Schweizer*innen in L.A. (12) «Ich habe die Angst vor dem Akzent überwunden»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

3.1.2021

Hollywood ist nicht nur Film und Fernsehen: Dank ihres Auftritts im Video-Spiel «Call of Duty» hat die Luzerner Schauspielerin Andrea Martina Isenschmid einen neuen Agenten und neue Job-Anfragen an Land gezogen.

Andrea Martina Isenschmid raucht der Kopf. Sie hat gerade tagelang damit verbracht, für ein Casting-Video den New Yorker Akzent von Long Island zu perfektionieren. «Ich hatte früher einen zu grossen Respekt vor Akzenten», so die Schauspielerin aus Littau LU. «Sie sind für Schauspieler ein zusätzlicher Schwierigkeitsgrad. Aber jetzt habe ich die Angst überwunden und werde eigentlich meistens mit einem Akzent engagiert.» Da wäre zum Beispiel der Part als Club-Sängerin in «Westworld», die «99 Luftballons» von Nena zum Besten gibt, oder die diversen Stimmen mit holländischen und deutschen Akzenten in der neuesten Ausgabe des Videogames «Call of Duty».

Diese beiden Highlights des vergangenen Jahres sind die Hoffnungsschimmer, die die 29-Jährige braucht, um im harten Showbusiness in Hollywood nicht aufzugeben. «Die ‹Westworld›-Erfahrung war tausendmal besser als die Rolle oder was man am Schluss am Fernsehen sah», so Isenschmid.

Sie war gerade beim Babysitten, als ein Casting-Büro sie anrief, ob sie für ein Vorsprechen ins Studio kommen könne. Wofür sagte man ihr nicht. Andrea Martina, so ihr Künstlername in den USA, wollte die Chance packen. Die Produzentin, deren Kinder sie betreute, hatte Verständnis und liess sie vorzeitig gehen. Als sie am Set ankam, erfuhr sie, dass es sich mit «Westworld» um eine ihrer Lieblingsserien handelte.

Pünktlichkeit und voller Einsatz

Es passte auch sonst alles wunderbar zusammen: «Ich kannte ‹99 Luftballons› auswendig und ich war früh da. Ich war die Zweite, die vorsang. Danach liessen sie gar niemanden mehr vorsprechen und schickten alle nach Hause. Früh da sein lohnte sich!» Sie sei ungewöhnlich selbstsicher gewesen, was auch dem Schauspieler Aaron Paul («Breaking Bad») auffiel. Er lobte sie für den Auftritt in den höchsten Tönen. «Woher diese Selbstsicherheit im richtigen Moment kam, weiss ich selber nicht genau.»

Den Ehrgeiz als Schauspielerin anerkannt zu werden, hatte die Luzernerin schon früh: Ihr erster öffentlicher Auftritt war im Weihnachts-Musical «Em Hirt Simon sini vier Liechter». Sie war neun Jahre alt und spielte den Jakob. Mit 17 Jahren kam sie für einen vierwöchigen Sprachkurs zum ersten Mal nach Los Angeles. Nach der Matura sprach sie an deutschen Schauspielschulen vor, aber eigentlich wollte sie nach Los Angeles. Und so begann 2011 der dreijährige Kampf um die Aufenthaltsbewilligung: Nach einem Jahr lief ihr amerikanisches Studentenvisum ab: «Das war der schlimmste Tag in meinem Leben!», schaudert es Andrea Martina heute noch.

So besuchte sie eine Schauspielschule in London. Dann jobbte sie in der Schweiz und engagierte eine Anwältin, die ihr mit dem Organisieren eines US-Arbeitsvisums helfen sollte. «Schliesslich hatte ich die Nase voll. Ich zog nach L.A., mietete mir eine Wohnung und kaufte ein Occasionsauto, obwohl meine Anwältin meinte, wir sollten den Visa-Antrag verschieben, da gerade kaum welche an Künstler vergeben würden.» Ein paar Monate später wurde ihrem Antrag dennoch stattgegeben. «Es geschehen offenbar doch noch Wunder», erinnert sich Isenschmid an die Worte der Anwältin, als sie ihr die frohe Botschaft überreichte. «Es war wirklich ein Glück, denn mir ging langsam, aber sicher das Geld aus.»

Wie das Leben so spielt

Schon von Anfang an schrieb und produzierte Andrea Martina Isenschmid eigene Kurzfilme und Web-Serien und feierte damit an Film Festivals Erfolge. Ihr Partner ist dabei oft der Effekte-Spezialist Arnold Aldridge, der für die Russo Brothers («Avengers») arbeitet. Mit Abstand ihr Lieblings-Cartoon als Kind war «Hey Arnold» und ihr Freundeskreis amüsiert sich deshalb köstlich, dass sie sich kurz nach ihrer Ankunft in L.A. in einen Arnold verliebte.

Seit Frühling 2017 ist das Paar verheiratet. Die beiden leben zusammen mit drei Hunden in einem Haus im Osten der Stadt und verstehen sich auch beruflich prächtig: «Unsere Talente ergänzen sich gut: Ich schreibe, produziere und spiele, und er führt Regie, macht die Kamera und schneidet.»

Reibereien gebe es nicht einmal jetzt, wo beide immer zu Hause sind. «Wir sehen uns ja nicht nonstop: Arnold hat im Gästehaus sein Homeoffice eingerichtet und ich habe den begehbaren Kleiderschrank zum Tonstudio umfunktioniert.» Darin hat sie auch Stimmen für «Call of Duty: Black Ops Cold War» aufgenommen. Im Vorjahr hat sie die Ganzkörper-Aufnahmen für die Edda-Kraus-Rolle im Studio gefilmt – also beim Schauspielern Sensoren auf einem hautengen Bodysuit getragen, damit ihre Bewegungen und Mimik digitalisiert werden konnten.

«Die Welt der Video-Games ist schon eine ganz andere als die von Film und Fernsehen», so Andrea Martina. Ihr selber sagen Video-Spiele nicht viel, aber das Echo ist gross: «Es ist gut, wenn man so bekannte Titel auf dem Résumé hat. Ich habe danach einen neuen Agenten ergattert und kriege jetzt viele Anfragen für Podcasts.»

«2021? Ich schaue mal, was passiert»

Obwohl die Corona-Zahlen in Los Angeles täglich neue Höchstwerte erreichen, wird in der Unterhaltungsmetropole nämlich wieder tüchtig gearbeitet. Vor Kurzem hatte Andrea Martina eine Statistenrolle in der Chuck-Lorre-Sitcom «B Positive». Und da letztlich auch Hollywood nur ein Dorf ist, traf sie dort auf ihre Landsfrau Debby Gerber, die bei der Serie als Stand-in engagiert ist. «Wir haben uns vor sechs Jahren bei einem Casting kennengelernt und sind seither gute Freundinnen geworden», so die Innerschweizerin. Bei einem Fondue oder bei selbst gemachten Spätzli (nach Rezept von Mama Isenschmid) tauschen sie Erfahrungen aus oder schwelgen in Heimat-Nostalgie.

Und was hat sich Andrea Martina Isenschmid nun für 2021 vorgenommen? «Normalerweise mache ich immer Collagen, Listen und Pläne. Aber wegen Corona fielen letztes Jahr viele davon ins Wasser. Deshalb denke ich 2021 erstmals: Ich schaue einfach einmal, was passiert.»

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