Kino«Stürm» – ein Ausbrecherkönig und seine Seelenverwandte
zm, sda
25.11.2021 - 08:01
Heute kommt «Stürm – Bis wir tot sind oder frei» in die Kinos. Das Spektakel um den Ostschweizer Ausbrecherkönig in Ehren: Was nachwirkt, ist die Leistung von Marie Leuenberger als Anwältin Barbara Hug.
25.11.2021, 08:01
SDA
In den Zürcher Strassen der frühen 80er Jahre brodeln die Jugendkrawalle, die Polizei hat zu tun und die Bevölkerung ist abgelenkt. Der Kriminelle Walter Stürm (Joel Basman) nutzt die Gunst der Stunde für eine seiner spektaktulären Gefängnisfluchten. In der geklauten Wärteruniform schlüpft er durch ein enges Fenster, entkommt der Strafanstalt Regensdorf in einem Kastenwagen und tauscht diesen nach einer auf ihn bezogenen, dringenden Radiodurchsage gegen ein Polizeiauto ein. Er ist frei.
Doch anstatt ins Ausland zu fliehen und ein neues Leben anzufangen, mischt sich der Sohn eines Ostschweizer Industriellen nach einem provokanten Juwelenraub, ständig neu maskiert, unter die Leute. Und überrascht so etwa die Anwältin Barbara Hug (Marie Leuenberger) auf einer Parkbank. Er will, dass sie ihn verteidigt.
Hug, die bisher «das Gericht als Bühne» nutzte, wie sie einmal sagt, übernimmt den Fall ohne zu Zögern. Walter Stürm wird in der links-alternative Szene wie in Popstar gefeiert und ist dem Rest des Landes als «Ausbrecherkönig» bekannt. Mit ihm als Klient kann sie ihr grösstes Anliegen – die Änderung des veralteten Schweizer Justizsystems – in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken.
Flucht als Lebensinhalt
Zwischen dem charismatischen und schwer greifbaren Kriminellen und der rebellischen Verteidigerin entsteht eine besondere Verbindung. Sie ist denn auch der rote Faden durch den auf wahre Begebenheiten basierenden Spielfilm von Regisseur Oliver Rihs ("Achtung, Fertig, WK!"). Verbrecher Stürm und die nierenkranke Hug, die seit ihrer Kindheit ausserdem gehbehindert ist, sind beide auf ihre Art einsame Seelen. Zuweilen kommen sie sich nah wie Liebende, allerdings nur, um gleich wieder aufgeschreckt auseinanderzugehen.
Während die Anwältin sichtlich Gefühle für ihren Mandanten entwickelt, wird Stürm die Intensität dieser seinerseits stets als professionell bezeichneten Beziehung oft zuviel. So kommt es beispielsweise vor, dass er von einem Moment auf den anderen vom Duzen zum Siezen zurückkehrt. Und sowieso: Seine Passion ist das Flüchten – egal ob vor Menschen, aus Beziehungen oder aus Gefängnissen.
Letzteres gelingt ihm über die Jahre insgesamt acht Mal – und nach jedem geglückten Ausbruch verübt er die nächste Schandtat, nur um sich wieder einbuchten zu lassen. Der Kampf um Freiheit ist eine Sucht, die Freiheit selbst eine Qual.
Leuenberger überspielt alles
«Walter Stürm – Bis wir tot sind oder frei» ist vieles in einem. Eine berührende Geschichte von zwei Menschen und deren starker Verbundenheit, ein Porträt zweier friedliebender, feinfühliger und gleichzeitig sturer und rebellischer Persönlichkeiten. Und: Es ist ein politischer Film.
Denn er wirft einen – verstärkt durch Original-TV-Beiträge und Zeitungen – in eine angespannte Zeit zurück. In eine Schweiz, in der ein Teil der Bevölkerung laut und gewaltbereit auf die Strassen zieht, um für Autonomie zu kämpfen. Eindrücklich ist auch die Darstellung der Zustände in den Gefängnissen. Walter Stürm wird von Wärtern gedemütigt, mit auferlegter Isolationshaft gequält. Besonders tief schürft die Szene, in der sie ihn auf eine Liege fesseln und ihm gegen seinen Willen den Bart abrasieren. Stürms Kampf ist nicht nur einer um Freiheit, sondern auch um Würde.
Und trotz der Kraft dieser Bilder und des überzeugenden Spiels Joel Basman ist es seine Kollegin Marie Leuenberger, die als stärkste Person aus dem Drama hervorgeht. Auch sie verkörpert eine Gefangene. Eine Gefangene in einem kranken Körper. Und auch sie führt als solche einen täglichen Kampf um Würde und Selbstbestimmung. Der einzige Unterschied zwischen Barbara Hug und ihrem Mandanten: Sie hat am Ende keine Angst vor der Freiheit.
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