Kolumne «Du chasch mir eifach Sie säge»

Von Marianne Siegenthaler

28.9.2020

Im Restaurant ist Duzen okay, auf der Bank findet das unsere Kolumnistin jedoch unangemessen. (Symbolbild) 
Im Restaurant ist Duzen okay, auf der Bank findet das unsere Kolumnistin jedoch unangemessen. (Symbolbild) 
Bild: Keystone

Die Credit Suisse will ihr Image auflockern und darum ihre Kunden duzen – unsere Kolumnistin findet das ziemlich daneben.

Diese Nachricht schlug fast schon wie eine Bombe ein: Die Bänkler der Credit Suisse wollen die Kundinnen und Kunden in Zukunft duzen und damit Lockerheit und Nähe symbolisieren.

Inzwischen hat die Bank zwar einen Rückzieher gemacht. Die Basisansprache ist das Du, aber wenn der Kunde sich mit Nachnamen vorstellt, wird er gesiezt. Und das ist gut so.

Denn mein Bankberater ist nicht mein Kumpel, und von der Finanzbranche erwarte ich Seriosität und Zuverlässigkeit. Was, wenn die mit meinem sauer verdienten Geld so locker umgehen, wie sie sich künftig mit gegenüber geben wollen? Nein danke.

Mehr Teamgeist?

Neu ist das Du am Arbeitsplatz nicht. Als Paradebeispiel für die Du-Kultur gilt das schwedische Möbel-Unternehmen Ikea. Vom Hubstaplerfahrer bis zum obersten Chef sprechen sich alle mit Du an. Und nicht nur sie: Auch Kundinnen und Kunden mussten sich in den 1980er-Jahren erst daran gewöhnen, in Inseraten und Werbespots geduzt zu werden. Die Idee hinter dem Du im Betrieb: Es soll den Teamgeist fördern und das Zusammengehörigkeitsgefühl verbessern.

In einigen Branchen wie im Gastgewerbe, in der Werbung, den Medien oder auf dem Bau ist es denn auch selbstverständlich, dass sich alle von Anfang an duzen. Ob das tatsächlich eine positive Wirkung auf das Betriebsklima hat, wage ich zu bezweifeln. Ich hatte jedenfalls auf den verschiedenen Redaktionen, auf denen ich gearbeitet habe, nie den Eindruck, dass das Du die Stimmung verbessert hätte.

Duzen auch ohne Verbundenheit

Früher war das Du ein Freundschaftsbeweis und ein Zeichen für die Aufnahme in den Freundeskreis, das oft auch mit einem Ritual verbunden war. Man stiess mit einem Glas Wein an und küsste sich, um das Du zu besiegeln. Heute ist das anders. Ein paar wenige Gemeinsamkeiten – ein Hund, Kinder, derselbe Arbeitsweg – reichen schon aus, um sich genügend miteinander verbunden zu fühlen und sich zu duzen. Und manchmal braucht’s nicht mal das.



Aber obwohl wir es in Sachen Anrede lockerer nehmen als früher, Unsicherheiten bestehen nach wie vor. Wer sich nicht fürs Siezen oder Duzen entscheiden kann, greift gerne zur Verlegenheitslösung Ihrzen. In einigen wenigen Schweizer Dialekten ist diese Form auch für Personen, die man siezt, durchaus üblich und legitim. Im Zürcher Dialekt aber wird das Ihr zu einer Einzelperson eher als eine Art verstecktes Duzen verstanden. Es wirkt also im besten Fall unbedarft, im schlechtesten herablassend und respektlos.

Ich habe kein Problem, wenn mich beispielsweise in einem Restaurant der Kellner duzt. Aber Ihrzen geht gar nicht. Fragt mich der Kellner «Händer scho bschtellt?», dann muss er sich nicht wundern, wenn ich antworte: «Du chasch mir eifach Sie säge.»

Zur Autorin: Marianne Siegenthaler ist freie Journalistin und Buchautorin. Wenn sie grad mal nicht am Schreiben ist, verbringt sie ihre Zeit am liebsten im, am und auf dem Zürichsee.

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