Alexej Nawalny in neuer Doku «Ich dachte, das Regime könne mich nicht einfach töten»

Von Lukas Rüttimann

28.4.2022

Alexej Nawalny spricht in seiner Dokumentation über den Anschlag auf ihn.
Alexej Nawalny spricht in seiner Dokumentation über den Anschlag auf ihn.
HBO Max

«Nawalny», der Dokfilm über den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny, ist packend wie ein Agententhriller, brandaktuell und stellenweise regelrecht verstörend.

Von Lukas Rüttimann

Es gibt einen Moment in «Nawalny», der angesichts der Ereignisse der letzten Zeit eine fast schon ironische Note erhält. Er habe gedacht, dass er mit zunehmender Berühmtheit sicherer werden würde, weil das Regime ihn «nicht einfach umbringen» könne, sagt Alexej Nawalny, während er von einer Bar in die Kamera schaut. Um dann mit einem Grinsen anzufügen: «Ich habe mich geirrt.»

Tatsächlich weiss man spätestens seit dem russichen Einmarsch in der Ukraine, dass es Moskau relativ egal ist, wer gerade Zeuge seiner Aktionen wird. Nicht nur deshalb gibt der Film des kanadischen Regisseurs Daniel Roher einen brandaktuellen und hochspannenden Einblick in die Mechanismen von Wladimir Putins Russland. Denn die Warnzeichen für das, was seit dem 24. Februar dieses Jahres geschehen ist, sind in diesem Film nur unschwer zu übersehen. Wobei man im Nachhinein immer klüger ist.

Wie aus einem schlechten James Bond

Es gibt weitere Szenen, die «Nawalny» (ab 28. April im Kino) zu einem «Must-See» machen. Nawalnys Vergiftung mit einem Nervengift, das in seiner Unterhose versteckt war. Die Erklärung der russischen Newsagentur: Sein Zustand sei die Folge von Drogen und «westlichen» Antidepressiva. Die Reaktion von Angela Merkel auf den Anschlag, die detektivische Feinarbeit Nawalnys, mit der er den Mordversuch an ihm aufarbeitet – und nicht zuletzt Putins öffentliche Auftritte, in denen dieser sich weigert, den Namen seiner Nemesis in den Mund zu nehmen und nur von «dieser Person» spricht.

Es sind Momente, die man bereits aus den Nachrichten kennt. Als Narrativ in einem Film jedoch wirken sie fesselnd, faszinierend – und verstörend. Das gilt auch für das Telefonat mit dem Geheimdienst, bei dem man meinen könne, man sitze in einem schlechten James-Bond-Film.

Nachdem ein Hacker die Identität der Männer herausfindet, die Nawalny als Teil eines Killerkommandos verfolgten, ruft dieser die Männer an und gibt sich als Kreml-Mitarbeiter aus; er wolle wissen, warum das Attentat nicht wie geplant verlaufen ist. Einer der Männer gibt am Telefon alles zu und sagt: «Wir haben es so gemacht, wie es geplant war, so, wie wir es viele Male geprobt haben. Aber in unserem Beruf gibt es, wie Sie wissen, viele Unbekannte». Nicht nur Nawalnys Mitarbeiterin schlägt sich die Hand vor den Mund. Auch als Zuschauer glaubt man kaum, was man da hört.

Charisma, Mut und Ambitionen

Tatsächlich erinnert «Nawalny» öfter an «The Dissident», die Dokumentation über den ermordeten Regimekritiker Jamal Kashoggi, oder auch an «Citizenfour», den Film über den Whistleblower Edward Snowden. Auch diese Filme sind spannend wie Hollywood-Thriller, haben aber einen realen und durchaus dramatischen Hintergrund.

Letztlich zeigt «Nawalny» einen Menschen mit enorm viel Mut, der sein Leben riskiert, um in seiner Heimat Veränderungen zu bewirken. Es wird schnell klar, warum Putin diesen charismatischen Mann fürchtet, der neue Medien für sich nutzt, sich nicht einschüchtern lässt und grosse Ambitionen hat.

Doch nun sitzt Alexej Nawalny im Gefängnis, und in Europa haben wir Krieg. Die Hoffnung bleibt, dass sich beides in nicht allzu ferner Zukunft ändert.

«Nawalny» läuft ab sofort in ausgewählten Schweizer Kinos.