«Tatort: Angriff auf Wache 08» Hat Ulrich Tukur einen neuen «Tatort»-Leichenrekord aufgestellt?

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20.10.2019

Der «Tatort» mit Ulrich Tukur war nicht nur eine Hommage an John Wayne, sondern auch eine blutige Angelegenheit. Doch übertraf der Krimi des Hessischen Rundfunks seinen eigenen Leichenrekord des Jahres 2014?

Blinde Rache, übermenschlicher Mut, grosse Freundschaft und romantische Liebe im Angesicht des Todes. Es waren die grossen Themen des amerikanischen Genrekinos, die Ulrich Tukur und sein wagemutiges Team vom Hessischen Rundfunk im fast schon erwartet ungewöhnlichen Murot-«Tatort» mit dem Titel «Angriff auf Wache 08» aufspannten. Der Film war ein Western mit Peter Kurth («Babylon Berlin») als John Wayne. Er ehrte den Actionregie-Philosophen John Carpenter, es wurden Waffen verherrlicht und stapelweise Leichen produziert. Also extrem politisch unkorrekt, das Ganze. Und womöglich schaffte «Angriff auf Wache 08» auch einen neuen «Tatort»-Leichenrekord ... – Den aktuellen hält Tukur selbst mit, je nach Zählweise, 47 bis 53 Toten im Zuge seines Falles «Im Schmerz geboren» (2014).

Worum ging es?

Eigentlich wollte Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) auf dem Weg in den Urlaub nur seinen alten Freund Walter Brenner (Kurth) besuchen, den er von gemeinsamen Zeiten beim BKA während der 80-er kennt. In einer verlassenen Peripherie zwischen Frankfurt und Offenbach arbeitet Brenner mit seiner Kollegin Cynthia Roth (Christina Grosse) in einer stillgelegten Dienststelle, die als Polizeimuseum dient. Als sich ein junges Mädchen (Paula Hartmann) in das Gebäude flüchtet, die in Notwehr einen Gangster erschossen hat, umstellt eine gesichtslose Masse von Killern das Gebäude, um die darin eingeschlossene Gruppe von Menschen, zu denen auch ein mit Reifenpanne gestrandeter Gefangenentransport gehört, zu töten. Blöderweise ist die Gegend verlassen – und sämtliche Kommunikationsmittel sind gekappt.

Worum ging es wirklich?

Um eine Hommage an grosse, ein wenig in Vergessenheit geratene Action-Filmkunst der 70er-Jahre. «Angriff auf Wache 08» ist ein Remake von John Carpenters existenzialistischem Thriller «Assault – Anschlag bei Nacht» (Originaltitel: «Assault on Precinct 13»). Im grimmigen Billig-Actionstreifen von 1976 spielte Carpenter («Die Klapperschlange», «The Fog – Nebel des Grauens») mit der dystopischen Idee des Endes einer staatlichen Ordnung. Ein Polizeirevier in einem von Banden beherrschten Gebiet von Los Angeles wird belagert und angegriffen. Die eingeschlossenen «Rechtsstaatler» sehen sich einer grossen Übermacht gesichtsloser Killer und Banditen gegenüber. Der Film gilt als einer der Lieblingsstreifen Quentin Tarantinos.

Worin unterscheidet sich der «Tatort» vom Original?

Viele Plot-Ideen des Drehbuchautors und Regisseurs John Carpenter behielten die «Tatort»-Macher Clemens Meyer (Drehbuch, er spielte auch Radiomoderator «Ecki») und Thomas Stuber (Regie, Drehbuch) bei: Das Eingeschlossensein einer zufällig zusammengewürfelten Gruppe, zu denen auch ein Trupp Strafgefangener gehört, gegen eine Killer-Übermacht. Die Flucht durch die Kanalisation. Das aufopferungsvolle Besiegen der Verfolger durch das Auslösen einer gewaltigen Explosion.

Es gibt aber auch Unterschiede: Im Original wird beim Eisverkäufer nicht der Vater, sondern das Mädchen erschossen. Der Vater rächt es und flieht in die Polizeiwache. Auch die Kommunikationsmittel sind zwischen 1976 und 2019 mehr geworden. Bei Carpenter reichte es aus, die Telefonleitungen zu kappen. Heute mussten die «Tatort»-Macher schon ein wenig umständlicher erklären, warum eine grosse Handy-Ebbe unter den Eingeschlossenen herrscht. Ist ihnen aber gelungen! Am besten bei Peter Kurths aufrecht altmodischer John Wayne-Figur, die lakonisch feststellt: «Ich hab' nicht mal E-Mail.»



Warum sieht Peter Kurth aus wie John Wayne?

Dass Walter Brenner (Peter Kurth) den älteren John Wayne gibt, kann jeder ältere Zuschauer sehen, der noch in einer Zeit aufwuchs, als klassische US-Western zu den Primtime-Highlights des deutschen Fernsehens gehörten. Den melancholischen Ordnungswächter alter Prägung, der mit Lebenswunden und chronischen Schmerzen kämpft (John Wayne litt bis zu seinem Tod 15 Jahre lang – auch während vieler Dreharbeiten – unter Magenkrebs), gibt Peter Kurth gewohnt intensiv. Doch die Rolle macht Sinn, ist doch schon Carpenters «Assault» eine Hommage an den Howard Hawks-Western «Rio Bravo» (1959) mit John Wayne und Dean Martin. In «Rio Bravo» verteidigen die beiden ein Gefängnis samt einsitzendem Mörder gegen eine Übermacht Gesetzloser.

Warum greifen die Killer ohne Rücksicht auf eigene Verluste an?

Die Idee einer anonymen Masse Angreifer, die gar nicht oder nur schemenhaft gezeigt werden, die sich zudem kaum gegen die Verteidiger schützen, sondern einfach so drauflos marschieren oder ihre Hände durchs Fenster hereinstecken, hatte John Carpenter von George A. Romeros Zombie-Klassiker «Die Nacht der lebenden Toten» (1968) übernommen. Nichts ist gruseliger als eine gesichtslose Horde Angreifer, denen das eigene Leben wurscht ist. Von dieser schockierenden Einsicht lebte bereits Carpenters Film «Assault». Auch im «Tatort» funktioniert die alte Schauderidee immer noch bestens. Genug der schreiend zu Tode kommenden Menschen. Im existenzialistischen Action-Thriller stirbt man winselfrei.

Schafft «Angriff auf Wache 08» einen neuen «Tatort»-Leichenrekord?

Nein, auch wenn der Film wohl gute Chancen auf Platz zwei hat. Der vielfach preisgekrönte Tukur-«Tatort: Im Schmerz geboren» von 2014 produzierte, je nach Zählweise, zwischen 47 und 53 Leichen. Bodycount-Experten kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, ob man nur «gezeigte Tode» oder sämtliche Leichen des Plots, also auch jene, die nur erwähnt werden, addiert. In «Angriff auf Wache 08» gibt es 20 Leichen plus jene, von denen man nur akustisch erfährt (Schuss durchs Dach) oder deren gewaltsames Ableben man erahnen kann.

Als «sichtbare» Tote treten auf: drei Gangster in der Anfangsszene (als Auslöser für die Rachestimmung unter den Outlaws), ein Eisverkäufer, ein Vater, sein Mörder, fünf Gefangene aus dem Transportwagen, drei «Schliesser» (Vollzugsbeamte) und sechs Angreifer. Nicht im Bild sterben – ziemlich sicher – Peter Kurths Brenner, der die Verfolger per Explosion aufhält. Auch zuvor bei den Angriffen auf die Wache dürfte es diverse Opfer unter den Angreifern gegeben haben. Ob sie sich freilich auf mehr als 23 summieren, was für einen neuen Rekord vonnöten wäre, ist eher unwahrscheinlich.

Wie geht es weiter für Ulrich Tukur und Kommissar Felix Murot?

Der nächste Fall mit Ulrich Tukur wurde bereits am 12. Juni 2019 abgedreht. Der Arbeitstitel lautet «Die Ferien des Monsieur Murot», wohinter sich eine Doppelgänger-Geschichte verbirgt. Murot lernt im Urlaub einen Gebrauchtwagenhändler kennen, der ihm wie ein Ei dem anderen gleicht. Beseelt vom kuriosen Aufeinandertreffen verbringen die beiden unterschiedlichen Männer einen feuchtfröhlichen Abend miteinander und tauschen die Kleidung. Am nächsten Tag ist Murots Doppelgänger tot. Stimmt es, dass dessen Frau (Anne Ratte-Polle) ihn umbringen wollte? Murot schlüpft in das Leben seines Zwillings – und will gar nicht mehr zurück in sein altes. Ein Ausstrahlungstermin für den neunten Murot-Fall ist noch nicht bekannt.

Der «Tatort: Angriff auf Wache 08» lief am Sonntag, 20. Oktober, um 20.05 Uhr auf SRFzwei. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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