Filmintimität So viel muss geklärt werden, bevor sich zwei Schauspieler küssen

Von Fabian Tschamper

6.7.2021

Küssen gehört wohl zu den schönsten und intimsten Beschäftigungen. Die Lippen aufeinander zu pressen, gehört im Schauspiel zum Job. Doch wie bereiten sich Schauspieler auf solche Szenen vor?

Von Fabian Tschamper

Im echten Leben küsst du normalerweise niemanden, den du nicht küssen willst. Oder anders: Im echten Leben musst du niemanden küssen. Im Schauspiel-Business ist das ein bisschen anders.

Wie bereiten sich also Darsteller*innen auf solche Szenen vor? Müssen sich die Lippen wirklich berühren? Kann ich überhaupt in dieser Branche arbeiten, wenn ich das nicht machen will?

Das Beste von 2021

Zum Jahresende bringt blue News die Lieblingsstücke des ablaufenden Jahres noch einmal. Dieser Text erschien zum ersten Mal am 6. Juli 2021.

Das sind alles Fragen, die diese junge Schauspielerin zu beantworten versucht. Vorneweg: Sollte der Kuss im Zentrum einer Szene stehen, dann kommst du um das echte Küssen nicht herum. Punkt. Interessant ist auch, dass sie einen «Intimitätskoordinator» nennt. Dieser soll einen respektvollen und sicheren Umgang bei intimen und Sexszenen garantieren und sexueller Belästigung vorbeugen.

Für die Choreografie einer Kussszene ist auch jener verantwortlich.



Grundsätzlich sei es wichtig, führt sie fort, dass man gegenüber des eigenen Partners transparent bleibe. Als Schauspieler*in seien intime Szenen beinahe täglich Brot und können zu Problemen in einer echten Beziehung führen.

Sie nennt dabei dieses fast absurde Beispiel: Bei einem Theaterstück musste sie ihren besten Freund, den festen Freund ihrer Nebendarstellerin auf der Bühne küssen. Keine wirklich angenehme Situation.

Die fünf wichtigsten Punkte bei Filmintimität

In den letzten Jahren machten immer wieder sexuelle Belästigungen Schlagzeilen, gerade auch in Zeiten der #Metoo-Bewegung. Schon vorher und nun verstärkt, gibt es das Konzept «The 5 Cs of Intimacy» – also die fünf C der Intimität. In der deutschen Sprache sind es zwar nicht fünf C, aber du weisst, was gemeint ist.

Kontext

Dabei wird die Frage geklärt, in welchem Rahmen eine Szene stattfindet. Welche Geschichte damit erzählt werden will. Sollte kein Konsens gefunden werden, muss definiert werden, was Intimität für einen Menschen bedeutet. Dies ist individuell und möglicherweise allein schon das Berühren des Kinns. Die Geschichte soll im Rahmen des Kontexts erzählt werden, ohne dass sich jemand dabei belästigt fühlt.

Kommunikation

Der Kontext wird gesetzt, damit die Intimität immer im Zusammenhang mit der Geschichte stattfindet. Kommunikation steht an zweiter Stelle – der Grundstein der Sicherheit. Dabei sollen Regisseur, Darsteller und Choreografen so offen wie möglich bleiben. Nach einer Szene soll Rücksprache mit den Parteien gehalten werden, damit ihr Wohlgefühl erhalten bleibt. Auch soll jegliches Unbehagen sofort thematisiert werden. Dies beugt Klagen wegen sexueller Belästigung vor.

Einverständnis

Kommunikation ist das primäre Werkzeug, wodurch eine klare Grenze festgelegt und das Einverständnis gegeben wird. Egal, wie sich die Handlungen während einer intimen Szene abspielen: Alle teilnehmenden Parteien müssen ihr Einverständnis (Consent) geben, zu jeder Zeit. Jedes Individuum hat andere persönliche Grenzen, die immer respektiert werden müssen. Ebenfalls wichtig: Wer in einer Szene einwilligt, sein Gegenüber zu küssen, der muss dies in einer weiteren nicht. Für jegliche Intimität muss das Einverständnis eingeholt werden.



Choreografie

Ist der Kontext festgelegt, plant der Intimitätskoordinator die spezifische Szene, die eine sichere, wiederholbare Choreografie enthält und die zu erzählende Geschichte in ihrer Darstellung unterstützt.

Dies ähnelt einer Kampfszene. Jede Handlung wird geübt, niemand darf vom Plan abweichen, da sonst das Gegenüber gefährdet werden könnte. Auf gleiche Weise finden intime Szenen statt. Besonders wichtig ist es dabei, die andere Person – selbst nach unzähligen Wiederholungen – mit demselben Respekt zu behandeln, wie beim ersten Versuch. Keine Improvisationen sind bei solchen Szenen erlaubt: Das sind die Bewegungen, die wir abgemacht haben, daran gibt es nichts zu rütteln.

Schluss

Sollten alle vorherigen Punkte geklärt, festgelegt und die Szene im Kasten sein, sorgt der Intimitätskoordinator für eine abschliessende Sicherheit für die teilnehmenden Parteien. Dabei unterscheidet er klar das Professionelle vom Persönlichen. Oftmals wird eine Art «Ritual» abgemacht, das nach einer intimen Szene vollführt wird. Dies um den Darsteller*innen den Abschluss einer solchen Szene zu erleichtern und – wie erwähnt – das professionelle Umfeld vom persönlichen zu unterscheiden.

Wer sich mal genau über die Praktik informieren will, empfehle ich wärmstens schliesslich noch dies: «How to Kiss». Das Internet hat eben doch alles.