Golden GlobesWie läuft das ab, wenn man die besten Filme mitwählen darf?
Von Marlène von Arx, Los Angeles
10.2.2021
Wer die Wahl hat, hat die Qual: Hollywood-Award-Shows sollen zugleich Promi-Schaulaufen und Wegweiser in einem kulturell angespannten Klima sein. Geht das überhaupt? Ein paar Gedanken dazu von unserer Hollywood-Korrespondentin, die bei den Golden Globes mitgewählt hat.
Mit Kevin habe ich schon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Wir sind noch Facebook-Freunde, die sich gegenseitig aber nie etwas zu sagen haben. Bis letzte Woche die Golden-Globe-Nominationen veröffentlicht wurden. «Film-Nominationen so schlecht, Marlene! ‹Mank›? ‹The Father›?», durfte ich da einen minimalistisch ausgedrückten Vorwurf lesen. Ich gehöre zu den ausländischen Journalist*innen der «Hollywood Foreign Press Association» (HFPA), die für die Golden Globes abstimmen. Und das macht mich nicht nur in den Augen von Kevin zum Teil eines grösseren Übels.
Das Abstimmen bei Filmpreisen wird immer mehr zum Politikum. Nicht nur bei den Golden Globes. Award-Shows sollen mit ihren glitzernden Statuetten inzwischen erreichen, was die amerikanische multikulturelle Gesellschaft nicht schafft: nämlich nicht weniger als die Gleichstellung der Geschlechter und Minderheiten.
Ein Aufholbedarf ist sicher vorhanden: Während bei den Globes in den letzten Jahren immer nicht weisse Schauspieler*innen nominiert wurden, sorgte 2015 und 2016 der Twitter Hashtag #OscarSoWhite für einen berechtigten Aufruhr bei den Academy Awards, weil keiner der nominierten Schauspieler und Schauspielerinnen einer Minderheit angehörte.
Die Academy hat darauf ihre Mitgliedschaft diversifiziert und mehr Frauen und People of Color (PoC) aufgenommen. Ab 2024 müssen Filme gar einen Inklusivitätsstandard erfüllen, wollen sie als Bester Film ins Rennen. Wie viel sich ändern wird, ist nicht klar. Der Weisse-Männer-Film «The Irishman» von Martin Scorsese mit Robert DeNiro und Al Pacino würde jedenfalls trotzdem qualifizieren, weil Scorsese hinter den Kulissen mit Frauen in Schlüsselpositionen arbeitet, wie Produzentin Emma Tillinger Koskoff, Cutterin Thelma Schoonmaker und Casting Director Ellen Lewis.
Historisches in der Regie-Kategorie
Die Repräsentation der Bevölkerung auf der Leinwand und somit die Auswahl für Award-Wähler wird gemäss dem 2020 veröffentlichten UCLA Hollywood Diversity Report nur langsam ausgeglichener und realitätsnaher: 2019 spielten Frauen 44,1% (+3,1% gegenüber dem Vorjahr) und PoC 27,6% (+1%) der Hauptrollen in den 145 erfolgreichsten Filmen des Jahres. Im Fernsehen sind Schwarze, die 13% der US-Bevölkerung darstellen, in dieser Zeitperiode mit 18% aller Rollen leicht überrepräsentiert, im Gegensatz zu Latinos und Amerikaner mit asiatischen Wurzeln, die bedeutend unterrepräsentiert sind. Die LGBTQ+ Community verbesserte ihre Leinwand-Präsenz um bescheidene 0,4 Prozent.
Mehr Chef-Positionen sind gefordert: Im Jahr 2018 sassen bei 7,1% der Top-Filme Frauen auf dem Regie-Stuhl. Ein Jahr später hat sich der Anteil der Frauen auf 14,4% verdoppelt. Den Golden Globes wurde 2019 vorgehalten, weder Greta Gerwig für ihren zweiten Film «Little Women» noch Newcomers wie Lulu Wang («The Farewell») oder Melina Matsoukas («Queen & Slim») nominiert zu haben. Dieses Jahr haben wir ein Zeichen gesetzt und mit Regina King («One Night in Miami…»), Emerald Fennell («Promising Young Woman») und Chloé Zhao («Nomadland») gleich drei Regisseurinnen nominiert. Das gab es noch nie. Und auch was Minderheiten betrifft, ist die Kategorie schwer zu kritisieren.
Die Golden-Globe-Nominationen wurden zwar für die Diversität in den Filmkategorien gelobt, aber für die Verteilung in den Fernsehkategorien getadelt. Vor allem, weil «I May Destroy You», die Serie der schwarzen Britin Michaela Coel, leer ausging. Wenn man nachfragt, wen man denn aus der Gruppe der fünf Nominierten hätte streichen sollen, ist man sich dann plötzlich nicht mehr so schnell einig.
Womit wir bei der Mathematik wären: Wir haben in jeder der insgesamt 25 Film- und TV-Kategorien fünf Plätze zur Verfügung und müssen diese nach Präferenz aufführen: Welche Show oder welche Schauspielerin ich auf Platz 1 setze, bekommt fünf Punkte, mein Platz 5 erhält einen Punkt. Bei den Oscars ist das auch so. Statistiker behaupten, dass dieses System das Mittelmass bevorzugt und unkonventionelle und polarisierendere Kandidat*innen benachteilige: Wer es bei der gleichen Anzahl Stimmen vor allem auf Platz 2 oder 3 schafft, erreicht vermutlich ein besseres Punkte-Total, als wer die Gemüter spaltet und von den einen auf Platz 1 und den anderen auf Platz 5 nominiert wird.
Hollywood in der Identitätskrise
Der Streit um die kulturelle Identität wird nicht nur in Regie- und Schauspiel-Kategorien ausgetragen: Unmut gab es schon vor der Bekanntgabe der Golden-Globe-Nominationen, weil die amerikanische Produktion «Minari» über eine koreanische Immigranten-Familie in den USA in die Kategorie «Fremdsprachiger Film» eingeteilt wurde. Der Dialog ist zu mehr als 50% koreanisch und der Fall daher klar. Denn die Kategorie hat nichts mit Ländern oder kultureller Identität zu tun, sondern mit der Sprache. Aber darf man 2021 Sprache noch von Identität trennen? (Untertitelte Filme sowie Zeichentrickfilme haben ursprünglich von den ausländischen HFPA-Journalisten ihre eigene Kategorie bekommen, damit sie unter all den grossen Titeln aus Hollywoods Traumfabrik nicht untergehen.)
Last, but not least: die Gretchen-Frage, was ist ein Drama? Was eine Komödie? Bei den Golden Globes werden fünf Filme in der Kategorie «Drama» und fünf in der Kategorie «Comedy oder Musical» nominiert und je ein Sieger gekürt. Die Schauspieler*innen werden ebenfalls in diese Kategorien unterteilt. Diesjähriger Zankapfel: «Promising Young Woman», eine düstere Revenge-Fantasy mit Carey Mulligan. In welcher Kategorie Genre-Hybride wie Satiren, romantische oder düstere Komödien landen, basiert oft eher auf einem Bauchgefühl als auf Wissenschaft. Eigentlich logisch, denn Filme und Serien wollen schliesslich auf emotionaler Ebene berühren. Heute wird jedoch erwartet, dass Nominationen weit über dieses künstlerische Kriterium hinaus abgewogen werden.
Offenbar haben David Finchers schwarz-weisses Hollywood-Epos «Mank» und die intime Alzheimer-Studie «The Father» Kevins persönliche Kriterien nicht befriedigt. Vielleicht machen wir es im nächsten Jahr mit unseren Nominationen in seinen Augen besser. Und wenn nicht, würde es mich freuen, wenn die nächste Beschwerde statt mit «Film-Nominationen so schlecht» wenigstens mit einem «Hallo, wie geht’s?» beginnen würde.
Die 78. Golden Globe Awards finden am 28. Februar 2021 statt. Die Oscars gehen am 25. April über die Bühne.