Sir Anthony Hopkins «Niemand kommt lebend von diesem Planeten»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

24.6.2021

Was, wenn es mit der Geisteskraft bergab geht? Der 83-jährige Anthony Hopkins wird in «The Father» mit dieser Frage konfrontiert. Im April hat er für sein Porträt eines dementen Vaters den Oscar als Bester Hauptdarsteller erhalten.

Von Marlène von Arx, Los Angeles

Sir Anthony, wie haben Sie die Corona-Zeit bisher überstanden?

Eigentlich ganz gut. Ich habe beschlossen, die Situation zu akzeptieren. Ich habe ja schon einige Jährchen auf dem Buckel und so bin ich keine Risiken eingegangen. Ich war zu Hause und habe gelesen, gemalt und Klavier gespielt. Ich habe die letzten fünf, sechs Jahre nonstop gearbeitet, da tut eine Pause ganz gut.

Jetzt kommt «The Father» endlich ins Kino. Der Film ist aus der Perspektive eines alten Mannes mit Demenz erzählt. Auch dem Zuschauer ist nicht immer klar, was real ist und was nicht – genau wie dem Protagonisten Anthony. Gibt es für Sie auch solche Vermischungen von Realität und Illusion im wirklichen Leben?

Mein ganzes Leben wirkt auf mich ein bisschen wie eine Illusion, deshalb war das keine schwierige Rolle für mich. Manchmal denke ich: Ist mir das wirklich alles passiert? Ich bin 83 und es fühlt sich an wie das lange Leben eines anderen.

Als Schauspieler müssen Sie ja viel auswendig lernen. Haben Sie damit keine Probleme?

Ich habe mich verlangsamt, aber so richtig vergesslich bin ich noch nicht. Ich habe ein gutes Zahlengedächtnis. Florian Zeller nannte die Rolle «Anthony» und ich habe noch mein tatsächliches Geburtstagsdatum in den Dialog beim Arzt eingeflochten. Wenn ich den Text kann, ist der Rest einfach, das Hirn übernimmt automatisch und improvisiert die Rolle realistisch. Aber ich bekam nach einer Weile Gliederschmerzen und Wehwehchen, und ich habe auch eine Theorie, weshalb.

Und wie lautet die?

Wenn man lange intensiv übers Altwerden nachdenkt und vorgibt, man habe Demenz, kann das Hirn irgendwann nicht mehr unterscheiden, was echt und was gespielt ist. Man muss das Hirn daran erinnern, dass man nur ein Spiel spielt, und einfach Spass beim Arbeiten haben.

Inwiefern berührt Sie das Thema Demenz persönlich?

Der Vater einer befreundeten Familie in Malibu litt darunter. Er meinte, der Pazifik sei der Hudson River in New York, und erkannte niemanden mehr. Die Familie machte einiges mit, aber er starb am Schluss friedlich. Vielleicht ist das Vergessen die tröstliche Art der Natur, sich abzuschalten. Als ich den Film sah, erkannte ich aber vor allem meinen Vater darin, obwohl ich mich nicht bewusst an ihm orientierte.



Hatte Ihr Vater denn auch Demenz?

Er war nicht dement, aber er war herzkrank und hatte Depressionen am Schluss. Er konnte hart und streitsüchtig sein und war oft auf Konfrontationskurs mit mir. Er nahm mir wohl übel, dass ich noch mehr Jahre vor mir hatte. Über die Jahre habe ich gelernt, diese aufbrausende Seite an mir selber etwas einzudämmen.

Wie halten Sie sich geistig fit?

Ich lese viel. Ich male und spiele fünf Tage die Woche Klavier – und keine einfachen Stücke! Nicht, weil ich in der Carnegie Hall auftreten will, sondern, um mein Hirn aktiv zu halten. Ich lerne auch Sachen auswendig, um das Gedächtnis zu trainieren.

Was malen Sie zurzeit?

Momentan ist es eine endlose Ansammlung von Gesichtern und Augen. Und ich experimentiere mit Farben, um lateinamerikanisch inspirierte Bilder zu malen. Meine Frau ist ja Kolumbianerin. Aber ich habe keine Ausbildung als Maler. Vor Jahren kam der «Jurassic Park»-Designer und echte Künstler Stan Winston mal zum Barbecue vorbei und sagte, als er meine Bilder sah, ich solle ja keine Kurse nehmen. Ich solle einfach malen. «Male und stirb glücklich», sagte der Autor Henry Miller. Und so male ich ohne Ziel. Aber den Leuten scheinen die Bilder zu gefallen, denn sie werden gekauft.

Machen Sie auch Sport?

Ja, fünf Tage die Woche: Ich habe ein Laufband und Hanteln zu Hause. Ich bin ziemlich kräftig und muskulös, immer gewesen. Dazu achte ich auch auf meine Beweglichkeit. Ich versuche ein sonniges Gemüt zu bewahren, wenn mal eine dunkle Wolke im Kopf vorbeizieht. Was mir am meisten hilft, ist vermutlich die Perspektive. Ich habe so viel erlebt: die Nachkriegsjahre in Grossbritannien und Wales zum Beispiel. Ich bin kurz vor dem Zweiten Weltkrieg geboren und erinnere mich an die letzten Kriegsjahre, die Zerstörung und das Elend allgemein nach dem Krieg. Wir haben das überstanden, es wird auch jetzt weitergehen.

Sie sind sehr aktiv auf Social Media und werden da bei Ihren Auftritten oft von einer Katze begleitet. Sind Sie ein Katzennarr?

Ja, ich hatte immer Katzen, schon seit ich ein Junge war. Ich liebe meinen Kater Niblo. Wir haben ihn vor zehn Jahren in Budapest adoptiert und mit nach Hause genommen. Ich liebe und respektiere alle Tiere, unterschätze ihre Intelligenz nie. Es ist furchtbar, wie schlecht Menschen Tiere behandeln. Kürzlich haben wir einen verletzten Hund gerettet. Es ist interessant, wie Tiere durchs Leben gehen. Sie sind nicht mit dem Wissen von Zeit und Vergänglichkeit gesegnet – oder verflucht. Man kann viel von ihnen lernen. Und natürlich sorgen sie auch für viel Traurigkeit, wenn sie sterben.

Denken Sie oft über den Tod nach?

Das Tragischste am Leben ist der Tod. Das Leben ist endlich, niemand kommt lebend von diesem Planeten. Deshalb habe ich die Haltung, das Jetzt zu geniessen, denn man weiss ja nie, was noch kommt. Oder wie T.S. Eliot schreibt: «Ich habe gesehen, wie der Augenblick meiner Grösse flackert. Und ich habe gesehen, wie der ewige Fussmann meinen Mantel hielt und kicherte …»

«The Father» läuft in den Kinos.