«Tatort: Schoggiläbe» Wie der Schweizer «Tatort» nicht nur den Reichen den Spiegel vorhielt

tsch

28.2.2021

Geld macht wohl doch nicht so glücklich: Im zweiten Zürcher «Tatort: Schoggiläbe» untersuchten die Ermittlerinnen den Tod eines Schokoladenfabrikanten. Konfrontiert mit den Abgründen der Wohlhabenden wurde dem Publikum ein mächtiger Spiegel vorgehalten.

Neben spektakulären Gipfeln, schönen Tälern und wirtschaftlichem Aufschwung hat die Schweiz auch eine Menge Abgründe zu bieten. So jedenfalls scheint der Tenor der neuen «Tatort»-Folgen aus Zürich zu lauten. Blickte bereits die Premierenepisode auf soziale Proteste und Polizeigewalt der 80er-Jahre, warf nun auch der zweite Fall des Ermittlerinnen-Duos kein gutes Licht auf gewisse Realitäten der Alpenrepublik.

Immerhin widmete sich der wieder von Regisseurin Viviane Andereggen inszenierte Krimi diesmal einer weltweit beliebten Schweizer Spezialität: der Schokolade. Zur heimattümelnden Tourismuswerbung taugte der «Tatort: Schoggiläbe» dennoch keineswegs: Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) ermittelten im Fall eines getöteten Schokofabrikanten – und beleuchteten die Schattenseiten des eidgenössischen Wohlstands.

Worum ging es?

Hans-Konrad Chevalier, Unternehmer und Leiter einer Schokoladenfabrik, wurde ermordet in seinem Luxusanwesen am Zürichberg gefunden. Dort, wo die Schweizer Oberschicht die titelgebende Schokoladenseite des Lebens auskostet, führte der Chef ein eher depressives Dasein. Seine Homosexualität, so fanden die Ermittlerinnen heraus, musste er fern von Familie und Highsociety ausleben. Ein Suizid kam dennoch nicht infrage – schliesslich wurde er brutal erschlagen, zudem erschossen.



Ins Visier gerieten Tochter und Nachfolgerin Claire (Elisa Plüss), die das Testament des Vaters verschwinden liess, sowie dessen ebenfalls machthungrige Mutter Mathilde Chevalier (Sibylle Brunner). Als wäre das nicht genug, liess ein junger «Liebhaber» (Csémy Balazs) des Firmenchefs eine Beziehungstat wahrscheinlich werden – und dann war da ja noch der geheimnisvolle Mann im Hotel. Zumindest die Tatmotive und Familienverhältnisse stellten sich dann allerdings doch etwas anders dar ...

Worum ging es wirklich?

Zum einen um die Abgründe wohlhabender Familien: Da verheimlichte die Grossmutter der angeblichen «Enkelin», dass sie eigentlich ihre Mutter ist und somit der «Vater» ein Halbbruder seiner «Tochter». Komplexe Verwandtschaftsverhältnisse, die nur entstanden, um das Erbe der altehrwürdigen Schoggi-Fabrik zu bewahren. Dass die Alte ihren homosexuellen Sohn ablehnte und die Familienrangfolge lieber selbst in die Hand nahm, dürfte bei manchem Zuschauer jedenfalls klammheimlich zur Freude über ihren Tod geführt haben.

Zunächst schien es ausserdem, als hätte Homophobie auch den Mörder (Levente Molnar) umgetrieben. Der behauptete, es nicht zu ertragen, dass sein Bruder sich für reiche schwule Männer prostituierte («Ich wollte ihn erlösen»). Am Ende war die Lage noch viel komplizierter: Chevalier wollte letztlich doch sterben, traute sich nicht selbst und bat Andras Lakatos (Levente Molnar) um den «Gefallen», dem er eine lebensrettende OP finanziert hatte. Dass die Frankenscheine des Toten letztlich in der Zürcher Luft «umverteilt» wurden, verwies auf das grosse Thema der Regisseurin: die Widersprüche kapitalistischer Gesellschaften. Die Schweiz und ihr Reichtum liefern dahingehend eine gigantische Projektionsfläche.

Auf welche Missstände machte der Krimi aufmerksam?

Auf so einige – und das in der Hauptstory ebenso wie in Nebensträngen. Es ging um Familienimperien, Klassengesellschaft, Homophobie, gekaufte Körper und Migration. So geriet die Haushälterin Esmeralda Rivera (Isabelle Stoffel) zur möglichen Zeugin, die die Tat in der Villa ihres Chefs beobachtet haben könnte. Als sogenannte «Sans-Papier», also Migrantin ohne Papiere, traute sie sich jedoch nur zögerlich, mit der Polizei zu sprechen.

«Ein verbreitetes Problem, gerade am Zürichberg», sprach der Krimi hier die Illegalisierung von Einwanderung an – und lieferte zudem Wissenswertes: «Die Schulpflicht wird höher gewertet als ein Verstoss gegen das Ausländergesetz.» Der «Tatort» ging in seiner Gesellschaftskritik gar so weit, sich direkt an die Zuschauer zu wenden ...

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Warum sprachen die Hauptfiguren direkt mit den Zuschauern?

Es waren gewagte und experimentelle Szenen, die noch für Gesprächsstoff sorgen könnten: Mehrfach sprachen die Hauptdarstellerinnen direkt in die Kamera, um sich ans Publikum zu wenden. «Auf so was ist man in Zürich nicht vorbereitet», berichtete etwa Grandjean von einem Obdachlosen, den sie unter den Briefkästen ihres Hauses liegen sah. Gemacht habe sie nichts: «Ich bin zur Arbeit gegangen», gab sie zu, und fragte: «Was hätten Sie getan?»

An anderer Stelle konfrontierte Ott die Zuschauer mit den Privilegien der Sprösslinge reicher Familien, während Staatsanwältin Anita Wegenast (Rachel Braunschweig) süffisant die Charity-Events der Oberschicht kommentierte. Wie in einem kritischen Theaterstück hielt der neue Zürich-«Tatort» nicht nur den Schweizern konsequent den Spiegel vor.

Rauften sich die Ermittlerinnen diesmal zusammen?

Der Reichen-Krimi war prädestiniert dafür: Wie schon im ersten Zürich-«Tatort» stand auch diesmal die Herkunft der beiden Kommissarinnen im Mittelpunkt. Schliesslich führte der Fall Ott zurück in jenes noble Villenviertel, in dem sie aufwuchs. «Sie kennen sich hier aus», stichelte Grandjean, die aus der Arbeiterschicht stammt und ihrer Kollegin noch immer vorhielt, die Stelle nur aufgrund ihrer guten Kontakte erhalten zu haben. «Hier hat mein erster Freund gewohnt», entgegnete Ott stoisch. Die Familie des Toten lebte in der Nachbarschaft («Altes Geld») – man kennt sich eben.

Nicht nur diese Ambivalenz sorgte für dicke Luft: Ott scheiterte in einer Szene am Umgang mit der Waffe und setzte nicht nur ihren Job, sondern auch das Leben ihrer Kollegin aufs Spiel. Die wiederum liebäugelte schon jetzt mit der Kündigung: «Ich fühle mich hier in Zürich einfach nicht zu Hause. Diese Stadt ist ...» Auch wenn sie den Satz vielsagend offen liess – am Ende schien sich alles zum Besseren zu wenden.

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