Drehbuch umgeschrieben So brachte das DDR-Regime das «Aschenbrödel» auf Parteilinie

Bruno Bötschi

25.12.2024

«3 Haselnüsse für Aschenbrödel»: Pure Magie, doch langsam auch mit Altersschwäche

«3 Haselnüsse für Aschenbrödel»: Pure Magie, doch langsam auch mit Altersschwäche

Ein Weihnachtsklassiker macht wieder die Runde, doch wie gut ist «3 Haselnüsse für Aschenbrödel» wirklich? blue News legt die rosarote Brille zur Seite und findet viel Gutes – und hie und da etwas Schlechtes.

22.12.2023

Weihnachten ohne «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel»? Für viele Fans unvorstellbar. Wusstest du aber, dass die Produktion des Filmes von der Propagandaabteilung des DDR-Regimes scharf überwacht wurden?

Bruno Bötschi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» gehört heute zu den bekanntesten Weihnachtsfilmen. 
  • Bis zum Status eines Kultfilms war es ein langer Weg. Während den Dreharbeiten vor 51 Jahren war der Märchenfilm sogar ein Fall für die Propagandaabteilung des DDR-Regimes.
  • Der Grund dafür: Der Film sollte einen Beitrag zur Umerziehung der Menschen in der DDR im Sinn des Sozialismus leisten und das politische System im Land stabilisieren.

«Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht. Ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht. Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht.»

Seit über 50 Jahren begeistert die Märchenverfilmung «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» Jahr für Jahr um die Weihnachtstage Millionen von TV-Zuschauer*innen. Der Film hat sogar eine eigene Webseite, erstellt 2001 und betrieben von einem Fan.

«Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» wurde 1973 von der DEFA (Deutsche Film AG der DDR) und der tschechischen Produktionsfirma Filmstudio Barrandov aus Prag an Drehorten in der DDR und der Tschechoslowakischen Republik unter der Regie von Václav Vorlíček gedreht.

Ein Blick ins Bundesarchiv von Deutschland verrät Unerwartetes: Die Propaganda-Abteilung des DDR-Regimes hatte bereits vor den Dreharbeiten ein scharfes Auge auf die Produktion des Märchenfilms geworfen.

Aschenbrödel, gespielt von Libuše Šafránková, und Pavel Trávníček als Prinz verzaubern im Märchenfilm «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» bis heute Generationen von Menschen.
Aschenbrödel, gespielt von Libuše Šafránková, und Pavel Trávníček als Prinz verzaubern im Märchenfilm «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» bis heute Generationen von Menschen.
Bild: Degeto/WDR/dpa

Denn schliesslich sollte der DEFA-Film mit den Hauptdarstellern Libuše Šafránková (Aschenbrödel) und Pavel Trávníček (Prinz) einen Beitrag zur Umerziehung der Menschen in der DDR im Sinn des Sozialismus leisten und das politische System im Land stabilisieren.

Die Akte Aschenbrödel

Und so kam es, wie es kommen musste: Die Propagandaabteilung des DDR-Regimes liess bereits im Vorfeld der Dreharbeiten analysieren, was an der Geschichte des Grimm-Märchens Aschenputtel geändert werden muss, damit der Film besser auf Parteilinie gebracht werden kann.

Auszug aus der Akte Aschenbrödel: Das Regime der DDR analysierte im Vorfeld der Dreharbeiten, was am Grimm-Märchen geändert werden muss, damit der Film besser zur Parteilinie passt.
Auszug aus der Akte Aschenbrödel: Das Regime der DDR analysierte im Vorfeld der Dreharbeiten, was am Grimm-Märchen geändert werden muss, damit der Film besser zur Parteilinie passt.
Bild: Bundesarchiv

Laut Unterlagen im Bundesarchiv erstellte Klaus Richter de Vroe, leitender Dramaturg für Kinderfilme («Gruppe Berlin»), eine ausführliche Liste mit Bemerkungen und Korrekturwünschen zur länderübergreifenden Co-Produktion.

Der 2020 verstorbene Richter de Vroe hatte insbesondere wegen der Erzählweise des adaptierten Grimm-Märchens Bedenken.

Der Hauptvorteil liegt in der Zeichnung der Heldin

Die Filmfigur des Aschenbrödel passe zwar grundsätzlich gut ins Weltbild des DDR-Regimes. Unter Punkt 1 ist in den «Bemerkungen zum Szenarium ‹Drei Nüsse für Aschenbrödel›» denn auch zu lesen:

«Der Hauptvorteil liegt in der Zeichnung der Heldin. Bei Grimm ist Aschenputtel ein schüchternes Wesen, das am Grabe der Mutter weint, ‹brav und gut›, demütig und bescheiden, geduckt und verlassen.»

Das Grimmsche Aschenputtel wolle dagegen «auf den Ball gehen», so Richter de Vroe: «Dass der Prinz auf sie fliegt, ist für sie ein unerwarteter Glücksumstand, dessen Konsequenzen sie bis zuletzt ‹brav› und bescheiden ausweicht.»

Eine Szene, die der Propagandaabteilung gut gefiel: Das Aschenbrödel als geschickt-vorlaute Jägerin im Wald.
Eine Szene, die der Propagandaabteilung gut gefiel: Das Aschenbrödel als geschickt-vorlaute Jägerin im Wald.
Degeto/WDR/dpa

Was dem DDR-Dramaturg gut gefiel war, dass das Aschenbrödel im Film den Prinz haben will und dafür sorgt, «dass er sie auch liebt, indem sie ihm zeigt, was in ihr steckt. Sie ‹organisiert› sich ihr Glück, ohne deshalb liebenswerte weibliche Zurückhaltung ganz aufzugeben und nicht ohne Momente der Unsicherheit und Unentschlossenheit».

Und weiter: «Am Anfang spottet der Prinz über den grauen Hänfling, am Ende muss er sie lieben: eine interessante Entwicklung des Verhältnisses zwischen den beiden.»

Das Problem mit den Tauben

Später erklärt Richter de Vroe, dass er mit der Geschichte, wie sie für den Film erzählt wird, «sehr einverstanden» sei. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie so stark vom Grimmschen Märchen abweiche.

Aus diesem Umstand ergab sich aus der Sicht des Dramaturgen jedoch ein anderes Problem:

«Das Grimmsche Märchen ist den Kindern in der DDR sehr bekannt. Es hat poetische Elemente, die sich stark einprägen und deren absolutes Fehlen die Kinder bei uns enttäuschen würde. Das poetische Motiv der Tauben, das sich durch das ganze Märchen zieht, die einprägsamen Formeln: ‹Die guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.›»

Richter de Vroes: «Hat das der Zauber der Nuss bewirkt?»

Klaus Richter de Vroe hielt es deshalb für «notwendig, gemeinsam mit den tschechoslowakischen Partnern zu einer Lösung zu kommen, die ohne wesentliche Veränderung des gegebenen Handlungsablaufs diese Elemente einbezieht».

Es scheint, dass am Ende eine Lösung gefunden wurde, die beide Seiten zufrieden gestellt hat. Fakt ist: Die Tauben schafften es auf jeden Fall in den fertigen Film.

Für die weitere Bearbeitung des Drehbuches legte Richter de Vroe den Verantwortlichen zudem ans Herz, dass klar begründet werden müsse, warum die Heldin, also das Aschenbrödel, so gut reiten und Bogenschiessen können.

«Hat das der Zauber der Nuss auch bewirkt?», fragte der Dramaturg am Ende seiner Bemerkungen.

Aber egal, wie stark die Eingriffe der Propagandaabteilung des DDR-Regimes im Drehbuch auch waren, Aschenbrödel und sein Prinz verzaubern bis heute Generationen von Menschen.


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