019
Krebstherapien bringen seit Jahren Behandlungserfolge. Doch nach einer überstandenen Erkrankung werden viele Menschen von Spätfolgen geplagt. Kinder trifft es besonders häufig.
In den Videos von Blogger Jules (26) dreht sich alles um Krebs. Wie fing die Krankheit an? Was isst man als Patient? Hilft Cannabis gegen Krebs? Wann wachsen mir wieder Haare?
So lauten die Titel der Videos auf seinem Youtube-Kanal «Chemoblog», der sich besonders an andere Betroffene und Angehörige richtet. Der Mainzer ist einer von zahlreichen Bloggern, die ihre Krankheitsgeschichte mit der Öffentlichkeit teilen. Kürzlich lädt er wieder ein Video hoch: Er ist jetzt krebsfrei und fragt, wie es jetzt weitergeht.
Mit dieser Frage ist Jules nicht allein. Alleine in Deutschland leben nach Zahlen des Zentrums für Krebsregisterdaten mehr als eine Million Menschen, die ihre Krebsdiagnose um mindestens zehn Jahre überlebt haben.
Zweischneidiges Schwert
Gesund fühlten sich ehemalige Krebspatienten nach ihrer Erfahrung nicht, sagt die Sprecherin der Organisation Frauenselbsthilfe nach Krebs, Caroline Mohr, vor dem Weltkrebstag am 4. Februar. Die Gruppe hat sich vor 40 Jahren gegründet.
Bei der Organisation kommen Krebspatientinnen – und seit einigen Jahren auch männliche Patienten – in bundesweit über 300 Gruppen zusammen, um sich über ihre Erkrankung auszutauschen. Auch wenn ein Viertel der Mitglieder als krebsfrei gelte, berichteten viele über Spätfolgen: Sie seien weniger leistungsfähig, klagten über Schwindel, Erschöpfung und Empfindungsstörungen in Armen und Beinen, schildert Mohr.
Sie besiegte den Krebs – und «stirbt trotzdem innerlich»:
Sie besiegte den Krebs - und «stirbt trotzdem innerlich»
Becki McGuinness besiegte den Krebs. Doch das eigentliche Martyrium begann für die junge Frau danach.
Bild: Dukas
2008 wurde bei Becki McGuinness Knochenkrebs diagnostiziert.
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Zwischen 2008 und 2009 unterzog sich die junge Frau einer mehrmonatigen Chemo- und Bestrahlungstherapie.
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2009 erhielt sie die erlösende Botschaft: Der Krebs war verschwunden. Doch kurze Zeit später brach für Becki die Welt zusammen.
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Beckis Periode blieb aus, dafür bekam die damals 21-Jährige Hitzeschübe: «Ich hatte alle Symptome, die Frauen normalerweise erst haben, wenn sie 30 Jahre älter sind».
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Ihre Frauenärztin bestätigte, was Becki befürchtet hatte: Sie durchlief die Meno-Pause. Noch vor ihrer eigenen Mutter. Die Krebsbehandlung hatte sie unfruchtbar gemacht.
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Dabei wollte die junge Frau unbedingt Mutter werden. Auch eine Adoption ist für Becki ausgeschlossen, da sie immer noch mit den Nachwirkungen ihrer Erkrankung kämpft.
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«Ich sterbe innerlich», sagt die 31-Jährige heute, und beklagt, dass sie vor der Therapie nicht auf die möglichen Folgen hingewiesen wurde.
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Denn in der zweiwöchigen Wartezeit auf die Behandlung hätte Becki ihre Eizellen einfrieren lassen können. Mit ihren Fotos will sie nun andere krebskranke Frauen darauf aufmerksam machen, sich vor ihren Behandlungen entsprechend abzusichern.
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Die Onkologin Georgia Schilling kennt diese Symptome bei Krebspatienten zur Genüge. Die Oberärztin, die an der Asklepios Klinik Altona in Hamburg auch am Tumorzentrum arbeitet, stimmen die Fortschritte in der Krebstherapie erst einmal optimistisch. Trotzdem seien sie ein zweischneidiges Schwert.
Cocktail aus Nebenwirkungen
«Wir erkaufen uns den Erfolg mit Nebenwirkungen», sagt sie. Wenn Chemo-, Immuntherapie und Bestrahlung kombiniert würden, komme am Ende ein Cocktail aus Nebenwirkungen zusammen, die die Patienten auch nach der Krebserkrankung nicht loswürden und einschränkten.
Zum Beispiel im Arbeitsalltag: Zwar stünden 60 Prozent der an Krebs erkrankten Menschen nach durchschnittlich 150 Tagen Therapiepause wieder im Berufsleben. «Man weiss aber, dass sehr viele Patienten ihren Job wieder aufgeben, weil sie es eben nicht schaffen», sagt Schilling.
Blogger Jules ist es langsam angegangen. Ende 2018 hatte er die letzte Chemotherapie. Der selbstständige Kameramann arbeitet wieder regelmäßig, wenn auch deutlich weniger als vor dem Krebs. Von Spätfolgen spürt er nach eigenen Angaben nichts – ausser der Angst, dass sie kommen könnten.
Leukämie bekämpft – Herz kaputt
Besonders stark treffen Nebenwirkungen Kinder. «Je jünger der Mensch, desto sensibler zum Beispiel gegenüber Bestrahlung», sagt Peter Kaatsch, Leiter des Deutschen Kinderkrebsregisters an der Universitätsmedizin Mainz. Die Zahlen des Registers stimmen auf den ersten Blick positiv: Ein Grossteil der an Krebs erkrankten Kinder wird demnach mittlerweile geheilt, zehn Jahre nach der Therapie leben noch 83 Prozent der Kinder.
«Am Deutschen Kinderkrebsregister sind etwa 30'000 dieser Kinder bekannt», sagt Kaatsch. Das Register erfasst Fälle seit 1980 in Westdeutschland und seit 1991 auch für die östlichen Bundesländer. Viele der erfassten Patienten haben Spätfolgen durch die Therapie: Kaatsch berichtet von Medikamenten gegen Leukämie, die das Herz schädigen und bei geheilten Patienten im jungen Erwachsenenalter mitunter eine Transplantation nötig machten.
Lebertransplantation, Meningitis, Krebs – die unfassbare Leidensgeschichte einer 19-Jährigen:
Ein weiteres Beispiel: Ärzte behandelten an Lymphdrüsenkrebs erkrankte Mädchen früher häufig mit Bestrahlungen im Brustbereich. Diese würden als erwachsene Frauen dann häufig zur Brustkrebspatientin, erklärt Kaatsch. Bei Kinderkrebs verzichte man darum mittlerweile wenn möglich auf Bestrahlungen – ein Bewusstsein für die Spätfolgen gebe es aber erst seit den 2000er Jahren.
«Viel zur wenig Aufmerksamkeit»
Kaatsch findet, für betroffene Menschen gebe es immer noch zu wenig Beratungsangebote. «Es müsste Nachsprechstunden für erwachsene ehemalige Kinderkrebspatienten geben.» Die Angebote, die es gibt, würden grösstenteils von Eltern finanziert – «da sollten die Krankenkassen mit ins Boot geholt werden».
Auch Georgia Schilling sieht «viel zur wenig Aufmerksamkeit» für das Thema und ist überzeugt, dass das richtige Unterstützungsangebot vielen Betroffenen den Weg in ihren neuen Alltag erleichtern könnte. «Eins ist sicher: Alle haben Angst, wieder anzufangen mit dem Alltag», sagt Youtuber Jules.
Für ihn heisst es in den kommenden Monaten erst einmal: Nachsorge. Alle drei bis sechs Monate stehen Untersuchungen an. «Die Krankheit endet nicht.» Ob er auch das mit der Öffentlichkeit teilen will, weiss er noch nicht. Lange in die Zukunft plant er nicht. «Denn ich weiss nie, was kommt.»
Ein Mutmacher am Ende – diese Stars haben den Krebs besiegt:
70 Jahre alt wird Kathy Bates am 28. Juni. Ein Jubiläum, das für die Oscarpreisträgerin keine Selbstverständlichkeit ist. 2003 wurde bei der Schauspielerin Eierstockkrebs festgestellt, 2012 nahm sie dann den Kampf gegen den Brustkrebs auf. Ein Schicksal, dass sie mit vielen Menschen teilt - auch mit vielen Prominenten.
Bild: Elisabetta Villa/Getty Images
Einen Tag, nachdem sie für ihre Rolle in «Veep» ihren elften Emmy gewann, war Julia Louis-Dreyfus nicht zum Feiern zumute: «Eine von acht Frauen bekommt die Diagnose Brustkrebs», twitterte sie im September 2017. «Heute bin ich eine davon». Im Februar erklärte sie via Instagram, dass ihre Operation gut verlaufen sei.
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Ein Mundhöhlenkarzinom wurde 2010 bei Michael Douglas entdeckt. «Diese Art von Krebs wird von Humanen Papillomviren ausgelöst, die beim Oralverkehr übertragen werden können», erklärte er im britischen «Guardian». Vollständig belegt ist dieser Verdacht übrigens nicht, es gibt jedoch Studien, die auf eine Verbindung hinweisen.
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Als Michael Douglas im Herbst 2016 bei einer Veranstaltung sagte, Val Kilmer mache gerade dasselbe durch wie einst er, folgte prompt das Dementi des Kollegen. Bei einer «Ask Me Anything»-Runde der Website Reddit räumte er im April 2017 jedoch ein, dass er zu dieser Zeit tatsächlich den Kampf gegen den Zungenkrebs ausgefochten habe - erfolgreich.
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Kein Star ging so offen mit seiner Krebserkrankung um wie «Charmed»-Darstellerin Shannon Doherty: Im März 2015 erfuhr die Schauspielerin, dass sie unter Brustkrebs leidet, der sich schon auf die Lymphknoten ausgebreitet hat. Nach zwei Jahren Chemo- und Strahlentherapie sowie Operationen konnte sie stolz verkünden, dass ihr Krebs in Remission sei.
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Es habe ihn nicht überrascht, als ihm sein Arzt 2017 erklärte, «dass in meiner linken Lunge eine Supernova stattfindet», wie es Ron Wood im Magazin «Event» formulierte. Immerhin war der Rolling Stone 50 Jahre lang Kettenraucher. Inzwischen steht der 71-Jährige wieder auf der Bühne - ohne Kippe.
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Die Nachricht, dass Kylie Minogue an Brustkrebs erkrankt sei, schockte 2005 Fans in aller Welt, besonders aber in ihrem Heimatland Australien. Die Nachfrage nach Vorsorgeuntersuchungen stieg so drastisch an, dass bald vom «Kylie-Effekt» die Rede war. Seit 2006 gilt die Sängerin als geheilt.
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Vor allem mit Komödien wurde Ben Stiller zum Star - doch im Juni 2014 verging ihm das Lachen: Bei ihm wurde Prostatakrebs diagnostiziert. Die Operation verlief erfolgreich, drei Monate später galt der «Zoolander»-Darsteller als tumorfrei.
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Als er von seiner Erkrankung erfuhr, wandte sich Ben Stiller an seinen Freund und «Meine Braut, ihr Vater und ich»-Co-Star Robert De Niro. Bei ihm war bereits 2003 Prostatakrebs festgestellt und erfolgreich behandelt worden. De Niro habe ihm den Arzt empfohlen, der schliesslich operierte, verriet Ben Stiller in der Radio-Show von Howard Stern.
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25 Jahre lang galt sie als geheilt. Doch im Mai 2017 erfuhr Olivia Newton-John, dass die Rückenschmerzen, die sie plagten, von Metastasen herrührten, die der zurückgekehrte Brustkrebs im unteren Rücken gebildet hatte. Sie fühle sich gut, sagte die Sängerin und Schauspielerin im Februar. Doch gebannt ist die Gefahr wohl noch nicht.
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Im Februar 2017 postete Hugh Jackman bei Instagram ein Bild, das ihn mit grossem Pflaster auf der Nase nach der Entfernung eines Basalioms zeigte - schon wieder. Fast genau ein Jahr zuvor informierte der Wolverine-Darsteller seine Fans erstmals über seine Hautkrebserkrankung. Derzeit scheint es dem Schauspieler wieder gut zu gehen.
Bild: www.instagram.com/thehughjackman
Auch Ewan McGregor liess sich einen verdächtigen Leberfleck entfernen - 2008, direkt unter dem linken Auge. «Ich ging zu einem Spezialisten, der meinte, man sollte ihn besser entfernen lassen», zitierte die BBC den Schauspieler damals. «Wie sich herausstellte, hatte er recht». Es sei keine grosse Sache gewesen, spielte der Schotte den Hautkrebs herunter.
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«Ich wusste immer, dass ich vermutlich Brustkrebs bekommen würde», erklärte Cynthia Nixon in einem Interview im US-Fernsehen. Schliesslich erkrankte auch ihre Mutter, als Nixon noch ein Kind war. Wie ihre Mutter besiegte die Schauspielerin den Krebs und wirbt seit 2006 für Vorsorgeuntersuchungen.
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Lymphdrüsenkrebs wurde 2015 bei Karel Gott festgestellt. «Hätten die Ärzte meinen Krebs ein paar Wochen später entdeckt, hätte es keine Rettung mehr gegeben», sagte der Schlagersänger zu «Bild». 2016 gab er Entwarnung: «Mein Krebs ist ausgeheilt.»
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Sie weine mindestens einmal täglich, wenn sie sich im Spiegel sehe, gestand Christina Applegate im Herbst 2008. Ein halbes Jahr zuvor hatten die Ärzte Krebs in ihrer Brust entdeckt - zum Glück behandelbar. Trotzdem entschied sich die Schauspielerin für eine beidseitige Mastektomie: Da sie eine Art Brustkrebs-Gen in sich trägt, war ihr das Risiko zu gross.
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Er sei für ein paar Tage komplett still gewesen, erinnerte sich Rod Stewart einst an seine Krebsdiagnose zurück: Bei einem Routinecheck wurde 1999 ein Tumor an der Schilddrüse entdeckt und gleich am nächsten Tag operiert. «Die frühzeitige Erkennung hat den grossen Unterschied gemacht», weiss der Sänger, der seither die Krebsforschung unterstützt.
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«Absurd» fand es Sylvie Meis, dass 2009 alle dachten, sie sei nach der überstandenen Chemotherapie vom Brustkrebs geheilt. «Heilung dauert Jahre», rückte sie Jahre später in der «Bild» zurecht. «Und du stehst vorm Spiegel und hast immer noch keine Haare. Immer noch keine Wimpern, keine Augenbrauen.» Inzwischen gilt die Moderatorin als geheilt.
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Augsburg/Pfaffenhofen an der Ilm , 02.06.2024: Es sind erschreckende Bilder aus dem Süden Deutschlands. Hüfthoch stehen Menschen in den Fluten.
In Teilen Bayerns spitzt sich die Hochwasserlage zu: In mehreren Orten sind Menschen aufgefordert worden, sich in Sicherheit zu bringen.
Ein 42 Jahre alter Feuerwehrmann ist laut Landratsamt bei einem Einsatz in Oberbayern in Pfaffenhofen an der Ilm verunglückt.
Unterdessen ist nun auch die Bundeswehr im Hochwassereinsatz. Im Landkreis Dillingen a.d. Donau unterstützten nach Angaben der dortigen Behörden rund 70 Soldaten beim Befüllen von Sandsäcken.
Und der Deutsche Wetterdienst erwartet weiteren Regen. Die Unwetter der vergangenen Tage haben mancherorts binnen 24 Stunden mehr Regen fallen lassen, als im Durchschnitt in einem Monat erwartet wird.
In Baden-Württemberg atmen unterdessen die ersten Einsatzkräfte vorsichtig auf. Ein ICE, der im Schwäbisch Gmünd wegen eines Erdrutsches in der Nacht engleiste, soll im Laufe des Mittags geborgen werden. Verletzt wurde niemand.
In Bayern ist die Lage weiter angespannt. Ein Vertreter der Feuerwehr sagt, im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm herrsche aktuell ein unberechenbares Hochwasser, das man so auch noch nie verzeichnen habe. Die Prämisse laute nun: Schutz von Leib und Leben.
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