InterviewJon Stewart: «Wenn es jetzt keine Reformen gibt, werden wir ins Chaos abdriften»
Von Marlène von Arx, Los Angeles
25.7.2020
Vom Meteorologen zum Klimaforscher? Der US-Komiker Jon Stewart erklärt, wieso er kein Bedürfnis hat, Trumps tägliche Fauxpas zu kommentieren – und was das mit dem Wetter zu tun hat.
Jon Stewart (57) hat mit seiner satirischen News-Sendung «The Daily Show» den Weg für die politischen Late-Night-Talk-Stars wie Stephen Colbert, John Oliver, Samantha Bee und Trevor Noah frei gemacht.
Vor fünf Jahren hat er sich mit seiner Familie auf eine Farm zurückgezogen, wo er sich um misshandelte Tiere kümmert. Ab und zu meldet er sich mit einem Film im Showbusiness zurück. Wie jetzt mit der Polit-Satire «Irresistible» mit Steve Carell, Chris Cooper und Rose Byrne in den Hauptrollen.
Sie sitzen in einem relativ dunkeln Raum vor einer Wandtafel. Wo befinden Sie sich gerade?
Auf dem Dachboden in meinem Haus in New Jersey. Das war der Spielraum meiner Kinder. Aber inzwischen sind sie älter geworden und ich bin zu den Nagetieren hier oben verbannt worden.
Sie haben ‹The Daily Show› und Ihre treffenden Kommentare zum Zeitgeschehen vor fünf Jahren hinter sich gelassen. Vermissen Sie es, die zum Teil haarsträubende Politik der Trump-Administration nicht durch ihren Comedy-Filter spülen zu können?
Nein, die Leute mögen ja denken, wenn man nicht am Fernsehen ist, existiert man nicht. Ich empfinde das nicht so. Nach sechzehn Jahren ‹The Daily Show› fühlte ich mich wie ein TV-Meteorologe: Ich kommentierte das politische Tageswetter, während die Politik immer korrupter und ätzender wurde. Anstelle des aktuellen Wetters möchte ich nun lieber das Klima anschauen, das zu diesem Dauerregen führt.
Und wie machen Sie das?
Mit meinem neuesten Film ‹Irresistible› zum Beispiel, indem wir anhand eines Bürgermeister-Wahlkampfs in einer Kleinstadt das System ausleuchten, das uns diese korrupten Resultate liefert. Als ich mit ‹The Daily Show› anfing, war die Welt noch analog. Die Digitalisierung hat die Probleme in unserem Wahlsystem und unsere Fähigkeit zu regieren noch mehr vorangetrieben. Inzwischen ist eine Industrie um Wahlen herum entstanden, die sich um Milliarden bereichert, während sie sich von den Bedürfnissen des Volkes immer weiter entfernt.
Können Filme denn da etwas ändern?
Wenn ich die effektivste Art für eine Veränderung anstreben würde, wäre ich wohl nicht Satiriker geworden. Für Veränderungen braucht es Leute an der Front. Aber es gibt einen Platz, für das, was ich mache und ich versuche, es so ehrenhaft wie möglich zu tun. Ich hoffe, es trägt etwas zur Diskussion bei und es bringt etwas Klarheit in all den Lärm.
Lärm?
Lärm wird heute systematisch belohnt, ob in der Politik oder im Alltag: Wenn Sie eine Kreditkarte bestellen, kriegen sie ein ganzes Büchlein dazu mit unverständlichem Zeug; das gleiche Chinesisch bei der Krankenkassenabrechnung. Das ist absichtlicher Lärm, damit man die Ungerechtigkeiten dahinter nicht entdeckt. Aber das Fass beginnt überzulaufen.
«Anstelle des aktuellen Wetters möchte ich nun lieber das Klima anschauen, das zu diesem Dauerregen führt.»
Beim Rassismus führte das überlaufene Fass bereits zu Ausschreitungen. Wie geht’s nun weiter?
Das System der Ungleichheit, das wir 400 Jahre lang aufbauten, wird sich nicht über Nacht verändern, nur weil bei der Polizei der Würgegriff verboten wird. Ein Land, das behauptet, so besonders zu sein, kann eine permanente wirtschaftliche Unterklasse basierend auf der Rasse nicht akzeptieren. Es geht nämlich nicht nur um Gleichberechtigung, sondern auch um das Eigenkapital, das Schwarzen seit je verwehrt wird. Man muss mal das Problem richtig diagnostizieren.
Sie haben einen Sohn und eine Tochter im Teenager-Alter. Wie erklären Sie ihnen, was in den USA in der Politik, den hohen Coronazahlen, der ‹Black Lives Matter›-Bewegung abgeht?
Für Teenager ist es nicht einfach, eine Perspektive zu haben, wenn die Welt aus den Angeln zu geraten droht. So erzähle ich ihnen Geschichten aus meiner Kindheit, als Robert Kennedy und Martin Luther King ermordet wurden und der Vietnam-Krieg wütete. Wir kämpfen schon seit Ewigkeiten gegen unsere schlimmsten Instinkte und Dämonen. Das ist jetzt nicht anders. Aber ganz aus dem Ruder wird die Welt auch jetzt nicht laufen. Und dann sagen wir ihnen, dass sie die Chance haben, zu verbessern, was wir nicht schafften und sie dürften jetzt abwaschen gehen. Was sie dankend ablehnen – und dann waschen meine Frau und ich das Geschirr ab.
«Für Teenager ist es nicht einfach, eine Perspektive zu haben, wenn die Welt aus den Angeln zu geraten droht.»
Sind Sie optimistisch, dass eine grundlegende Systemveränderung in Ihren Lebzeiten stattfinden wird?
Ja, ich bin hoffnungsvoll. Es gibt jetzt eine Energie in den Strassen, die es vorher nicht gab. Wenn es jetzt keine Reformen gibt, werden wir weiter und weiter ins Chaos abdriften. Grossartigkeit, wie wir sie gerne für uns in Amerika in Anspruch nehmen, ist verdient. Man muss die Dinge immer wieder verbessern, sonst bleibt man stehen und geht unter. Der Feind ist die Selbstzufriedenheit, aber die nächste Generation lässt die ganz oben, das Fundament, auf dem sie stehen, nicht vergessen. Da bin ich optimistisch.
Wo sind Sie persönlich an der Front engagiert?
Wir haben eine Farm für misshandelte Tiere und ich arbeite mit Veteranen-Gruppen zusammen. Der direkte Kontakt und das direkte Gespräch scheint mir oft bedeutungsvoller und wirksamer als die Predigt von der Kanzel einer TV-Show. Die schien mir mit der Zeit auch egoistisch.
Wieso egoistisch?
Mir geht’s nach einer Tirade vielleicht besser, aber wem nützt das sonst noch etwas? Ich hatte alles gesagt, was ich zu sagen hatte. Deshalb brauchte die Show eine neue Stimme.
Die hat sie ja in Trevor Noah gefunden. Was halten Sie von Ihrem Nachfolger bei ‹The Daily Show›?
Ich bin sehr beeindruckt von seinen Resultaten. Er hat eine andere Perspektive, eine neue Energie und ist darauf bedacht, die Show weiterzuentwickeln. Und das ist richtig und wichtig.