Interview Hilary Swank: «Ich bin ganz schön ambitioniert, ich weiss»

Von Marlène von Arx

5.8.2019

Die 45-jährige Schauspielerin Hilary Swank erhält am FIlm Festival Locarno den Ehrenpreis.
Die 45-jährige Schauspielerin Hilary Swank erhält am FIlm Festival Locarno den Ehrenpreis.
Keystone

Ehre auf der Piazza Grande: Hilary Swank erhält am Freitag den Leopard Club Award am Film Festival von Locarno. Im «Bluewin»-Interview sinniert die Schauspielerin über ihre Karriere – und ihren letzten Schweiz-Besuch.

Im Interview mit «Bluewin» erinnert sich die zweifache Oscar-Preisträgerin an ihren Durchbruch vor zwanzig Jahren und wie sie ihre dreijährige Karrierepause erlebte, in der sie ihren kranken Vater pflegte.

Sie waren bereits letzten Sommer in der Schweiz, richtig?

Stimmt, einen Teil meiner Hochzeitsreise habe ich in der Schweiz verbracht.

Wieso haben Sie die Schweiz als Destination gewählt?

Mein Mann und ich lieben die Natur. Wir haben uns in Deutschland kennengelernt. Deutschland wird übrigens völlig unterbewertet – so viel saftiges Grün! Wieso wird das in den Touristenbüchern verheimlicht? Also haben wir in Deutschland unsere Hochzeitsreise angefangen und sind dann in die Schweiz und durch die Alpen und Dolomiten über Italien nach Frankreich.



Wander-Flitterwochen?

Genau, einfach Wanderferien. Wir parkierten unser Auto, nahmen eine Seilbahn, und dann wanderten wir bis zu einer Hütte oder einem Berggasthof, wo wir übernachteten. Es war ein perfekter Mix von Roadtrip, Wandern, Ausspannen und draussen im Nirgendwo sein. Es war bereits September, und die Schulferien waren zu Ende. An einem Tag sahen wir keinen einzigen Menschen.

Wie trifft denn ein Hollywood-Star den Zukünftigen in Deutschland?

Freundinnen von uns, die in meiner Heimatstadt Bellingham, im Bundesstaat Washington, wohnen, kennen sich offenbar. Sie beschlossen, mich und Philip zu verkuppeln. Ich arbeitete gerade in Köln. Er musste beruflich nach Düsseldorf. So verabredeten wir uns in Deutschland zum Lunch. Dieser dauerte bis nach dem Abendessen.

Nun wird in Locarno Ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Vor zwanzig Jahren wurde die Welt erstmals auf Sie aufmerksam: In «Boys Don’t Cry» spielten Sie den jungen Transmann Brendan Teena und gewannen für die Rolle den ersten von zwei Oscars. Was geht Ihnen heute bei dem Gedanken durch den Kopf?

Ich fühle mich sehr geehrt, mit dem Film am Anfang einer wichtigen Diskussion gestanden zu haben. Hätte ich gewusst, wie wichtig, wäre ich vor lauter Verantwortungsgefühl wohl erstarrt. Ich fühle mich privilegiert, als Schauspielerin Geschichten erzählen zu können, die dem Publikum und mir selber die Augen öffnen.

Wir haben inzwischen Fortschritte gemacht, aber 20 Jahre später sprechen wir immer noch davon, Menschen ein- statt auszuschliessen, dass sie geliebt werden sollen, wie sie geliebt werden wollen und sich identifizieren können, wie sie es wollen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.

Der Film wurde von Kimberly Pierce inszeniert. Eine Frau im Regiestuhl ist nach wie vor eine Rarität …

Stimmt, ich habe allerdings mit einigen Regisseurinnen gearbeitet. Zum Beispiel mit Mira Nair, Katja von Garnier und letztes Jahr mit Elizabeth Chomko in «What They Had». Es wäre nett, wenn wir eines Tages nicht mehr sagen müssten: «Wow, wie toll, eine Frau als Regisseurin!» Gut, gibt es jetzt mehr Möglichkeiten und mehr Geschichten aus der weiblichen Perspektive. Für mich macht Frau oder Mann im Regie-Stuhl keinen Unterschied. Hauptsache talentiert.

Im letzten Jahr waren Sie in in der Mini-Serie «Trust» über die John Paul Getty Entführung sowie im Film «What They Had» zu sehen. Darin navigieren Sie mit dem Rest Ihrer Familie die Alzheimer-Krankheit der Mutter. Sie haben sich selber drei Jahre lang um Ihren Vater gekümmert und keine Jobs mehr angenommen. Wie war das für Sie?

Es veränderte meine Perspektive. Ich bin seit meinem 15. Lebensjahr Schauspielerin. Mich davon abzuwenden, war gleichzeitig beängstigend, aber auch aufregend. Beängstigend, weil ich nicht genau wusste, wie ich mich definierte, wenn ich nicht einfach sagen konnte: Ich bin Schauspielerin. Nein zu sagen hat mir auch gezeigt, in welch glücklicher Position ich bin, Geschichten erzählen zu können. Und zwar in Zusammenarbeit mit Menschen, die mich inspirieren. Auch in schwierigen Zeiten darf man das Gute nicht vergessen. Vor dem Schlafengehen sage ich nun immer drei Dinge auf, für die ich dankbar bin. Das rückt mich ins Lot. Ich kann besser schlafen und wache auch dankbar und besser gewappnet für den neuen Tag auf.

Ihr Vater musste sich einer Lungen-Transplantation unterziehen.

Ja, am Anfang war er lange auf der Intensivstation. Eine Lungen-Transplantation ist wohl die schwierigste Operation, die man haben kann. Er überstand die ersten beiden Jahre mit diversen Komplikationen. Und das dritte war noch schlimmer. Er ist oft fast gestorben, aber er kämpfte, und ich habe ihn dabei unterstützt, so gut ich konnte.

Was gehörte zu Ihren täglichen Aufgaben?

Als er im Spital war, kochte ich ihm Lunch und Abendessen, weil er das Spital-Essen nicht anrührte. Dazwischen und abends war ich bei ihm. Morgens nahm ich mir frei, um Sport zu treiben und mit meinen Hunden rauszugehen. Die eigenen Batterien aufzuladen ist nämlich sehr wichtig. Später habe ich ihn dann zu jedem Arzttermin gefahren und ihm mit den Medikamenten geholfen – er nimmt immer noch 35 Pillen pro Tag. Aber es geht ihm 100 Prozent besser, und inzwischen kann er auch wieder Auto fahren. Er lebt immer noch bei mir und meinem Mann und kann auch bei uns bleiben, so lange er will.

Nebenbei haben Sie in jener Zeit auch eine Mode-Linie gegründet, sich als Produzentin positioniert und Stepptanzen gelernt. Verfügen Sie über endlose Energie?

Und ich habe drei adoptierte Hunde! Ich bin ganz schön ambitioniert, ich weiss. Ich habe fünf Fabriken in Italien und zwei in Portugal, die Kleider für mein Label «Mission Statement» anfertigen. Die Philosophie: Frauen zu ermutigen, ihre persönliche Mission zu definieren und am Ausleben ihres Potenzials zu arbeiten. Produzieren gehört für mich nun zum Geschichten-Erzählen, und Stepptanzen wollte ich schon immer. Statt einen Brautwalzer haben Philip und ich eine Stepptanz-Nummer à la Fred Astaire und Ginger Rogers zusammen eingeübt. Ich empfehle allen Verlobten, irgendeinen Kurs zusammen zu absolvieren. Da sieht man nämlich, wie man zusammen arbeitet und gemeinsam die Frustrationen meistert.

Das Film Festival Locarno findet vom Mittwoch, 7. August, bis Samstag, 17. August, statt.

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