Interview Mona Vetsch: «Glück als Schulfach? Da bin ich total dagegen»

Von Carlotta Henggeler

15.7.2020

Was ist Glück? Mona Vetsch geht in einer neuen Dokreihe dieser Frage nach. Die Fernsehmoderatorin über Glückshormone, Geburtenabteilungen aus Männersicht und warum Wellnessen für sie ein Horror ist.

Frau Vetsch, diesen Sommer erforschen Sie in vier Sendungen das Thema Glück. Zum Beispiel fragen Sie nach, macht Geld glücklich? Oder sind Kinder der Schlüssel zum Glücklichsein – oder gar die Schönheit, der Glaube? Welche dieser Fragen hat Sie emotional am meisten beschäftigt?

Mona Vetsch: Wow, das ist eine gute Frage! Lustigerweise hat mich die Geldfrage ziemlich beschäftigt. Nicht, weil ich geldgierig wäre, sondern weil wir in diesem Bereich die meisten Fehlschätzungen machen.

Wie meinen Sie das?

Was wir alles für Strapazen auf uns nehmen, um einen guten Job zu haben, um viel Geld zu verdienen. Damit wir uns über alles Mögliche absichern können, weil wir uns fragen: Wie geht es uns mit 75 Jahren finanziell? So vernachlässigen wir systematisch, was wirklich wichtig ist, was die aktuelle Glücksforschung sagt.

Und was sagt die Glücksforschung?

Glücklich macht die Familie, ein gutes soziales Umfeld und mit Freunden zusammen sein – das alles hat sehr wenig mit Geld zu tun. Und trotzdem frage ich mich schon manchmal, reicht mein Geld? Wie muss ich es investieren, damit es sinnvoll ist? Oder soll ich lieber mehr arbeiten als weniger? Dabei fragt man sich selten: Für was mache ich das eigentlich? Man merkt dann schnell, es geht um den Status. Man vergleicht sich, seinen Job mit anderen. Nicht, weil wir das für uns selbst brauchen würden, sondern weil wir bei den anderen gut dastehen wollen.

Müsste das Thema Glück ein Schulfach sein?

Nein! Da bin ich total dagegen. Glück ist ein abstraktes Thema. Es hat mit einem gelungenen Leben zu tun, das können wir nicht auch noch an die Schule delegieren. Das ist eine Aufgabe der Gesellschaft, der Eltern, der Mitmenschen, das kann man nicht am Montagmorgen in 45 Minuten lernen.

«Glück ist ein abstraktes Thema. Es hat mit einem gelungenen Leben zu tun, das können wir nicht auch noch an die Schule delegieren.»

Wie würden Sie Glück definieren?

Es gibt nicht DIE passende Definition. Zum einen gibt es das ‹Lebensglück›, also wie zufrieden man generell ist mit seiner Existenz. Und dann gibt es das momentane Glücksgefühl. Und das ist gar nicht leicht zu messen. Als Beispiel: Wenn du rückblickend beurteilen musst, wie glücklich du in deinen Ferien mit deinen Kindern warst. Wenn du danach die Fotos anschaust und was dazu erzählst, hat man das Gefühl, du warst zwei Wochen lang total glücklich. Wenn du aber in den Ferien einmal pro Stunde fragen würdest, wie glücklich bist du wirklich? Dann gibt es ganz viele Momente, die super stressig sind. Du bist immer zusammen, da herrscht ganz viel Konfliktpotenzial.

Zum Beispiel?

Die Kinder wollen nie wandern gehen, du aber schon. Da siehst du das Foto an, wo wir alle so herzig an dem Bergseeli sitzen. Du vergisst aber die drei stressigen Stunden, in denen du den Kindern immer wieder gesagt hast, es ist nicht mehr weit, wir machen jetzt keine Znünipause. Deshalb kommt es bei der Glücksfrage darauf an, wovon man spricht. In unserer Sendung geht es darum, was wir bereit sind, für dieses Glück alles zu machen.

«Reporter Spezial: Mona fragt nach dem Glück»: Macht Geld glücklich?Mona Vetsch besucht Eremit Christoph Trummer.
«Reporter Spezial: Mona fragt nach dem Glück»: Macht Geld glücklich?
Mona Vetsch besucht Eremit Christoph Trummer.
SRF/Peter Mosimann

Was für Strapazen sind das?

Viele! Zum Beispiel, wenn es ums Thema Kinderkriegen geht. Kinder zu haben, gilt allgemein als grosses Glück. Im Umkehrschluss heisst es also, dass eine Frau oder ein Paar ohne Kinder nicht so ganz glücklich werden kann. Instinktiv geht man davon aus, dass es so sein muss und alle das so sehen.

Stimmt. Was ist bei diesen Gesprächen herausgekommen?

Ich hatte sehr interessante Gespräche mit Paaren, die keine Kinder bekommen konnten und vieles auf sich genommen haben. Hormonbehandlungen, Operationen, In-vitro-Fertilisation, jahrelang. Es war ein Horror, sagen sie heute. Das eine Paar hat heute zwei Kinder, das andere Paar ist kinderlos geblieben. Sie mussten sich von der Vorstellung vom Leben mit Kindern lösen, das ist schmerzhaft. Und doch sagen sie: Wir sind heute glücklich.

Geschichten mit viel Tiefgang.

Ja. Oder ich habe darüber gesprochen, was wir alles auf uns nehmen, für einen perfekten Körper. Nicht einfach ‹nur› gesund, sondern total aufgepumpt, mit Anabolika gepusht, oder gar operiert. Warum ist es uns so wichtig, wie wir aussehen?

Warum?

Weil wir denken, wir sind glücklicher, wenn wir gut aussehen. Du denkst, die Leuten reagieren positiv. Aber wie lange hält das an, dass du besser aussiehst, weil du drei Kilo weniger wiegst? Das ist kein langfristiges Glück. Glücksforscher sagen, wir sind schlecht im Abschätzen, was uns langfristig glücklich macht. Materielle Sachen machen kurzfristig glücklich, aber oft sind die Kosten, die du dafür auf dich nimmst, hoch. Zum Beispiel für ein Einfamilienhaus im Grünen und du am Schluss pendeln musst. Das Haus macht dich ein paar Wochen glücklich, dann wird es selbstverständlich. Aber pendeln musst du jeden Tag und das ist ein Stress. Wenn wir Entscheide fällen müssen, wird Materielles zu hoch eingeschätzt und das Zwischenmenschliche immer zu tief.

Ihre Dok-Serie ‹Mona mittendrin› bekommt ab August einen fixen Sendeplatz. Sie dürfen zudem für SRF neue Formate mitentwickeln. Ein Jackpot für Sie.

Dadurch, dass ich nicht mehr beim Radio bin, habe ich mehr Zeit, um Neues zu gestalten. Das habe ich vorher auch schon probiert, aber musste einsehen: Auch mein Tag hat nur 24 Stunden. Mich interessieren Social Media und Onlineprojekte sehr. Die letzten Jahre habe ich mich damit beschäftigt. Und dieser Bereich wird für SRF auch immer wichtiger. Aus der Not wurde auch schon ein erstes Projekt geboren. 

Welches?

Während des Corona-Lockdowns haben wir bei ‹#SRFzämedure› via Skype 30 Beiträge realisiert, aus den Stuben heraus. Das war ein erster Test, der super funktioniert hat. Der Vorteil der sozialen Medien ist, dass du viel mehr Diskussionen anregst. Im Radio sind wir privilegiert, da kommst du viel schneller in Kontakt mit den Zuhörern. Da kann Fernsehen noch massiv aufholen, was es heisst, eine Community zu sein.

Man spürt Ihre grosse Lust am Entwickeln von neuen Formaten.

Ja, total! Mit jedem Menschen, den ich neu kennenlerne, öffnet sich mir eine neue Welt – und mein Gehirn schüttet gleich Dopamin aus. Das ist das Privileg meines Jobs.

Gutes Stichwort. In der ‹DOK›-Serie ‹Mona mittendrin› wissen Sie nicht, wo und mit wem Sie die nächsten drei Tage verbringen werden. Mal sind Sie mit der Berufsfeuerwehr unterwegs oder arbeiten in einer Asylunterkunft mit. Nie Angst gehabt, überfordert zu sein?

Es ‹bitzeli› Schiss gehört dazu. Unangenehme Gefühle gehören im Leben genauso dazu.

Wenn Sie einmal wünschen dürften, was würden Sie gerne einmal erleben?

Ui, wenn ich das jetzt sage, schickt mich meine Redaktion sicher nicht dorthin. Emotional würde ich gerne auf eine Geburtenabteilung, die habe ich immer nur aus persönlicher Betroffenheit erlebt. Wenn du selber dort bist, hast du aber keine Zeit, zu beobachten, was dein Mann macht (lacht). Eine Geburtenabteilung aus der männlichen Perspektive. Was würde Sie denn interessieren?

Mich? Zu wissen, wie es den Fachkräften eines Corona-Drive-In geht. Bleiben wir bei Covid-19. Was hat das Virus für einen Einfluss auf Ihren Job?

Alle Drehs im Ausland sind auf Eis gelegt. Für die Auswanderer-Geschichten arbeiten wir mit TV-Crews vor Ort zusammen. Aber ein Interview auf Schweizerdeutsch führen, ist für ein australisches Team schwierig. Da sind wir mit Skype dabei, so entstehen über ein Telefongespräch die Interviews. Klar, das ist eine Notlösung. An solchen Problemen sind wir dran, schauen, wie sich die Situation entwickelt. Auch was die Reisehindernisse betrifft.

Themenwechsel. In einem ‹Bluewin›-Interview haben Sie mal gesagt, Sie seien keine Feministin.

Das ist wie mit der Definition von Glück. Das ist für jeden etwas anderes. Ich will da aber nicht in eine Schublade gesteckt werden. Eine Gesellschaft ist dann gut unterwegs, wenn jeder sich entfalten kann und seinen Teil dazu beitragen kann. Da geht es beispielsweise um Frauenrechte. Aber auch darum, dass wenn du 55 bist und arbeitslos wirst, wegen deines Alters keinen Job mehr findest. Oder benachteiligt wirst, nur weil du ein -ic hinten am Namen hast. Das kann nicht sein.

Mütter werden oft gefragt, wie sie Job und Familie unter einen Hut bringen. Väter hingegen werden das selten gefragt. 2020 ist es nicht angebracht, dass ich Ihnen diese Frage stelle?

Bravo! Schön sagen Sie das. Doch, die Frage an sich ist aktuell, für beide Geschlechter. Sie ist extrem wichtig. Da entscheidet sich, ob du ein glückliches Leben hast, ob du im Job weiterkommst, eine Familie haben kannst, dass es für alle Sinn gibt. Es kommt eine neue Generation, die anders denkt. Chefinnen und Chefs werden klar mit ihrem Bedürfnis konfrontiert, dass sie Teilzeit arbeiten möchten, als Väter ihren Anteil an der Familienarbeit haben möchten, was ich sehr wichtig finde. Spricht man nicht darüber, ändert sich auch nichts. Deshalb finde ich es wichtig, sprechen wir darüber – und zwar Männer und Frauen. Sagen beide, dass sich zum Beispiel bei der Kinderbetreuung noch viel tun muss, hat das eine andere Wirkung, als wenn das nur Frauen sagen würden.

Sie arbeiten Teilzeit.

Ja, und es stimmt für uns, mit allem Aufwand, was es mit sich bringt. Die Beschäftigung mit dem Thema Glück hat mich etwas konsterniert, weil ich feststellen musste. In Sachen Familienglück gibt es Konstellationen, die einfacher oder schwieriger sind. Abgesehen von den Alleinerziehenden ist das Modell, das wir leben, laut dem Glücksforscher das schlechteste (lacht laut).

Inwiefern?

Wenn beide arbeiten und für die Familie zuständig sind, hat das sehr viel Stress-Potenzial. Im Job und in der Beziehung. Aber für mich ist es perfekt, für uns stimmt das total.

Wie sähe laut Glücksforschung das perfekte Modell aus?

Konventionelle Familienmodelle schneiden besser ab, der eine konzentriert sich voll auf die Familie, der andere auf den Erwerb und die Karriere. Diese Aussage ist mit Vorsicht zu geniessen, denn es hat damit zu tun, was du dir selbst ausgesucht hast, also was du für ein Typ bist. Glücksforschung zeigt ja immer nur den Durchschnitt. Aber das eigene Glück ist eine ganz individuelle Angelegenheit. Ich persönlich habe lieber mehr Stress als mehr Haushaltsarbeit. 

«Wenn beide arbeiten und für die Familie zuständig sind, hat das viel Stress-Potenzial. Aber für uns stimmt das total.»

Ihr Partner hat auch einen Medienjob. Gut oder schlecht?

Das ist super positiv. Ich kann sehr viel mehr Verständnis voraussetzen, als ich das sonst dürfte. Zum Beispiel bei meinen unkoordinierbaren Arbeitszeiten. Und er kann mir im Job auch ganz genau sagen, was er gut gefunden hat und was nicht. Das ist sehr wichtig. Am schlimmsten ist es, wenn wir mal zusammen ein Projekt haben und wir merken, wie unglaublich konfliktunfähig wir sind.

Wie schalten Sie ab?

Das kann gar nicht das Ziel sein. Ich bin dann am unglücklichsten, wenn ich mich entspannen sollte. Der Gedanke an Wellnessferien löst bei mir einen Abwehrreflex aus. Verordnete Erholung ist der Horror für mich. Am schönsten finde ich es, wenn einfach eine Sitzung ausfällt und ich dann beim Fernsehen eine Runde drehen kann, bei dem Fluss dem Reiher zuschauen kann. Oder in den Garten kann, ein bisschen was werkeln, ohne dass es wahnsinnig viel bringt oder ich danach fitter oder schöner bin. Auch während strenger Zeiten versuche ich, meine Arbeit zu geniessen und auszukosten. Komme nach Hause, bin nudelfertig und gehe schlafen.

Kann ich verstehen.

Schlaf ist für mich das ganz grosse Glück. Wenn ich abends um 21 Uhr ins Bett kann, Podcast hören kann oder meine Kinder im Bett herumturnen.

Klingt gut.

Nein, es klingt extrem bieder. Stellen Sie sich vor, Sie hätten das früher gesagt. Heute macht es mir nichts aus, nicht in den Ausgang zu müssen oder Angst zu haben, eine ‹Hundsverlochete› zu verpassen. Zu Hause bin ich richtig zufrieden und glücklich.

Zu den Sendungen:

Sonntag, 19. Juli 2020, 20:05 Uhr, SRF 1: «Reporter Spezial»: Macht Geld glücklich? Mona Vetsch fragt nach (Teil 1)
Mona Vetsch geht der Frage nach, ob Geld glücklich macht, und trifft dazu den Eremiten Christoph Trummer, den Walliser Art Furrer, der ein Hotel- und Restaurant-Imperium aufgebaut hat, sowie den Unternehmer und Multimillionär Guido Fluri – und erhält überraschende Antworten.
So., 26. Juli 2020, 20:05 Uhr, SRF 1: «Reporter Spezial»: Machen Kinder glücklich? 
So., 2. August 2020, 20:05 Uhr, SRF 1, «Reporter Spezial»: Macht Glauben glücklich? 
So., 9. August 2020, 20:05 Uhr, SRF 1, «Reporter Spezial»: Macht Schönheit glücklich 

«Mona mittendrin» erhält ab August 2020 einen fixen, monatlichen Sendeplatz am Hauptabend auf SRF 1. Erste Ausstrahlung ist für den 9. September geplant.

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