Schweizer Film Sarah Spale: «Es fiel mir schwer, in diese Abgründe einzutauchen»

Von Lukas Rüttimann

8.5.2019

Im Zürcher Oberland wird derzeit der Bestseller «Platzspitzbaby» verfilmt. «Wilder»-Star Sarah Spale spielt darin die drogensüchtige Mutter der Hauptfigur. «Bluewin» hat sie am Set getroffen.

Die Szenerie erinnert ein bisschen an die Bilder aus der Zürcher Drogenhölle, die in den neunziger Jahren um die Welt gegangen sind: verwahrloste Gestalten irren zwischen verlassenen Geleise herum, links und rechts versprayte Wände. Doch wir befinden uns nicht am Platzspitz nahe des HB in Zürich, sondern im idyllischen Wald im Zürcher Oberland. Und das gefragteste Utensil ist an diesem Tag keine Spritze, sondern eine Spraydose: «Zeckenspray nicht vergessen!» ruft jemand aus der Produktion mehrmals.



Eine der Adressatinnen für das Insektengift ist «Wilder»-Star Sarah Spale. Für die Kamera von Regisseur Pierre Monnard muss die Schauspielerin bei durchaus frischen Temperaturen im kurzen Rock nahe am Waldrand in Richtung der Geleise laufen. Begleitet wird sie in dieser Filmszene von ihrem früheren Drogen-Kumpel Serge (Thomas Hostettler), der sie zurück auf die falsche Bahn zu bringen droht. Heimlich beobachtet wird das Ganze von ihrer Tochter Mia (Luna Mwezi), die das Treiben ihrer Mutter zusammen mit ihrem imaginären Freund Buddy (Delio Malär) verfolgt.

Eine Adaption, keine Biografie

«Der Film ist eine Interpretation, keine Verfilmung nach Vorlage», erklärt Spale beim Interview. Michelle Halbheers Buch von 2013 hat sie zwar gelesen, die drogensüchtige Mutter der Autorin hat sie aber nie getroffen. Sie habe die Film-Mutter für sich kennen- und lieben lernen müssen, erzählt sie: «Das war meine Aufgabe. Ich habe sie angenommen und gemeistert. Aber einfach war es nicht», so die 39-Jährige, die spätestens seit dem Erfolg der SRF-Serie «Wilder» einem breiten Publikum bekannt ist.



Als Sandrine, so der Name der Mutter im Film, mache sie einfach, was sie unter den Umständen machen könne. Rechtfertigen oder gar Partei ergreifen will sie für ihre Filmfigur aber nicht. Im Gegenteil: «Es ist mir schwer gefallen, in ihre Abgründe einzutauchen.» Das sei ein schwieriger Prozess gewesen, auch für sie als Mutter. Sogar Rückenschmerzen hat Spale als Folge der psychischen Belastung bekommen.

Nur depressiv soll die Filmversion von «Platzspitzbaby» dennoch nicht werden. «Dieser Film zeigt, wie ein kleines Mädchen es schafft, sich von seiner drogensüchtigen Mutter zu trennen. «Er ist das Gegenteil von ‹Wir Kinder vom Bahnhof Zoo›», sagt Produzent Peter Reichenbach. Der Film sei eine freie Interpretation der Vorlage; Personen wie etwa der imaginäre Freund Buddy sind für die Dramaturgie dazugefügt worden. So erhält der Film eine märchenhafte Tonalität, die im Buch nicht vorhanden ist.

Der Produzent hofft deshalb, dass sein Film trotz der schweren Thematik ein grosses Publikum finden wird. «Klar, das ist keine Komödie», sagt Reichenbach. «Doch es ist ein kraftvoller, poetischer Stoff – eine Coming of Age-Geschichte, wenn man so will.» Und dass auch solche Geschichten für das Mainstream-Publikum durchaus funktionieren können, hat Reichenbachs Produktionsfirma C-Films unter anderem ja schon mit dem Erfolg von «Der Verdingbub» bewiesen.

Inspiration zum Nachdenken

Tatsächlich aber steht und fällt der Film mit der 11-jährige Luna Mwezi. Die Neuentdeckung spielt die Hauptrolle Mia und steht das erste Mal für einen Kinofilm vor der Kamera. Man habe nicht explizit nach einem Mädchen gesucht, das wie «Platzspitzbaby»-Autorin Halbheer aussehe, sagt Reichenbach. Man habe vor allem ein gutes Kind gesucht. «Doch der Zufall wollte, dass sie auch fast wie Michelle aussieht.» Die ganze Crew sei von ihr begeistert und habe sie ins Herz geschlossen, schwärmt der Produzent. Und auch Sarah Spale findet lobende Worte: «Sie macht das super und ist schon sehr professionell. Ich freue mich jeden Tag, mit ihr am Set zu sein».

Glücklich ist die Baslerin auch darüber, nach «Wilder» ein weiteres Mal mit Regisseur Monnard arbeiten zu können. Der Lausanner Regisseur war es, der Reichenbach die Verfilmung des Bestsellers vorschlug. Mit seinem Budget von knapp 3,5 Millionen Franken geht «Platzspitzbaby» nach der letzten Klappe im Juni in die Postproduktion und soll am 16. Januar 2020 ins Kino kommen. Notabene nur neun Tage, nachdem auf SRF die zweite Staffel von «Wilder», ebenfalls mit Sarah Spale, startet. «Das ist reiner Zufall, die beiden Projekte liegen inhaltlich weit auseinander», lacht die Schauspielerin.



Tatsächlich sieht Spale «Platzspitzbaby» als Gelegenheit, ein brisantes Thema ins Scheinwerferlicht zurücken. Sie wünsche sich, dass der Film zum Nachdenken anregt, sagt sie. «Ich hoffe, dass das Publikum nicht einfach nur die Schuldige sucht und mit dem Finger auf sie zeigt, sondern dass es sich in die Personen hineinversetzt».

Extremsituationen habe schliesslich sicher jeder schon einmal erlebt, sagt Spale. Dabei spiele es keine Rolle, «in welcher Fallhöhe sich ein persönliches Drama abspielt: Wenn man nicht weiter weiss, ist das immer schlimm». Der Film lasse seine Zuschauer zum Glück aber nicht allein mit diesem Gefühl. «Platzspitzbaby» verbreite Hoffnung und sei letztlich ein positiver Film – einer, der «hoffentlich zum Nachdenken über ein nach wie vor sehr aktuelles Problem anregt».

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