Hippe Drinks Von alpin bis maritim  – die neue Aromenvielfalt im Gin-Glas

Heidemarie Pütz, dpa

14.8.2020

Die wenigsten geniessen Gin pur, lange kam er als Gin & Tonic ins Glas. Doch das Image des Wacholderschnapses hat sich gewandelt. Dank Gurke im Glas und bunter Sorten fasziniert er als Teamplayer.

Aus dem Gin-Glas duftet es für eine Teilnehmerin leicht nach Kiefer. «Die Mischung aus Heublumen und mentholhaltigen Wacholderbeeren erinnert an den Nadelbaum», erklärt Thomas Weinberger von der Destillerie Lantenhammer im bayerischen Hausham beim Online-Tasting.

Statt beim Workshop auf die Voralpen schauen zu können, sitzt in Corona-Zeiten jeder zuhause vor seinem Rechner. Davor steht eine Batterie von Gläsern, Probeflaschen, verschiedene Tonics, Eiswürfel sowie Zitrone, Gurke und Kräuter für den Cocktail.

Der Gin-Experte Thomas Weinberger erscheint formatfüllend auf dem Monitor. Er führt 150 Minuten lang kenntnisreich und unterhaltsam durch die Welt des Gins. «Das Image des Wacholdergetränks hat sich rapide gewandelt», erzählt er.

Fast jeden Tag kommen neue Sorten auf den Markt. Die Renaissance erklärt der Fachmann damit, dass Gin leicht zu mixen ist. «Trends entstehen an der Bar», betont er. Die Wende hätte vor allem ein Gin-Cocktail mit Gurke im Glas gebracht, jeder wollte an der Bar so ein Getränk haben.

Hipper Drink für jeden Geschmack

Gin ist auch deshalb angesagt, weil für jeden Geschmack etwas dabei ist. Die Spirituose wird inzwischen in fast jedem Stil hergestellt: klassisch wie Gordon's und Bombay Sapphire in der blauen Flasche.

Oder im sogenannten New Western Style wie der schottische Hendrick's mit Gurken- und Rosenessenzen, und fassgereifte Varianten wie der im Rieslingfass gelagerte bayrische K-Gin mit alpinen Kräutern.



Beim Gin hat der Barkeeper die Möglichkeit, fast jeden zu erreichen. Für Liebhaber klassischer Gins gibt es London Dry Gin, dem nach der Destillation maximal 0,1 Gramm Zucker pro Liter hinzugefügt werden darf. «Wer auf fruchtige Noten steht, nimmt einen mit Himbeernote oder einen Sloe Gin, der als Gegenspiel zur bitteren Schlehe etwas Süsse hat», sagt Eric Bergmann, Barkeeper und Geschäftsführer der Bar «Jigger & Spoon» in Stuttgart.

Tasting mit Historie: Soldaten brachten Vorläufer mit

Weinberger streift beim Tasting die Historie: Das Wort Gin ist vom lateinischen Namen des Wacholders «Juniperus» abgeleitet beziehungsweise vom Gin-Vorläufer Genever, den Hollands Brenner bereits Anfang des 17. Jahrhunderts herstellten. Vom Kontinent heimkehrende englische Soldaten brachten den vorwiegend mit Wacholder aromatisierten Schnaps nach England, wo er zum Gin wurde.

1736 musste das englische Parlament den Strassenverkauf des billigen Volksgetränks wegen ausbreitender Trunksucht verbieten. Die Obrigkeit hob den Bann aber bald wieder auf, weil illegal gebrannter Gin noch schädlicher war und Geld für die Kriegskasse gebraucht wurde.

Der Wacholderschnaps überstand diese Zeiten – und auch die Verdrängung durch Wodka von 1960 bis 1990. Die im Prinzip wenig aufwendige Herstellung führte inzwischen zu einer Flut neuer Gin-Marken. Es bedarf keiner langen Reifezeit wie bei Whisky oder Rum. Die Basis ist landwirtschaftlicher Alkohol, meist aus Getreide.



Beim Destillieren nimmt der Brand das Aroma der beigefügten Wacholderbeeren auf. Die EU definiert, dass der Wacholdergeschmack vorherrschend bleiben muss, auch wenn Gin mit weiteren Aromastoffen erneut gebrannt und damit «Destillierter Gin» wird.

Aromen kommen erst ab 40 Umdrehungen zu Geltung

Die Qualität eines Gins erkennen Experten unter anderem am Alkoholgehalt: Die Verordnung schreibt mindestens 37,5 Volumenprozent vor. Für Thomas Weinberger und Eric Bergmann wird es aber erst ab 40 Volumenprozent interessant. Dann erst kämen die Aromen zur Geltung.

Der international bekannte Gin-Kenner Dave Broom nennt in seinem Buch «How to drink Gin» die Brenner «eine Mischung aus Chemiker und Künstler». Deren Nase, Geschmacksknospen und Können entscheiden über die Wahl der pflanzlichen Zutaten, der Botanicals, mit denen der Basisbrand aromatisiert wird. Ausser Wacholder sei die Anzahl weiterer Botanicals nach EU-Verordnung nicht gedeckelt, sagt Weinberger.

Der Auswahl von Aromen sind keine Grenzen gesetzt, darunter finden sich Brennnessel, Zirbenzapfen, Mädesüss, Kratzdiestel und Zuckertang. «Bei klassischen Gins liegt die Anzahl der Botanicals in der Regel unter 20. Beim New Western Style geht die Zahl nach oben. Bei 94 verschiedenen Aromen braucht es Experten, um das zu schmecken», erläutert Bergmann. Für Weinberger ist weniger mehr: «Zehn bis zwölf ist gut, alles darüber ist Spielerei.»

Beim Online-Tasting wird allen Teilnehmern klar, dass Gin eine komplexe Spirituose ist. Ihn pur zu verkosten, eröffnet neue Duft- und Geschmackswelten. Nur wer seinen Gin kennt, weiss auch, wie er ihn am besten trinkt. Und weiss, welches Tonic Water für seinen Gin & Tonic passt, so Weinberger. Der Mix bestehe zwar nur aus zwei Komponenten und der Garnitur, aber jeder könne ihn nach seinem Geschmack zubereiten.

Glas zuerst immer randvoll mit Eiswürfel füllen

Zuerst füllt man das Glas randvoll mit minus 18 Grad kalten Eiswürfeln auf, giesst 4 bis 6 cl (Zentiliter) Gin darüber, füllt langsam mit gekühltem Tonic auf und garniert dann. Viel Eis hält besser die Kälte, sodass das Getränk nicht so schnell verwässert. Ein Tonic mit viel Kohlensäure sorgt für einen nachhaltigeren Geschmack.



Bei der Garnitur sollte man ein Botanical nehmen, das das vorherrschende Aroma des Gins widerspiegelt: etwa Zesten von Zitronenschalen oder auch Gurkenscheiben. Weinberger mahlt beim klassischen Gin einen Hauch getrockneter Wacholderbeeren ins Glas. So nimmt die Nase die dominierende Note wahr.

Gin wird man jedoch nicht gerecht, wenn man ihn nur mit Tonic trinkt. Man kann auch mit Ginger Beer mixen und eine Limette als Garnitur nehmen. Oder mit Gurkenlimonade mischen und Gurke dekorieren. Dazu schneidet Weinberger mit dem Sparschäler ein langes Stück von der Gurke und twistet es wie eine Schnecke um einen Holzspiess, den er in das Longdrink-Glas steckt.

Gin funktioniert in vielen Mixgetränken, zum Beispiel als Gin Soda, Cosmopolitan oder Gin Fizz. Für seinen Cosmo 1934 nimmt Eric Bergmann 5 cl 47-prozentigen London Dry Gin, 2 cl frisch gepressten Zitronensaft, 1 cl Bitterorangenlikör und 1 cl Himbeersirup. Alle Zutaten auf Eis shaken und sie durch ein feines Sieb in eine Champagnerschale sieben.

So steht einem entspannten Abend nichts mehr im Wege.


Literatur: Frédéric Du Bois, Isabel Boons, Anke Wagner-Wolff (Übers.): Gin & Tonic. Das ultimative Handbuch für den perfekten Mix; Gerstenberg Verlag, München 6. Auflage 2018, ISBN-13: 978-3-8369-2125-1

Dave Broom: How to drink Gin. Vom Mixen und Trinken; Hallwag, München 6. Auflage 2019, ISBN-13: 978-3-8338-5592-4

Aaron Knoll: Der Ginatlas; Hallwag, München 2018, ISBN-13: 978-3-8338-6526-8

Bernhard Schäfer: Gin. Geschichte, Herstellung, Marken. Hallwag, München 2. Auflage 2018, ISBN-13: 978-3-8338-5875-8

Kim Walker, Mark Nesbitt: Was wäre Gin ohne Tonic? Die Geschichte des prickelnden Erfrischungsgetränks; Gerstenberg Verlag, München 2020, ISBN 978-3-8369-2172-5

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