Hollywood-Star Emma Thompson «Ich kann nicht vor dem Spiegel stehen, ohne den Bauch einzuziehen»

Von Marlène von Arx

2.9.2022

Ehrlich und entblösst: Emma Thompson zeigt in «Meine Stunden mit Leo» ihren nackten Körper auf der Leinwand und will damit eine Diskussion entfachen.

Von Marlène von Arx

2.9.2022

Wer bestimmt eigentlich das Verfalldatum von sexueller Intimität auf der Leinwand? Ab einem gewissen Alter ist in Filmen schnell Ende mit Feuern der Leidenschaft und Sex jenseits straffer, jugendlicher Körper ein Tabu. Fehlt es am Stoff? Am Mut der Produktionsfirma oder der ausführenden Schauspieler*innen?

Mit der Drehbuchautorin Katy Brand, der Regisseurin Sophia Hyde und der Schauspielerin Emma Thompson hat sich nun ein Trio zusammen gefunden, das das Thema Sex in der zweiten Lebenshälfte unverblümt auf den Tisch legt.

Und zwar wortwörtlich: Emma Thompson spielt in «Meine Stunden mit Leo» die pensionierte, verwitwete Lehrerin Nancy, die sich den Sexarbeiter Leo (Daryl McCormack) in ein Hotel bestellt, um nachzuholen, was sie in ihrer sexuell unbefriedigenden Ehe nie erlebt hat. Sie hat eine Liste gemacht, die sie «abarbeiten» möchte – vom Oral-Sex bis zum Orgasmus.

Emma Thompson hält Nancys Situation für verbreitet: «Sagen wir es so: Lust und Vergnügen der Frau steht nirgends auf der Welt oben auf der Liste der wichtigen Dinge», erklärte sie gegenüber den Journalisten am Film Festival in Berlin.

«Wir sind bei dem Thema auch nicht immer ehrlich»

«Auch jüngere Frauen haben mir gesagt, dass sie erst mit dreissig einen Orgasmus erlebten. Aber wir reden nicht darüber – und sind bei dem Thema auch nicht immer ehrlich. Ich hoffe daher, dass der Film anregt darüber zu sprechen, was Intimität und sexuelles Vergnügen ist und wieso wir uns für unsere Wünsche so schämen.»

Thompson steht im Film nackt vor dem Spiegel – als Nancy, die nicht ins Fitnessstudio geht, hin und wieder zu viele Biskuits isst und zwei Kinder hatte. Eine normale 62-jährige Frau halt.

Die Angst vor dieser Szene legte ihr ein persönliches und ein gesellschaftliches Problem offen: «Ich kann nicht so vor dem Spiegel stehen wie Nancy», gibt die Schauspielerin zu. «Ich ziehe immer den Bauch ein oder drehe mich zur Seite. Wieso? Weil wir Frauen das ganze Leben lang einer Gehirnwäsche unterzogen werden, die uns sagt, unseren Körper zu hassen. Alles um uns herum erinnert uns daran, was alles falsch an uns ist.»

Einfach still ohne Kleider vor dem Spiegel zu stehen, ohne zu werten und zu akzeptieren, was man sieht, sei das schwierigste gewesen, dass sie als Schauspielerin je machen musste. Bei den Proben haben sich Thompson und McCormack auf Papier gelegt und ihre Körper umzeichnet. Schliesslich gab es dann auch Übungen, bei denen die beiden nackt sein mussten: «Ich bin unserer Regisseurin sehr dankbar, dass wir solche Übungen gemacht haben. Und auch Daryl», so Thompson lachend über ihren Co-Star. «Er hat den Körper eines Einhorns, so perfekt.»

Frauen schämen sich, Männer kapieren es nicht

Nicht viel wohler fühlte sich Charlotte Rampling bei der Liebesszene in «45 Years»: Im Beziehungsdrama spielt sie eine vermeintlich glücklich verheiratete Frau, als die Nachricht vom Leichen-Fund der Jugendliebe ihres Mannes das Paar aufrüttelt und sie ihre 45-jährige Ehe hinterfragt.

«Für mich sieht Sexualität nur jung gut aus», sagte sie 2015 im Interview zum Film. Und weiter meinte die damals 69-jährige: «Ich bin froh, musste das Publikum nicht zu lange zuschauen. Nichts gegen Sex im Alter oder ältere Leute generell. Ich bin selber älter. Aber nicht alles, was wir machen, sieht toll aus.»

Solche Selbstkritik findet man bei den älteren Schauspiel-Kollegen weniger. Das zeigt sich seit der Einführung sogenannter «Intimacy Coordinators» besonders deutlich. Die sind dafür verantwortlich, dass Sexszenen genau abgesprochen und choreografiert sind und sich alle Beteiligten beim Dreh wohlfühlen.

Der 63-jährige Sean Bean («Lord of the Rings», «Game of Thrones») stach vor Kurzem mit dem Kommentar, dass «Intimacy Coordinators» «die Spontanität verderben», in ein Wespennest.

Viel Arbeit trotz #MeToo

Und Netflix feuerte Frank Langella, 84, von der Edgar Allen Poe Serien-Adaption «The Fall of the House of Usher». Eine interne Untersuchung habe ergeben, dass sein Mitwirken nicht mehr akzeptabel sei. Dem Oscar-nominierten Schauspieler wurde sexuelle Belästigung und unangebrachte Kommentare gegenüber weiblichen Co-Stars während des Drehs vorgeworfen. Er sagt, seine junge Schauspielkollegin hätte sich bei einer Liebesszene beklagt, dass er ihr Bein berührte. Alle seine Szenen müssen nun nachgedreht werden.

Die #MeToo-Bewegung hat Hollywood aufgerüttelt, aber auf den Sets steht im Umgang mit Sexualität noch viel Arbeit bevor. Denn solange sich Schauspielerinnen ihrer Körper schämen und ihre männlichen Kollegen sich im Umgang mit Frauen nicht zurechtfinden, wird ein erfrischend ehrlicher Film wie «Meine Stunden mit Leo» wohl eine Ausnahme bleiben.

«Meine Stunden mit Leo» läuft ab heute in allen blue Cinemas.