Hasstiraden im russischen ShowgeschäftWie der Kreml Stars als «Verräter» und «Abschaum» brandmarkt
Von Ulf Mauder, dpa/tpfi
15.4.2022 - 15:40
Lange konnte sich Kremlchef Putin auf Grössen im russischen Showgeschäft verlassen. Doch Stars, die sein System mit gefestigt haben, wenden sich nun ab. Sie sehen sich als «Verräter» und «Abschaum» angeprangert. Wer Patriot ist, soll sich nun beweisen.
15.04.2022, 15:40
17.04.2022, 10:19
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Für ihre Abrechnung mit Kremlchef Wladimir Putin wegen seines Krieges in der Ukraine hat sich der Opern-Weltstar Anna Netrebko viele Wochen Zeit gelassen. «Meine Position ist klar. Ich bin weder Mitglied einer politischen Partei noch bin ich mit irgendeinem Führer Russlands verbunden», liess sie gut einen Monat nach Kriegsbeginn unlängst über ihren deutschen Anwalt mitteilen.
Dabei hatte die Sängerin Putin schon bei Präsidentenwahlen offen unterstützt. Die 50-Jährige, die noch voriges Jahr ihren runden Geburtstag im Kreml feierte, ist seither in Ungnade gefallen. Sie ist aber längst nicht die einzige Prominente. Einige, die lange das System mitgetragen haben, wenden sich ab von Putin – mit Folgen.
Der Zorn des Systems traf Netrebko prompt. Russlands Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin beschimpfte sie als «Verräterin». Netrebko, die in Österreich lebt, wolle ihre prestigeträchtigen Auftritte im Westen behalten. «Die Bereicherungsgier und die Ruhmsucht übersteigen die Liebe zur Heimat», ätzte der Putin-Vertraute, der aus Sicht von Kremlgegnern zu den korruptesten Vertretern im russischen Machtapparat gehört. Wolodin lobte auch jene Künstler, die die russischen Soldaten in der Ukraine unterstützten.
Systemtreu – oder Staatsfeind
Im Staatsfernsehen treten wie in Werbeclips zwischen Sendungen ständig vermeintliche Prominente auf, die Putins Kurs lobpreisen. Systemtreu verhielt sich auch der Stardirigent und Putin-Freund Waleri Gergijew, Netrebkos langjähriger Förderer, der nicht nur sein Engagement in München, sondern auf vielen Weltbühnen aufgeben musste, weil er auf den Geldtopf des Kreml nicht verzichten wollte.
Es gibt aber einige langjährige Systemstützen, die sich abwenden von Putins Krieg. Die Pop-Sängerin Alla Pugatschowa, die einst mit Udo Lindenberg «Wozu sind Kriege da» auf der Bühne sang, und ihr Ehemann, der Star-Comedian Maxim Galkin, etwa halten sich in Israel auf. Galkin moderierte Kindersendungen und war im Staatsfernsehen für den Humor zuständig.
Auf Bitten aus seinem Millionenpublikum, er möge doch wieder für Unterhaltung sorgen, teilte er in einem Video mit: «Ich sehe keine geistige oder moralische Möglichkeit, das zu tun.» Deshalb seien seine Auftritte bei Instagram und Telegram nicht mehr die, die sie bis zum 24. Februar waren.
«Angst und Schmerz. Nein zum Krieg»
Es war der Tag, an dem Putin den Angriffskrieg auf die Ukraine befahl. Das Paar Pugatschowa/Galkin zeigt nicht den einzigen Riss im Fundament der russischen Unterhaltungsindustrie. Der vom Kreml geschätzte Showstar Iwan Urgant sagte nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine emotional «Angst und Schmerz. Nein zum Krieg». Seine populäre Abendshow im Staatsfernsehen wurde daraufhin abgesetzt. Einige Vertreter der Staatsmedien warfen ebenfalls hin. Prominente Gesichter verschwanden aus dem Fernsehen.
Notgedrungen forderte der frühere Kulturminister Wladimir Medinski, die Unterhaltungsangebote zu reduzieren. «Das sieht irgendwie ziemlich komisch aus in unserer Zeit. Wir versuchen alle so zu tun, als wäre alles beim Alten, aber nein», meinte der Politiker, der auch Putins Unterhändler bei den Verhandlungen mit der Ukraine für ein Ende des Krieges ist. Erfolge kann er da bisher nicht vorweisen.
Gute Stars, schlechte Stars
Dabei hat sich in Russland seit Kriegsbeginn die Tendenz verschärft, Stars in zwei Kategorien einzuteilen: die, die für Putin und seinen Krieg sind – und die, die ihn ablehnen. Die Unterstützung für den Angriff auf die Ukraine gilt inzwischen als Patriotismus-Test. Wer nicht wenigstens Mitläufer ist, riskiert Ausgrenzung. Wegducken wird immer schwieriger.
Dagegen haben viele traditionell systemkritische Prominente, die viel zur weltoffenen Atmosphäre in der Millionenmetropole Moskaus beigetragen haben, einen klaren Schnitt gemacht. Sie haben sich offen gegen den Krieg gewandt und das Land verlassen. Darunter sind Stars wie der in Deutschland viel beschäftigte Film- und Theaterregisseur Kirill Serebrennikow, die Schauspielerin Tschulpan Chamatowa oder der Blogger Juri Dud.
Die Sängerin Zemfira, der Rapper Oxxxymiron und der Rocker Boris Grebenschtschikow zeigten sich gemeinsam auf Instagram bei einem Solidaritätskonzert für die Ukraine. Zemfira veröffentliche den Anti-Kriegs-Song «Ne Strelajte!» («Schiesst nicht!»).
Nur wer sich Putin unterwirft, ist ein Patriot
Für solche Kritiker hat Russlands Präsident Putin traditionell nichts übrig. Er hat längst selbst zur Jagd geblasen auf alle, die in Russland Geld verdienten, aber im Ausland ein schönes Leben genössen; auf jene, die «bereit sind, ihre eigene Mutter zu verkaufen». «Jedes Volk und besonders das russische Volk kann die echten Patrioten immer unterscheiden vom Abschaum und von den Verrätern – und spuckt diese einfach aus wie eine Fliege, die einem zufällig in den Mund geflogen ist», sagte Putin im März.
Im Fall des Comedians Urgant zeigt sich aber, dass das mit dem Patriotismus nicht so einfach ist. Der tschetschenische Republikchef Ramsan Kadyrow kritisierte Urgant als «Feigling, der in einem Moment der Instabilität abgehauen ist». Der Putin-Freund reagierte damit erbost auf Äusserungen von Kremlsprecher Dmitri Peskow, der sich für den beliebten Showmaster eingesetzt hatte.
«Ich kenne Urgant sehr gut, er ist ein grosser Patriot», sagte Peskow. Es gebe in Russland Falken, die meinten, überall Staatsfeinde zu sehen. Aber nicht jeder, der das Land verlassen habe, sei gleich ein Gegner.
Zugleich machte er deutlich, dass jene mündigen russischen Bürger, die anderer Meinung als der Kreml sind, nichts Gutes zu erwarten hätten. Es gebe jene Leute, die dem Machtapparat die Schuld gäben für alles, und das Ansehen russischer Soldaten beschmutzten – «das sind die Staatsfeinde, und gegen sie werden wir kämpfen».