Interview Antonio Banderas: Der Tod ist nah

tsch

27.7.2019

Ohne Pedro Almodóvar ist seine Karriere kaum zu denken: Im Interview spricht Antonio Banderas über seinen Förderer, über schicksalhafte Filme und über einen Herzinfarkt, den er kürzlich erlitt.

Antonio Banderas ist Spaniens erfolgreichster Hollywoodexport, nicht zuletzt dank seiner frühen Zusammenarbeit mit Pedro Almodóvar. Banderas' Auftritte in so schrillen Almodóvar-Filmen wie «Fessle mich!» katapultierten den Polizistensohn in Blockbuster wie «Desperado», «Die Maske des Zorro» oder «Expendables 3».

Nach seiner Scheidung von Kollegin Melanie Griffith (57) kehrte er vor wenigen Jahren nach Europa zurück – und drehte wieder mit Almodóvar. In «Leid und Herrlichkeit» (Start: 25. Juli) spielt Antonio Banderas den alternden Regisseur Salvador, das filmische Alter Ego von Pedro Almodóvar, und gewann dafür den Darstellerpreis in Cannes. Im Interview spricht der Schauspieler über Bettszenen, Migräne und die Angst zu sterben.

Herr Banderas, wo verläuft in «Leid und Herrlichkeit» die Grenze zwischen Biografie und Fiktion, zwischen Pedro und Salvador?

Das spielt gar keine Rolle. Denn in Wirklichkeit steckt in diesem Film mehr Pedro Almodóvar als in Almodóvar selbst. Menschen sind ja nicht nur die Summe dessen, was wir tatsächlich erleben. Uns macht auch all das aus, was wir träumen, was wir ausdrücken wollten, aber nie zu sagen wagten. All das, was wir tun wollten, aber nie getan haben. Darum dreht sich der Film. Wir haben doch alle Kreise in unserem Leben begonnen, die wir nicht zu Ende geführt haben.

Welchen Einfluss hatte das auf die Atmosphäre am Set?

Beim Dreh konnte man förmlich sehen, wie Drehtag für Drehtag eine Last von Pedros Schultern fiel. Die Arbeit an diesem Film war sehr therapeutisch für ihn. Der letzte Drehtag war unglaublich emotional. Ich sah einen Pedro, den ich seit den 80-ern nicht mehr gesehen hatte, er war glücklich und lächelte. Die in meinen Augen grossartigste Szene des Films ist für mich übrigens diejenige, in der Salvador operiert werden soll und im OP-Saal liegt. Er hat Angst, und als der Arzt ihn fragt, wie es ihm geht, antwortet er: «Ich schreibe gerade etwas!» Warum sagt er das genau in diesem Moment? Weil er eigentlich sagen will: «Ich will leben! Bringen Sie mich bitte nicht um!» Der Film ist sehr hoffnungsvoll. Salvador will leben, weitermachen!

Wie eng stehen Sie und Almodóvar sich?

Ich kenne ihn seit 40 Jahren. Aber er ist immer ein sehr zurückgezogener Mensch gewesen. Und es gibt Grenzen in dieser Beziehung, die ich niemals versuchen würde zu überschreiten.

Was schätzen Sie an ihm?

Er ist ein wahrer Künstler! Er ist sehr schwierig, im echten Leben wahre Künstler anzutreffen. Viele Leute täuschen das nur sehr gut vor, aber wahre Künstler gibt es wenige. Das, was er in seinem Film erzählt, stimmt alles: Er hat einen Prozess der körperlichen Isolation erfahren. Ein offenes Fenster wie dieses dort hinten könnte Pedro zum Beispiel aus der Bahn werfen. Er würde Migräne bekommen, müsste sofort eine Sonnenbrille aufsetzen. Schritt für Schritt ist Pedro in diese Isolation reingerutscht. Ich habe das zu Beginn nicht so mitbekommen, weil ich in die USA gezogen war. Aber wenn ich mit Freunden aus unserer Clique telefonierte und fragte, wie es Pedro geht, bekam ich zur Antwort: «Wir sehen ihn nie.» «Warum?» «Er geht nicht mehr aus. Er hat Probleme mit dem Rücken und andauernd Migräne.»

Es folgte der totale Rückzug?

Wenn Sie in seine Wohnung gehen – die Wohnung im Film ist übrigens eine exakte Kopie seines Apartments -, dann ist es dort immer dunkel. Es ist eine schöne Wohnung, sie zeigt zum Parque del Oeste in Madrid. Aber solange es nicht Nacht ist, lässt er die Rollläden unten. Die Reflexion der Sonne auf dem Boden seiner eigenen Wohnung ist zu stark für ihn. Was also körperlich mit ihm im Film passiert, ist real.

Sie selbst hatten vor zweieinhalb Jahren einen Herzinfarkt ...

Jeder hat Angst davor zu sterben. Als ich meinen Herzinfarkt bekam, fühlte ich mich am Morgen ganz normal, ich habe Sport getrieben, geduscht und wollte mir gerade eine Tasse Tee zubereiten. Da begann ich plötzlich einen leichten Schmerz in beiden Armen zu spüren. Ich habe mir noch nichts dabei gedacht. Dann fühlte ich mich unwohl, und kalter Schweiss brach mir aus. Ich ging zu Nicole (Kimpel, Banderas' Freundin, d. Red.) und sagte: «Ich glaube, ich bekomme gerade einen Herzinfarkt.» Sie hat mir erst einmal Aspirin gegeben, bis der Krankenwagen da war. Wenn man das so dicht erlebt hat, dann weiss man: Der Tod ist nah. Das relativiert vieles. «Leid und Herrlichkeit» kam mir genau an diesem Moment meines Lebens über den Weg. Es war Schicksal.

War es auch Schicksal, dass Sie Pedro Almodóvar vor 40 Jahren kennenlernten?

Ich war damals erst kurz in Madrid und spielte am Nationaltheater in einem Stück namens «Die Tochter des Windes». Vor der Aufführung gingen wir Schauspieler noch einen Kaffee trinken im Café vor dem Theater. Da war ein Typ mit Aktentasche, sehr witzig, schlagfertig, schlau. Ich erinnere mich nicht mehr an den Gesprächsinhalt, aber daran, dass die Unterhaltung mit ihm sehr lustig war und ich noch dachte: Wow, der Typ ist cool! Als er wieder ging, hielt er bei mir an und sagte: «Du hast ein sehr romantisches Gesicht, du solltest Filmschauspieler werden.» Zwei Wochen später gab er mir das Drehbuch zu «Labyrinth der Leidenschaften» (1982, d. Red.) und sagte: «Lies es einfach und sag' mir Bescheid». Also las ich es und fand es lustig und sehr schräg. Dann rief ich ihn zurück und sagte zu. Dadurch änderte sich mein Leben komplett.

Angeblich hatten Sie als braver Sohn Angst davor was Ihre Mutter wohl dazu sagen würde, dass Sie 1987 in «Gesetz der Begierde» einen Mann lieben. Wie hat sie damals tatsächlich reagiert?

Sie hätte mich am liebsten umgebracht! Sie ging in Madrid in eine Vorstellung von «Gesetz der Begierde», mit all ihren sehr konservativen, katholischen Freundinnen. Die Damen wollten dort Antonio, den Sohn ihrer Freundin Anita, auf der Leinwand bewundern. Was sie dann erlebten, war eine Bettszene zwischen Antonio und einem Mann. «Grosser Gott, Anita?!», fragten sie meine Mutter. Sie rief mich nach der Vorstellung sofort an: «Warum hast du mir das angetan?» Ich fragte: «Was, denn?» «Warum hast du diesen Film gedreht?» «Weil ich ihn gut finde, weil ich Spass dabei hatte, weil ich gern mit Pedro Almodóvar gearbeitet habe und weil wir mit diesem Film die Strukturen des konventionellen Kinos niederreissen.» «Was faselst du?», schrie sie mich an. «Ich gehe mit all meinen Freundinnen ins Kino – und dann das?!»

Haben Sie sich wieder versöhnt?

Mit meiner Mutter? Na, sicher. Das dauerte fünf Minuten.

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