Im FokusDarum ist Wendlers Hit «Egal» ein verkannter Geniestreich
Von Lukas Rüttimann
14.10.2020
Michael Wendler ist in aller Munde, er und sein Hit «Egal» sind Zielscheibe von Spott und Hohn. Der Sänger mag das verdient haben, der Song jedoch ist weit besser als sein Ruf.
Manche sagen, in der heutigen Zeit sei die höchste Form der Anerkennung nicht Neid, sondern ein Meme. Wer wie der Wendler zum millionenfach verbreiteten Internet-Clip wird, hat zweifellos viel erreicht im Leben.
Doch im Fall von «Egal» darf man auch nackte Zahlen sprechen lassen: Über 21 Millionen Views auf YouTube und sagenhafte 13'410 Kommentare sind ein überzeugendes Manifest des Zuspruchs für diesen Klassiker des Schunkel-Pops.
Allein – die Kommentare sind nicht gerade das, was man gemeinhin Liebesbekundungen nennen würde. Tatsächlich haben es sich die User auf YouTube sogar zum Sport gemacht, das Video, seinen Hauptdarsteller und den Text nach allen Regeln der Kunst durch den Kakao zu ziehen.
Ein paar Beispiele gefällig? Bitte sehr: «Arzt: Welche Probleme haben Sie, Herr Wendler? MENTAL». Oder: «Polizei: Sie haben jemanden plattgefahren. Wendler: frontal!» – «Produzent: Wie schlimm soll die Sonnenbrille aussehen? Wendler: MAXIMAL!»
Uncoole Coolness
Das mag man gemein finden, doch die Häme hat sich der Schlagersänger in den letzten Jahren hart erarbeitet. Lange Zeit als permanent verschuldetes One-Hit-Wonder («Sie liebt den DJ») nur der Klatschblatt-Leserschaft bekannt, drehte der 48-Jährige nach seiner Teilnahme im RTL-Dschungelcamp 2014 so richtig auf:
Er prägte den grenzdebilen Spruch «Good Morning in the Morning», floh noch vor der ersten Prüfung aus dem Camp und macht seither vor allem mit seiner Liebe zu Laura Müller, die vom Alter her locker seine Tochter sein könnte, Schlagzeilen. Man darf mit gutem Gewissen sagen: Schon vor seinem skandalösen Ausstieg als «DSDS»-Jury-Mitglied und seinem Verschwörungs-Video aus Florida gehörte der Wendler zu den umstrittensten Figuren in der deutschen Showszene.
Dabei ist der Wendler nicht einmal besonders unsympathisch. Im Gegenteil: Es ist seine anbiedernde Art, die nervt. Der Mann mit der penetrant sanften Stimme hat die Tendenz, sich cooler zu geben, als er ist – und erreicht damit das Gegenteil.
Das legendäre Video zu «Egal» ist dafür bestes Beispiel: Die übertriebene Nonchalance, der zur Schau gestellte Pseudo-Protz, die Sonnenbrille, die aussieht, als sei sie ein Überbleibsel aus einer «Star Trek»-Folge, das Zuviel an Selbstbräuner, die gefärbten Haare – das alles macht den Wendler zur Zielscheibe etwa von Comedian Oliver Pocher, der das «Egal»-Video grandios parodierte.
Die dunkle Seite der Liebe
In einem jedoch liegt Pocher falsch: Lied und Text sind weit besser als ihr Ruf. Einmal gehört, geht einem «Egal» nicht mehr aus dem Kopf. Man mag diesen Ohrwurm des Grauens dafür verfluchen, doch seine simple Eingängigkeit macht den Song zum verkannten Geniestreich. Denn wenn sowas jeder könnte – wie gern behauptet wird –, würde es jeder machen. Aktuelle Schunkel-Schlager mit über 21 Millionen Views gibt es jedoch nicht allzu viele.
Zudem ist auch der Text bei weitem nicht so sinnbefreit, wie in den Kommentaren zum Video moniert wird. Wie jeder grosse Schlager handelt «Egal» von der dunklen Seite der Liebe; hier geht es um den Verdacht der Untreue, dem der Wendler nach dem «Egal»-Refrain in perfektem Autotune-Falsett die besonders tiefgründige Erkenntnis «Ich weiss es ohnehin» hinterherpfeffert.
Nicht nur im Vergleich zu Ballermann-Hits wie «Dicke Titten Kartoffelsalat» ist das fast schon Schlager-Poesie. Zumal wir es einzig und allein dem Wendler zu verdanken haben, dass man heutzutage allen, die es anders sehen, ganz einfach ein kultiges Meme entgegenschleudern kann: «Egal!»