Geschichte einer EntfremdungHarry, Meghan und die Öffentlichkeit
Christoph Meyer, dpa
18.5.2020
Als Prinz Harry und Meghan Markle im Mai 2018 heiraten, sieht alles nach einem modernen Märchen aus. Die beiden scheinen drauf und dran, das britische Königshaus umzukrempeln und die Welt mit ihrem Tatendrang zu verändern. Doch es kommt anders. Warum?
Strahlend blauer Himmel, ein Meer Fähnchen schwenkender Royal-Fans und eine Mischung aus britischer Tradition und afroamerikanischer Leidenschaft. Als die US-Schauspielerin Meghan Markle (heute 38) und Prinz Harry (heute 35) am 19. Mai 2018 in Windsor heiraten, wird das verschlafene Städtchen an der Themse westlich von London von Zehntausenden Besuchern aus dem In- und Ausland überrannt.
Die ganze Welt scheint entzückt von diesem Paar: Harry hat sich vom traurigen kleinen Jungen, der mit gesenktem Kopf und geballten Fäusten hinter dem Sarg seiner Mutter hertrottete, über den aufmüpfigen Party-Prinzen zum Hoffnungsträger der britischen Monarchie gewandelt. Er läuft gar seiner Grossmutter, Queen Elizabeth II. (94), den Rang als beliebtestes Mitglied der Königsfamilie ab. Meghan gilt als unabhängig, selbstbewusst und als Vertreterin einer neuen Generation von Feministinnen. Im Vergleich dazu kommen Harrys Bruder Prinz William (37) und seine Frau Kate (38) als geradezu langweilig daher.
Doch zwei Jahre später ist der Zauber verflogen. Harry und Meghan haben ihre Verbindungen zum Königshaus teilweise gekappt. Auf die Anrede «Königliche Hoheit» verzichten sie. Auch die Marke «Sussex Royal», unter der sie ihre Webseite und ihre Social-Media-Kanäle betrieben, ist nun tabu. Sie leben inzwischen in der Westküstenmetropole Los Angeles in den USA. Harry ist in der Beliebtheitsskala der Royals auf Platz vier gerutscht. Ein Grossteil der Briten findet, er sollte nicht mehr finanziell von seinem Vater Prinz Charles unterstützt werden. Wie konnte es dazu kommen?
Die Antwort könnte im stets schwierigen Verhältnis von Harry und Meghan zur Öffentlichkeit, vor allem zu den Boulevardmedien liegen. Bereits vor der Hochzeit hatte sich Harry in einer ungewöhnlich scharf formulierten Mitteilung über «eine Welle der Beleidigung und Belästigung» gegen seine damalige Freundin durch die Medien beschwert.
Die Flitterwochen mit dem Boulevard nach dem überwiegend als positiv wahrgenommenen Hochzeitsspektakel dauern nicht allzu lange. Im Herbst vergangenen Jahres scheint für Harry und Meghan das Mass voll zu sein. Sie gehen auf Konfrontation. Meghan reicht eine Klage gegen den Verlag der «Mail on Sunday» ein, eines der einflussreichsten Blätter im Vereinigten Königreich. Der Grund: Die Zeitung hatte Auszüge eines handgeschriebenen Briefs der Herzogin an ihren Vater veröffentlicht.
In seiner Erklärung zu dem Gang vor Gericht stellt Harry eine Verbindung zwischen dem Tod seiner Mutter und der Berichterstattung über seine Frau her: «Es ist meine grösste Angst, dass sich die Geschichte wiederholt.» Er habe seine Mutter verloren und sehe nun, wie seine Frau zum Opfer «derselben mächtigen Kräfte» werde.
Harry macht kein Geheimnis daraus, dass er die Schuld am Tod Prinzessin Dianas in erster Linie bei den Paparazzi sieht, die ihr und ihrem damaligen Freund Dodi Al Fayed in dieser verhängnisvollen Nacht in Paris im Sommer 1997 hinterherjagten. «Die Leute, die den Unfall verursacht hatten, machten Fotos von ihr anstatt zu helfen, als sie auf dem Rücksitz im Sterben lag», sagte er der BBC in einer Dokumentation zum 20. Jahrestag des tödlichen Autounfalls.
Auch der Dauerzwist mit Meghans Vater Thomas Markle ist nach Ansicht des Paares das Werk skrupelloser Journalisten der «Mail», wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht. Zum Bruch kam es demnach während eines Austauschs per Handy am 16. Mai, drei Tage vor der Hochzeit. Thomas Markle hatte gerade eine Herz-OP hinter sich gebracht. Damit waren alle Hoffnungen begraben, er könne doch noch zur Hochzeit anreisen.
«Megxit»: Ausscheiden aus engeren Kreis der Königsfamilie
Abgesagt hatte der Rentner aber laut Meghans Anwälten bereits einige Tage vorher, weil er sich wegen eines Berichts in der «Mail on Sunday» schämte. Das Blatt hatte aufgedeckt, dass Markle für gestellte Paparazzi-Aufnahmen posiert hatte, die ihn bei Vorbereitungen zur Hochzeit zeigen sollten. Ausgerechnet der «Mail on Sunday» gab Thomas Markle später den handgeschriebenen Brief Meghans weiter.
Auch das bald als «Megxit» bezeichnete Ausscheiden aus dem engeren Kreis der Königsfamilie lässt sich auf den Konflikt mit der Presse zurückführen. Beinahe eine Blaupause dafür liefert die Argumentation der «Mail on Sunday» im Verfahren um den Brief der Herzogin: Meghan sei eine «bedeutende Person des öffentlichen Lebens, deren Eignung zur Ausübung royaler Pflichten für die Krone und Bezug öffentlicher Gelder ein angemessener Gegenstand öffentlicher Kontrolle ist». Auch ihr Verhalten in Beziehungen mit Familienmitgliedern und anderen Leuten sei daher «zu Recht von enormem öffentlichem Interesse».
Im Januar 2020 verkünden Harry und Meghan ihren Rückzug aus dem engeren Kreis der Royals. «Die Königsfamilie respektiert den Wunsch des Herzogs und der Herzogin von Sussex, ein unabhängigeres Leben als Familie zu führen, indem sie die angebliche Rechtfertigung des «öffentlichen Interesses» für Übergriffe der Medien in ihr Leben entziehen», heisst es in einer Mitteilung.
Was sie für die Zukunft planen, ist bisher nur in groben Umrissen bekannt. Meghan jedenfalls kündigte im Prozess gegen die «Mail on Sunday» an, wieder unternehmerisch tätig zu sein. Das Paar bestätigte auch, dass es in den USA einen Antrag auf die Eintragung der Marke «Archewell» für eine wohltätige Organisation gestellt hat. Der Name geht auf das altgriechische Wort Arche zurück. Nicht zufällig ähnelt es dem Namen des inzwischen einjährigen Sohns der beiden, Archie, wie Harry und Meghan dem «Telegraph» mitteilen. «Archewell ist ein Name, der das antike Wort für Kraft und Handeln kombiniert mit einem anderen, das die tiefen Ressourcen anklingen lässt, die jeder von uns braucht.»
Weniger bedrängt – aber auch weniger bewegen?
Doch ob Harry und Meghan von Los Angeles aus dieselbe Magie noch einmal entfesseln können, wie ihnen das bei ihrer Hochzeit in Windsor gelang, ist ungewiss. Ohne die manchmal wunderlichen Traditionen des britischen Königshauses, seinen Konventionen und Zwängen könnte das möglicherweise schwieriger sein als gedacht. Harry dürfte sich darüber im Klaren sein. Dem US-Magazin «Newsweek» sagte er einmal: «Echter Mist wäre, in einer Position zu sein, in der man etwas bewegen könnte, aber die Leute hören dir nicht zu.»
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