Mit «Schockwerbung» für eine Modemarke machte sich der Italiener Oliviero Toscani weltweit einen Namen. Seine Fotos sorgten mehr als ein Mal für einen Skandal. Nun ist der Starfotograf nach schwerer Krankheit mit 82 Jahren gestorben.
Keystone-SDA
13.01.2025, 09:36
SDA
Als Fotograf, zumal als einer der bekanntesten der Welt, wusste Oliviero Toscani natürlich um die Kraft solcher Bilder: ein alter Mann an Krücken, schlecht rasiert, dünn geworden, kaum noch Haare auf dem Kopf, die Hose in den Kniekehlen, das T-Shirt zwei Nummern zu gross. Man sah es auf den ersten Blick: Der Mann auf dem Foto ist alles andere als gesund. Es war Toscani selbst.
Unheilbar krank
Auf diese Weise tat der Italiener im August vergangenen Jahres kund, was bis dahin nur Freunde und Familie wussten. Mit einem Interview im «Corriere della Sera» machte Toscani publik, dass er unheilbar an Amyloidose erkrankt war – einer seltenen Krankheit, die zu Organversagen führt. Jetzt ist Toscani gestorben. Er wurde 82 Jahre alt. Mit seinen Werbekampagnen für die Modemarke Benetton hat er unzählige Debatten ausgelöst.
Für den gebürtigen Mailänder, dessen Vater selbst für den «Corriere» fotografiert hatte, waren die Aufnahmen vom Krankenlager gewissermassen der logische Schlusspunkt. Mit sogenannten Schockfotos, wie man das damals nannte, hatte Toscani in den 80er und 90er Jahren die gesamte Branche aufgemischt.
Als Fotograf und später Kreativdirektor der Pulloverfirma erhob er die «United Colors of Benetton» zum Programm. Die Bilder von Menschen aller Hautfarben, von Paaren gleich welcher Geschlechter, fanden sich nahezu überall auf der Welt in den Illustrierten. Überlebensgross hingen die Plakate in den Fussgängerzonen. An Toscani kam damals kaum jemand vorbei.
Provokateur
Manche hielten ihn für einen der besten Fürsprecher eines Lebens in Vielfalt. Andere sahen in ihm einen Zyniker. Jedenfalls wusste er zu provozieren.
Aus heutiger Sicht kann man sich fragen, warum damals so viel Aufhebens gemacht wurde. Aber Toscani gewann mit seinen Werbemotiven den Kampf um Aufmerksamkeit fast jedes Mal. Mit dem Priester und der Nonne, im Kuss vereint. Mit dem blutverschmierten Neugeborenen noch an der Nabelschnur. Mit dem Aids-Kranken auf dem Sterbebett. Mit Kondomen in allen möglichen Farben. Mit der Uniformhose und dem blutgetränkten T-Shirt des toten bosnischen Soldaten.
«Jeder kann sich ein Bild anschauen», sagte er. «Aber mancher erträgt die Emotionen nicht, die es auslöst.» Kurz nach der Jahrtausendwende übertrieb es Toscani allerdings selbst für seinen Arbeitgeber mit der Provokation. Nachdem er für eine neue Kampagne in US-Gefängnissen zum Tode verurteilte Häftlinge in fast schon heiliger Pose fotografiert hatte, nahmen Filialen in den USA die Strickware aus dem Sortiment. Benetton setzte ihn vor die Tür.
Später arbeiteten Toscani und Benetton nochmals kurz zusammen, aber dann war Schluss. Seit einigen Jahren galt der Mann, dessen Markenzeichen bunte Brillen waren, als rehabilitiert. Das hat auch mit gesellschaftlichen Veränderungen zu tun: Heute wären die meisten seiner Fotos kaum noch grössere Aufregung wert. Die letzten Jahre hatte Toscani bereits mehrere Ausstellungen in Museen.
Retrospektive in Zürich
So ist ist gerade erst im Zürcher Museum für Gestaltung eine grosse Retrospektive zu Ende gegangen. Die Ausstellung «Oliviero Toscani: Fotografie und Provokation» war bis 5. Januar verlängert worden – «wegen grossem Erfolg», wie das Museum schrieb. Gezeigt wurden Fotografien aus Toscanis gesamtem Werk.
Nach der Schule war Toscani nicht lange in Italien geblieben. Der erste Preis für eine Schwarz-Weiss-Studie über den Zürcher Flughafen brachte ihn Mitte der 60er Jahre nach New York, wo er sich im Kreis um Pop-Art-Künstler Andy Warhol (1928-1987) bewegte. Es war die grosse Zeit von Disco, Schwulenbewegung und schwarzer Subkultur. So erschliesst sich einiges.
Die letzten Jahre verbrachte Toscani wieder in seiner italienischen Heimat. Im Sommer 2023 wurde bei ihm dann Amyloidose diagnostiziert, was er selbst so erläuterte: «Praktisch lagern sich Proteine an bestimmten lebenswichtigen Punkten ab und blockieren den Körper. Und man stirbt. Es gibt keine Heilung.»
Innerhalb weniger Monate nahm er 40 Kilogramm ab. «Nicht einmal mehr Wein kann ich trinken», klagte er. «Mein Geschmackssinn hat sich durch die Medikamente verändert.»
Hinzu kamen eine Lungenentzündung und eine Covid-19-Erkrankung. «Ich glaube, ich war für ein paar Minuten auch tot. Ich erinnere mich an ein abstraktes Etwas mit etwas psychedelischen Farben.» Seine Antwort auf die Frage nach dem Sterben: «Nein, ich habe keine Angst. Solange es nicht wehtut. Ausserdem habe ich zu viel und zu gut gelebt.» Er hinterlässt eine Frau und sechs Kinder.
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