Nach Trump-Intervention Politisches Drama um TikTok entbrannt

dj

3.8.2020

Internationales Drama um TikTok: Nachdem Trump ein Verbot angekündigt hat, will Microsoft die chinesische App nun in Teilen übernehmen. Aber viele Fragen bleiben offen.

Der US-Tech-Gigant Microsoft will TikTok zumindest in Teilen übernehmen. Das teilte er in einer Presseerklärung in der Nacht zum Montag mit. Bis zum 15. September wolle man sich mit dem chinesischen Eigentümer ByteDance über die Modalitäten des Aufkaufs der enorm populären Video-Social-Media-App einigen, so Microsoft.

Die Erklärung krönte ein Wochenende voll mit internationalem Drama um TikTok. In der US-Politik gibt es schon seit Längerem Bestrebungen und Andeutungen, TikTok wegen seiner chinesischen Eigentümerschaft zu verbieten. Als Grund wurde angegeben, dass über TikTok die chinesische Regierung an Daten amerikanischer Bürger kommen könnte — was vom Unternehmen immer bestritten wurde.

Am Freitag gab es erste Berichte über ein mögliches Interesse Microsofts an TikTok. Doch am selben Abend liess US-Präsident Trump an Bord seiner Präsidentenmaschine Air Force One eine politische Bombe platzen: Er werde TikTok schon am nächsten Tag in den USA ganz verbieten.

Trump hat sich auf TikTok eingeschossen.
Trump hat sich auf TikTok eingeschossen.
Getty Images

TikToker in Panik

In der App löste das Panik aus. Zahlreiche prominente TikToker posteten emotionale Abschiedsvideos auf der Plattform. Für viele war und ist TikTok ihr Lebensmittelpunkt. TikToks US-Chefin Vanessa Pappas veröffentlichte ein eigenes Video, in dem sie versprach, dass TikTok keine Absicht habe, «irgendwohin wegzugehen»:

Nun kam und ging der Samstag ohne ein TikTok-Verbot. Offenbar gab es derweil hinten den Kulissen ergiebige Diskussionen innerhalb der US-Regierung sowie zwischen der Regierung und Microsoft. Finanzminister Steven Mnuchin und republikanische Senatoren wirkten auf Trump ein, einen Verkauf an Microsoft zu gestatten, berichtet die «New York Times». Ein komplettes Verbot wäre rechtlich fragwürdig und politisch schädlich, da dadurch im Wahljahr 2020 unzählige junge Wähler verärgert würden, so ihre Argumentation.

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch ein offener Brief von zahlreichen TikTok-Influencern an Trump. Man solle doch die App durch einen Verkauf vom «Einfluss der Kommunistischen Partei» befreien, aber die Gemeinschaft erhalten. TikTok ermögliche der Generation Z Interaktionen, die auf Facebook und Instagram nicht möglich seien. Schliesslich könnte ein Verbot auch als Rache dafür aufgefasst werden, dass TikToker mutmasslich eine Trump-Wahlkampfveranstaltung sabotierten.



Microsoft will nicht ganz TikTok kaufen

In der vergangenen Nacht bestätigte nun Microsoft offiziell sein Interesse an TikTok. Microsoft-Chef Satya Nadella habe dazu persönlich mit Trump telefoniert und ihm versichert, dass Microsoft dessen Bedenken verstehe. Ein allfälliger Deal mit ByteDance würde garantieren, dass Daten von US-Bürgern ausschliesslich in den USA gespeichert würden.

Einen ganz grossen Haken gibt es aber dabei. Microsoft würde nur die TikTok-Geschäfte in den USA, Kanada, Australien und Neuseeland übernehmen und nicht etwa in Europa. Was das für die Interaktion zwischen TikTok-Nutzern in den verschiedenen Regionen bedeuten würde, ist völlig unklar.

Kommt die digitale Mauer zwischen USA und Europa?

Können Schweizer TikTok-Nutzer weiterhin Videos von amerikanischen TikTok-Influencern anschauen? Können sie Kommentare beim jeweils anderen hinterlassen? Würden es die USA überhaupt akzeptieren, dass es dann noch irgendeine Art von Verbindung zwischen dem Microsoft-TikTok in Nordamerika und Ozeanien und dem ByteDance-TikTok im Rest der Welt gäbe?

 Von ByteDance selbst gab es in der Angelegenheit nur ein auf der ebenfalls der Firma gehörenden Nachrichten-App Toutiao veröffentlichtes Statement auf Chinesisch. Man sei mit «komplexen und unvorstellbaren Schwierigkeiten» konfrontiert, wie eine angespannte geopolitische Situation und «Verleumdung und Plagiarismus» von Konkurrent Facebook. TikTok ist in der Tat die grösste Gefahr für Facebooks Dominanz bei sozialen Medien seit Jahren und Chef Zuckerberg griff den Dienst schon mehrfach an.



Chinesische Cyber-Souveränität geht nach hinten los

In China werden diese Entwicklungen erwartungsgemäss mit Ärger aufgenommen. Die «Global Times», die englischsprachige Zeitung der Kommunistischen Partei, nennt das Verhalten der USA in Bezug auf TikTok den «barbarischen Akt einer Schurken-Regierung». Den USA ginge es einzig um ihre «Tech-Hegemonie», die durch aufstrebende chinesischen Unternehmen wie ByteDance oder Huawei gefährdet würde.

Doch China selbst hat in den vergangenen Jahren immer wieder ein Konzept namens «Cyber-Souveränität» hervorgehoben. Nach diesem sei es das Recht eines jeden Staates, alleine darüber zu entscheiden, wie das Internet in seinen eigenen Grenzen auszusehen habe. Nun gehen aber die USA ähnlich gegen TikTok vor, wie China zuvor mit Verweis auf «Cyber-Souveränität» gegenüber Facebook, Google oder Twitter gehandelt hat.  Das sorgte natürlich in den USA selbst für Kritik, weil damit amerikanische Prinzipien verletzt würden, für China aber ist es eher ein Fall von «Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es heraus». 



ByteDance ist Opfer der Umstände

In all dem ist ByteDance vor allem Opfer von Umständen, die es nur begrenzt beeinflussen kann. Der Aufstieg von TikTok fällt in eine Zeit kaum da gewesener Spannung zwischen China und den USA mit einem Präsidenten, der im Wahlkampf verzweifelt versucht, seinen fallenden Umfragewerten irgendetwas entgegenzusetzen.

Das amerikanische Magazin «Atlantic» veröffentlichte letzte Woche ein grösstenteils wohlwollendes Porträt vom 37-jährigen ByteDance-CEO Zhang Yiming. Es beschreibt einen Mann, der fast eine prototypische Karriere eines Tech-Gründers hingelegt hat, aber von der politischen Realität eingeholt wurde.

In bescheidenen Verhältnissen in der Fujian-Provinz aufgewachsen, brachte er sich selbst auf dem mit Mühe von seinen Eltern ersparten Computer bei, wie man Windows 3.1 benutzt und programmiert. Nach dem Studium ging er in die USA und arbeitete dort ausgerechnet bei Microsoft. Doch schon nach sechs Monaten verliess er das Unternehmen, weil er mit den Strukturen eines Grosskonzerns nicht klargekommen ist — ein Schicksal, das er mit zahlreichen erfolgreichen amerikanischen Start-up-Gründern teilt.

ByteDance-Chef Zhang Yiming möchte vermutlich einfach nur in Ruhe ein Unternehmen führen.
ByteDance-Chef Zhang Yiming möchte vermutlich einfach nur in Ruhe ein Unternehmen führen.
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Alle Vorsicht half nichts

Zurück in China gründete er 2012 ByteDance, erstellte unter anderem die erwähnte Nachrichten-App Toutiao und 2017 TikTok. Er trennte die App früh in eine Version für den chinesischen Markt, dort als Douyin bekannt, und eine für den Rest der Welt. Mit Büros und Spitzenpersonal in westlichen Ländern sollte Unabhängigkeit von China demonstriert werden.

Doch trotz aller Vorsicht konnte sich auch Zhang den Umständen nicht entziehen. 2018 musste er ein unterwürfiges Statement verfassen und seine Loyalität zur Parteiideologie bekennen, nachdem Inhalte auf Toutiao der politischen Führung Chinas missfielen. Dies machte relativ klar deutlich, dass man sich als chinesisches Unternehmen nie völlig von Staat und Partei emanzipieren kann.

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