Experte erklärt«Beim Homeoffice befinden wir uns in einer schwierigen Phase»
Von Julia Käser
14.12.2020
Sehr viele Menschen arbeiten wieder von zu Hause aus. Laut einem Experten wird die Sache mit dem Homeoffice gerade im Winter nicht einfacher. Und: Je länger das Ganze dauert, desto stärker leidet der Teamgeist.
Der Bundesrat empfiehlt es, in einzelnen Kantonen ist es bereits wieder Pflicht: das Arbeiten von zu Hause aus. Im Interview mit «blue News» erklärt Experte Johann Weichbrodt wieso die Homeoffice-Herausforderung zunehmend grösser wird – und wie man sich das mobile Arbeiten erleichtern kann.
Die Tage werden kürzer, die Zeit im Homeoffice dauert an: Wie geht es den Menschen damit?
Tatsächlich befinden wir uns punkto Homeoffice zurzeit in einer schwierigen Phase. Die psychische Belastung nimmt zu. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits gehen die kälteren Monate mit einer Häufung von depressiven Verstimmungen einher. Andererseits gibt es jetzt – anders als im Frühjahr – eine grosse Debatte darüber, welche Massnahmen nun nötig und richtig sind. Schliesslich wissen wir nicht, wie lange das Ganze noch dauert und folglich Homeoffice angesagt ist.
Diverse Studien stellen dem Homeoffice aber ein gutes Zeugnis aus ...
Johann Weichbrodt
Bild: zVg
Dr. Johann Weichbrodt ist Organisationspsychologe an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW und Mitglied der Forschungsgruppe «Gestaltung flexibler Arbeit».
Das stimmt. Jedoch wurden die allermeisten Befragungen im Frühjahr oder Sommer durchgeführt. Da war die Einstellung gegenüber dem Homeoffice positiver. Im Frühling war es auch eine Art Experiment. Im Zentrum stand es, möglichst gut und schnell durch diese Krise zu kommen. Im Sommer, als sich die Lage zwischenzeitlich verbesserte, war das Homeoffice dann grösstenteils freiwillig – das steigert die Zufriedenheit.
Nun arbeiten aber viele Menschen wieder strikt von zu Hause aus. Wie verändert das das Verhältnis zu den Arbeitskolleginnen und -kollegen?
Der Teamzusammenhalt leidet zunehmen. Insbesondere der informelle Austausch ist online viel schwieriger herzustellen. Das virtuelle Feierabend-Bier funktioniert eher schlecht als recht. Es widerstrebt uns, geplant zu plaudern oder Spass zu haben. Eine Möglichkeit ist es, zu Beginn eines Meetings Raum für Informelles zu schaffen. Man könnte etwa in die Runde fragen, wer etwas zu erzählen hat. Natürlich sollte das Ganze nicht zu lange dauern, damit das Arbeiten effizient bleibt.
Effizienz ist wichtig, gibt es aber nicht auch Menschen, die es übertreiben?
Auf jeden Fall. Man ist dazu verleitet, zu viel zu arbeiten. Bereits vor der Pandemie liess sich feststellen, dass im Schnitt mehr Arbeitsstunden geleistet werden, wenn Menschen mehr mobil arbeiten. Viele von uns sind es gewohnt, sich an von aussen gesetzte Grenzen zu halten. Mittagspause beispielsweise wird im Team häufig um 12 Uhr gemacht, mit der Arbeit beginnt man, sobald man im Büro ist.
Diese Grenzen fallen im Homeoffice weg – was kann man tun, um nicht viel zu viel zu arbeiten?
Sich selbst Grenzen setzen, auch wenn das alles andere als einfach ist. Das hängt mit den allgemeinen Selbstmanagement-Kompetenzen zusammen. Vor allem, wenn man allein lebt, hat man wenig von aussen vorgegebene Struktur im Alltag – mit einer Familie ist das tendenziell leichter. So schwer es einem auch fallen mag, eine gewisse Ritualisierung hilft.
Was kann ich konkret tun, um mir das Arbeiten zu Hause zu erleichtern?
Trotz Kälte raus an die frische Luft, gesunde Ernährung – alles, was man so hört. Es geht darum, sich eine gesunde Routine zu erarbeiten. Man sollte sich fragen: Was will ich jeden Tag tun, das mir guttut, obwohl es vielleicht ein wenig Überwindung kostet. Das können regelmässige Pausen oder feste Anfangszeiten sein. Und: Manchmal hilft das Gegenteil von Routine. Versuchen Sie einmal, den Arbeitsplatz innerhalb der Wohnung zu wechseln oder stehend zu arbeiten.
Sie haben es gesagt, die Corona-Massnahmen sind viel umstrittener als im Frühling. Was tun, wenn es zu Konflikten mit den Arbeitsgspänli kommt?
Heikle Themen sollte man niemals schriftlich besprechen. Ist man genervt, empfiehlt es sich, gut durchzuatmen und die Sache per Videotelefonie zu erklären, wo man sich auch ins Gesicht schauen kann. Wie immer sollte man sich fragen, wo genau das Problem liegt und die Situation gut reflektieren. Im Gespräch geht es darum, seine Sicht der Dinge deutlich zu machen, aber auch zuzuhören.
Sind in der jetzigen Situation vor allem die Vorgesetzten gefordert?
Natürlich tragen sie die Verantwortung für die Mitarbeiter. Meiner Meinung nach funktioniert mobiles Arbeiten aber nur dann, wenn Verantwortung auch durch jede oder jeden Einzelnen sowie im Team übernommen wird.