Spektakuläres «Tatort»-Finale Herrschen wirklich «türkische Zustände» in Luzern?

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27.10.2019

Mit einer Breitseite gegen Medienbetrieb und Schweizer Elite verabschiedet sich der Luzerner «Tatort». Doch wie realistisch ging es im letzten Fall der Kommissare Flückiger und Ritschard zur Sache? Und wer folgt auf die beiden Ermittler?

Ein Anschlag auf dem Vierwaldstättersee, Klüngelei in der Schweizer Elite – und ein schlagzeilengeiler Medienbetrieb, der auch vor Verschwörungstheorien nicht zurückschreckt: Der «Tatort» aus Luzern verabschiedete sich nach acht Jahren und 17 Episoden angemessen spektakulär. Doch wie realistisch gestaltete sich der letzte Fall «Der Elefant im Raum»? Gibt es wirklich «türkische Zustände» in der Schweiz? Und wer folgt auf Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer)?

Worum ging es?

Auf dem Vierwaldstättersee hatte sich die Stadt-Elite aus Politik und Wirtschaft zum Dampfer-Dinner versammelt und gegenseitig beschworen («global denken – lokal handeln»). Ebenfalls geladen: Flückigers Freundin Eveline (Brigitte Beyeler), deren dauergenervter Liebster sie nur ungern zu der Veranstaltung begleitete. Prompt geriet das Edel-Event zum Krimischauplatz: Ein mutmasslicher Anschlag erschütterte das Schiff, Scheiben gingen zu Bruch, Rauch, Panik, schliesslich ein toter Kapitän und ein von Bord verschwundener Kantonsrat.

Jener Politiker, Bernhard Ineichen (Martin Hug), war nicht mehr aufzufinden – und gelangte zunächst als Tatverdächtiger in den Fokus der Ermittlungen. Doch bald schon wurde der Mann, der sich gegen Korruption und Vetternwirtschaft einsetzte, tot im Fluss gefunden. Ein noch mieser als sonst gelaunter Flückiger und eine von heftiger Erkältung geplagte Ritschard standen nicht nur vor einem rätselhaften finalen Fall, sondern auch mitten in einem dichten Geflecht aus Macht, Lügen und Interessen.



Worum ging es wirklich?

Um die Klüngelei zwischen Politik, Wirtschaft, Medien und Polizei – und deren (angebliche) Aufdeckung: In der zweiten Hälfte des «Tatorts» stand das «alternative» Medienportal «Veritas News» im Mittelpunkt, dessen ominöser Chef Frédéric Roux (Fabian Krüger) sich der angeblichen Aufklärung politisch-ökonomischer Verschwörungen verschrieben hat. Seine Online-Seite titelte mit Schlagzeilen wie «Türkische Zustände in Luzern: Terror gegen freie Presse» und sah sich von Polizei und Staat unterdrückt.

Dabei zog «Der Elefant im Raum» die wilden Verschwörungstheorien vor allem ins Lächerliche – etwa als Fantasien von Fanatikern mit Schweinemaske («Unser Land ist in der Hand einer unersättlichen Elite»). Doch wurden die Zusammenhänge der oberen Zehntausend nicht einfach abgetan: «Die Rüstungskonzerne sind – ob einem das jetzt passt oder nicht – ein wichtiger Faktor der Luzerner Wirtschaft», heisst es an einer Stelle. Die heiklen Fragen dahinter: Wie viel Verschwörung existiert im Schweizer Establishment tatsächlich? Und welche Informationen basieren auf Lügen, die dubiosen Medienportalen Klicks bringen?

Und wie realistisch war das Ganze nun?

Zwar zeigte sich der «Tatort» aus Luzern wie so oft ein wenig klischeelastig – etwa in der Darstellung von Alternativ-Journalist Roux, der fies grinsend drohte und in dunklen Redaktionsräumen geheime Nachrichten leakte. Andererseits: Dass alternative Portale Klüngelei und Korruption in Politik und Wirtschaft aufdecken können, wissen wir spätestens seit Julian Assange und Wikileaks, das von Steueroasen bis Waffenhandel allerlei Fragwürdiges und Illegales ans Tageslicht brachte. Allerdings ist ebenfalls festzustellen: In ähnlicher Aufmachung wie «Veritas News» gerieren sich gängige Portale der sogenannten «Truther»-Szene, die sich nicht selten in Verschwörungstheorien ergehen. Auch aus Sicht dieser «Wahrheitssucher», deren Verstrickungen bisweilen in die rechte Szene reichen, versuchen Staat und Wirtschaft kritische Stimmen zu unterdrücken.

Derweil existieren in der Schweiz wie überall natürlich Lobbyismus und diverse Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft, bisweilen wohl auch Korruption und Klüngelei, wie etwa der FIFA-Skandal zeigte. Doch «türkische Verhältnisse», wie das News-Portal im «Tatort» meint, kann man den Eidgenossen wahrlich nicht unterstellen. Auch eine grosse Waffenindustrie ist in Luzern nicht zu finden – wohl aber in Bern. Dort ist der Hauptsitz des grossen bundeseigenen Schweizer Rüstungsbetriebs RUAG. Insgesamt gibt es in der Schweiz etwa 300 Rüstungskonzerne – mit Interessen, selbstverständlich.

Wie endete die Ära des Luzerner «Tatorts»?

Erst spektakulär, dann versöhnlich. Flückigers Ausstieg erinnerte an ein bekanntes Narrativ; der erfahrene Bulle alter Schule, der am System und «denen da oben» zerbricht. Die Ambivalenz, der sich der Ermittler zwischen medialer Öffentlichkeit, Aufklärungsdruck und den Grenzen zum Legalen stellen muss, schien den scheidenden Kommissar geradezu zu zerreissen. Zwischen Aufmerksamkeits- und Waffenökonomie ermittelt es sich besonders schwer. Am Ende opferte er sich noch mal, schien schon tot – war dann aber entspannt wie nie am See zu sehen. Wirklich schön auch Flückigers und Ritschards letzte Worte als «Tatort»-Duo: «Blöd, dass du keine Frau bist», so die Ermittlerin. Ihr Kollege darauf: «Nobody is perfect.»

Wie geht es mit dem Schweizer «Tatort» nun weiter?

Zwar übernimmt in einer der letzten Szenen nach dem Ausstieg Flückigers seine Kollegin Ritschard die Leitung des Kommissariats. Dennoch ist für den «Tatort» aus Luzern, der die schlechtesten Einschaltquoten aller Teams verzeichnete, nach 17 Episoden Schluss. Ab kommendem Jahr geht es mit dem neuen Team Anna Pieri Zuercher und Carol Schuler in Zürich weiter. Wahlberlinerin Schuler, geboren 1987 in Winterthur, übernimmt den Part der Fallanalytikerin Tessa Ott, die in der grössten Schweizer Stadt erstmals als Ermittlerin arbeitet. Ihr zur Seite steht Zuercher, geboren 1979 in Bern, als erfahrene Kommissarin Isabelle Grandjean, die zuvor am Internationalen Strafgerichtshof Den Haag tätig war.

Der erste Fall der beiden neuen Schweizer Ermittlerinnen soll voraussichtlich im Herbst 2020 ausgestrahlt werden.

Der «Tatort: Der Elefant im Raum» lief am Sonntag, 27. Oktober, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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