Mundart-Projekt Hey, Siri, lern endlich Schweizerdeutsch

Von Gil Bieler

31.7.2021

Wer mit seinem smarten Phone redet, muss das derzeit auf Hochdeutsch machen – noch.
Wer mit seinem smarten Phone redet, muss das derzeit auf Hochdeutsch machen – noch.
Bild: Keystone/Alexander Heinl/dpa

Siri, Google und andere Sprachassistenten sollen endlich die Dialekte der Schweiz lernen. Forscherin Manuela Hürlimann erklärt, wie weit das Projekt schon ist – und in welchem Kanton sie selbst nur Bahnhof versteht.

Von Gil Bieler

«Hey Siri, lüüt mol minera Schwee ah.» An Sprachbefehlen auf Schweizerdeutsch beissen sich die digitalen Assistenten die Zähne aus.

Um das zu ändern, haben die beiden Hochschulen ZHAW und FHNW im Mai ein Projekt angestossen. Dafür braucht es aber die Mithilfe der Bevölkerung aus der ganzen deutschsprachigen Schweiz: Wer will, kann mittels Browser-App ganz einfach kurze Sätze auf Mundart einsprechen. Auf diese Weise entsteht ein Datensatz verschiedener Dialekte, mit dem Computerprogramme lernen sollen, Mundart zu verstehen.

Was das bringt, erklärt Mike Müller wie folgt: «Eines Tages auf Schweizerdeutsch ins Handy zu diktieren, wäre doch eine wunderbare Sache.» Der Schauspieler und Komiker aus Grenchen ist einer der prominenten Unterstützer des Projekts.

Das erklärte Ziel der Forscher*innen: Mindestens 2000 Stunden an Aufnahmen sollen eingereicht werden. Davon ist man Stand heute aber noch ein ganzes Stück entfernt, wie die Projektverantwortliche Manuela Hürlimann erklärt. «Wir haben etwas mehr als 83 Stunden zusammen», sagt sie im Gespräch mit «blue News». «Wir stehen noch ziemlich am Anfang, doch unser Ziel ist auch ganz schön ambitioniert. Um es zu erreichen, brauchen wir möglichst viele Teilnehmende aus der ganzen Schweiz.»

Seislertütsch? Das soll ein Computer verstehen?

Wenig überraschend sind aus den grossen Kantonen Zürich und Wallis besonders viele Einsendungen eingetroffen. Aber auch der Rücklauf aus der Ostschweiz, namentlich aus Appenzell-Ausserrhoden, dem Thurgau und Graubünden, sei erfreulich. Dasselbe gelte für den Kanton Freiburg.

Der Freiburger Dialekt ist für ungeschulte Ohren eine Herausforderung – das kann die ZHAW-Forscherin, die aus dem Luzernischen stammt, bestätigen: «Ich hatte mich schon einmal auf einer Wanderung im Sensebezirk verlaufen und musste nach dem Weg fragen. Danach war ich aber gleich schlau wie vorhin», sagt Hürlimann mit einem Lachen. Das berüchtigte Seislertütsch sei für sie noch schwieriger zu verstehen als der Walliser Dialekt.

Und das sollen Computerprogramme zu meistern lernen? «Genau das ist unser Ziel.» Die künstliche Intelligenz (KI) soll gesprochene Dialekte verstehen und automatisch in hochdeutschen Text übersetzen können. Mit dieser Anwendung seien zig verschiedene Einsatzmöglichkeiten denkbar: «Was ich persönlich spannend finde, ist, dass man so automatisch Sitzungsprotokolle erstellen kann.» Auch Auswertungen von Hotline-Anrufen wären einfacher auswertbar. Untertitel für Personen mit einer Hörbeeinträchtigung – etwa im TV oder bei Vorträgen – könnten automatisch erstellt werden.

Und natürlich gibt es noch die Sprachassistenten, von denen Mike Müller träumt. Von den grossen Tech-Konzernen habe bisher aber noch keiner angeklopft, sagt Hürlimann.

Das Ziel steht, der Weg dahin noch nicht

Wie genau dieser Übersetzungsprozess am Ende aussehen wird, ist noch offen. Wird es eine KI geben, die alle Dialekte versteht, vom Wallis bis ins Toggenburg? Oder muss jeder Dialekt als eigene Sprache behandelt werden? «Wir sind noch dabei, das zu klären.»

Offen sei auch, ob die verschiedenen Dialekte voneinander profitieren könnten. Wenn es zum Beispiel viele Zürcher Datensätze gebe, aber nur wenige aus dem deutschsprachigen Jura – kann die Jura-KI dann auch Zürcher Daten nutzen, um Lücken zu schliessen? Ab Herbst wollen die Forscher*innen all diese ganz praktischen Herausforderungen angehen. Das Projekt wird vom Schweizer Nationalfonds finanziert. 



Ganz bei null starten sie nicht, erste Erfahrungen konnte man bereits im Rahmen von Studentenarbeiten sammeln: «Dabei wurde einer KI beigebracht, Berndeutsch zu verstehen. Es zeigte sich, dass sie auch Zürcher und Basler Dialekt gut verstanden hat.» Zwar seien in dem Projekt keine «exotischen Dialekte» berücksichtigt worden, aber dennoch habe sich gezeigt: «Es gibt Hoffnung.»

Bis es so weit ist, müssen aber noch viele Stunden weiterer Dialektaufnahmen her. Die Kantone Schwyz, Glarus, Jura und Basel-Stadt seien bisher noch eher weisse Flecken in der Datensammlung, sagt Hürlimann. Als Anreiz nehmen alle, die ihre Aufnahmen bis zum 27. August einsenden, an einem Gewinnspiel teil – dem «Kampf der Kantone». 

«Doch die Leute können auch nach diesem Datum noch Dialektaufnahmen einschicken», sagt die Forscherin. «Man kann nie zu viele Daten haben.»

Mit welchem Dialekt wird gesprochen?

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