Ausstieg aus RaumstationLässt Putin die ISS auf die Erde krachen?
Von Dirk Jacquemien
30.7.2022
Russland hat den Ausstieg aus der Internationalen Raumstation ISS angekündigt. Ist das wieder nur ein Bluff oder wird Wladimir Putin die ISS wirklich abstürzen lassen?
Von Dirk Jacquemien
30.07.2022, 21:47
Dirk Jacquemien
Der neue Chef der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, Juri Borissow, meldete sich gleich mit einem Paukenschlag im Amt an. Beim Rapport bei Machthaber Wladimir Putin verkündete er, dass Russland die Internationale Raumstation ISS «nach 2024» verlassen werde. «Gut», war die kurze und knappe Antwort Putins.
Die Ankündigung stiess auf Sorge bei dem westlichen Partner auf der ISS. Die USA hatten erst kürzlich beschlossen, die Raumstation bis 2030 in Betrieb zu halten. Dabei gab es nach Borissows Ernennung zunächst Anlass für Optimismus.
Denn gleichzeitig wurde bekannt, dass sich die Nasa und Roskosmos trotz aller Spannungen auf einen Crew-Tausch in diesem Jahr verständigt hatten. Eine russische Kosmonautin würde demnach an Bord einer Crew Dragon-Fähre zur ISS fliegen, ein US-Astronaut mit einem Sojus-Raumschiff.
Der von Putin geschasste frühere Roskosmos-Chef Dimitri Rogosin hatte dagegen in jüngster Zeit fast ausschliesslich mit seinen martialischen Social-Media-Auftritten Schlagzeilen gemacht, in den er allerlei Drohungen gegenüber dem Westen aussprach. Unter anderem stellte er öffentlich die Frage, auf welches Land denn die 500 Tonnen-ISS krachen würden, wenn Russland sich zurückzieht.
Mit Borissow könne es daher nur besser werden, so die Vermutung. Die Ankündigung zum vermeintlich baldigen Ausstieg erwischte die Nasa daher auf dem falschen Fuss. Sie betont, dass ihr gegenüber über offizielle Kanäle kein Ende der Kooperation kommuniziert wurde. Auf der Arbeitsebene herrsche mit den russischen Kolleg*innen Business as usual.
Russland hält ISS im Orbit
Ein tatsächlicher Ausstieg Russlands würde allerdings wirklich die ISS gefährden. Die Raumstation besteht aus einem russischen Segment– für den Roskosmos alleine verantwortlich ist – und einem US-Segment – an dem neben den USA auch die europäischen, japanischen und kanadischen Weltraumbehörden beteiligt sind.
Das russische Segment ist dabei für die Orbitstabilisierung der gesamten Station verantwortlich, ohne die diese wortwörtlich auf die Erde stürzen würde. Vor einem Monat testete die Nasa erstmals erfolgreich die Kurskorrektor der ISS mit den Triebwerken eines angedockten US-Frachtschiffes.
Expert*innen halten aber dennoch einen Weiterbetrieb nur eines Segmentes der ISS für praktisch kaum umsetzbar, da viele Systeme untereinander abhängig sind. Bei einem russischen Totalrückzug müsste die ISS also wohl aufgegeben und kontrolliert zum Absturz gebracht werden.
Ob 2024 wirklich Schluss sein wird, steht allerdings in den Sternen. «Nach 2024» kann schliesslich genau genommen auch 2030 bedeuten. Und wie die geopolitische Situation in zwei Jahren aussehen wird, kann sowieso niemand seriös vorhersagen.
Gegen einen Ausstieg Russlands spricht auch, dass das Land die prestigereiche bemannte Raumfahrt eigentlich nicht aufgeben will und sogar eine neue eigene Raumstation, die Russian Orbital Service Station (ROSS), plant. Doch mit deren Bau wird frühestens 2028 begonnen, was bei Fortbestand der Sanktionen zudem mehr als fraglich sein dürfte.
Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass Russland sich vor Inbetriebnahme der ROSS der Möglichkeit beraubt, eine Präsenz im All zu zeigen. Die USA planen schliesslich in den nächsten Jahre die Rückkehr zum Mond und China hat bereits eine eigene Raumstation in der Umlaufbahn. Da kann es sich eine Supermacht, für die Putin Russland hält, kaum erlauben, so ins Hintertreffen zu geraten.