Montreux-DirektorWie hätten Sie im Fall Rammstein reagiert, Mathieu Jaton?
Von Lukas Rüttimann
24.6.2023
Das Montreux Jazz Festival lockt wieder mit grossen Namen an den Genfersee. Festivaldirektor Mathieu Jaton sagt, wie er in einem Fall Rammstein handeln würde – und wie sich die Stars bei ihm benehmen.
Von Lukas Rüttimann
24.06.2023, 17:48
03.07.2024, 08:44
Lukas Rüttimann
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Festivaldirektor Mathieu Jaton sagt, das Publikum vom Montreux Jazz Festival sei wieder richtig hungrig auf Konzerte.
Im Interview mit blue News erklärt der 48-Jährige, wie er in einem Fall Rammstein handeln würde.
Und Jaton sagt, warum im Auditorium dieses Jahr das Musikprogramm so stark männerlastig ist.
Während des 57. Montreux Jazz Festivals bringt blue Music viel Livemusik – von Iggy Pop über Bastian Baker bis Simply Red – zu dir nach Hause.
Mathieu Jaton, letztes Jahr äusserten Sie im Vorfeld Bedenken, ob das Publikum nach zwei Jahren Pandemie schon wieder richtig festivalhungrig sein würde. Wie lautet Ihr Fazit?
Meine Erwartungen wurden in jeder Hinsicht übertroffen. Das Publikum war voller Enthusiasmus, obwohl Covid im letzten Sommer immer noch ein Thema war.
Ist das Veranstaltergeschäft dieses Jahr wieder business as usual?
Was Covid angeht: Ja. Das ist zum Glück kein Thema mehr. Und ich hoffe, das bleibt auch so. Die Herausforderungen sind aber nicht einfach weg. Sie haben sich verlagert. Die Künstler touren ohne Pause; es gibt immer grössere Festivals, die Preise steigen und steigen – nicht nur für Gagen, sondern auch für Transport, die Produktion und so weiter.
Es ist keine Seltenheit, dass eine Band heute doppelt so viel kostet wie vor der Pandemie. Das ist ein dramatischer finanzieller Wettlauf. In Montreux sind wir zum Glück in einer etwas anderen Situation.
Weil das Montreux Jazz Festival einen Ruf von Welt hat?
Wir sind kleiner, wir haben eine lange und illustre Tradition. Die Agenten wissen, dass wir beim Wettbieten um die höchste Gage nicht mitmachen können. Doch die Künstler wollen von sich aus nach Montreux kommen. Das ist unser Glück. Wir sind enorm happy mit dem aktuellen Programm. Es ist sehr «Montreux», mit tollen Double-Billings und Experimenten.
Ins Auge sticht der Altpunk-Abend mit Billy Idols ehemaliger Formation Generation X und Mitgliedern der Sex Pistols, dazu Iggy Pop. Wird das am Jazzfestival funktionieren?
Es wird. Zumindest vom Ticketverkauf her kann ich das sagen. Diese Nacht ist ein gutes Beispiel für den Montreux-Spirit. Wir hätten die beiden Acts locker einzeln buchen können. Aber ich liebe es, irrational zu sein und die Jungs zusammen auf der Bühne zu haben. Seien wir ehrlich – finanziell ist das ein bisschen Kamikaze. (lacht) Das gilt auch für die Nacht mit Buddy Guy und Joe Bonamassa. Crazy, das so zu machen. Aber das ist Montreux.
Auffallend ist, dass weibliche Haupt-Acts rar gesät sind. Was haben Sie gegen Frauen?
Gar nichts! (lacht) Im Lab haben wir sogar viele Frauen im Programm. Aber ich kann die Kritik verstehen: Das Auditorium ist dieses Jahr tatsächlich männerlastig. Doch es ist immer auch eine Frage, wer auf Tournee ist und wer wann eine Zusage gibt. Wir sind darauf bedacht, ein ausgewogenes Programm anbieten zu können. Aber manchmal spielt uns die Booking-Realität einen Streich.
Davon abgesehen versuchen wir dort einen Unterschied zu machen, wo wir es beeinflussen können: mit der Montreux Jazz Artist Foundation oder im Newcomer-Programm MJF Spotlight. Dort fördern wir weibliche Acts ganz bewusst. Die Jazzszene ist zu 85 Prozent von Männern dominiert. Willst du daran etwas ändern, musst du beim Nachwuchs ansetzen.
Sprechen wir über das Konzertthema Nummer eins in diesen Tagen: Wie hätten Sie Im Fall Rammstein reagiert? Hätten Sie das Konzert abgesagt?
Ich kenne nicht alle Details. Aber es ist immer eine schwierige Frage, ob man absagen soll oder nicht. Wir hatten schon ähnliche Fälle in Montreux. Letztes Jahr mit Jeff Beck und Johnny Depp. Er hatte gerade diesen öffentlichen Prozess gegen Amber Heard hinter sich, mit all den Vorwürfen.
Als Veranstalter sind wir in einer schwierigen Situation. Solange es keine klaren rechtlichen Fakten gibt, muss für uns die Unschuldsvermutung gelten. Aber es gibt trotzdem viele Fragen. Willst du als Veranstalter schneller urteilen als das Gesetz? Wenn nicht – nimmt dir das dein Publikum übel? Es ist wirklich nicht einfach.
Haben Sie in vergleichbaren Situationen schon Auftritte gecancelt?
Von uns aus nicht. Aber wir mussten ein Konzert absagen, weil ein Künstler ins Gefängnis musste. Ein anderer Fall war Bertrand Cantat, der Ex-Sänger von Noir Désir (Cantat wurde 2004 für den Mord an Schauspielerin Marie Trintignant verurteilt, Anmerkung der Redaktion). Cantat war 10 oder 15 Jahre lang im Gefängnis. Er hat die Strafe für seine Tat also abgesessen.
Aber sein Vergehen war so schwerwiegend, dass wir ihn nicht mit gutem Gewissen hätten buchen können. Das hätte zu viele Kontroversen ausgelöst. Rechtlich gesehen hätten wir ihn auftreten lassen können. Aber Sie sehen: Das Gesetz allein ist nicht alles. Wie gesagt, solche Fälle sind sehr schwierig.
Rammstein haben eine Diskussion um Rockstar-Exzesse ausgelöst. Montreux ist bekannt dafür, dass es sich die Stars gut gehen lassen. Was ist bei Ihnen toleriert, was nicht?
Viele grosse Stars bleiben gern ein paar Tage in Montreux und geniessen das auch. Aber in den letzten zehn Jahren habe ich nie eine Situation erlebt, in denen ich hätte einschreiten müssen. Vor 20, 30 Jahren sah das bezüglich Sex, Drugs and Rock and Roll auch mal anders aus. Doch das ist mehr oder weniger vorbei.
Weshalb?
Das Businessmodell hat sich komplett gewandelt. Früher tourten Bands, um ein Album zu promoten. Musiker hatten keinen Druck und viel freie Zeit. Heute touren sie, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie haben kaum Zeit und enorm viel Druck. Wer jeden Abend Party macht, übersteht eine heutige Tour nicht. Zumindest nicht auf Dauer.
Wir wollen den Stars eine stressfreie, schöne Zeit in Montreux ermöglichen. 99 Prozent der Künstler sind damit sehr happy. Die müssen bei uns nicht auch noch übertrieben auf den Putz hauen.
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