Spielekritik Der coolere Spider Man kommt genau zum richtigen Zeitpunkt

Von Pascal Wengi

9.11.2020

Mit Miles Morales erhält «Spider Man» ein neues Gesicht.
Mit Miles Morales erhält «Spider Man» ein neues Gesicht.
Bild: Sony

Der Playstation 4 Exklusivtitel «Spider Man» überraschte 2018 Fans und Kritiker und setzte neue Massstäbe, wie Film- und Comicvorlagen in Videospielen umgesetzt werden sollten. Ob der Nachfolger «Spider Man: Miles Morales» die hohen Erwartungen nun erfüllen kann?

«Ich bin Spider Man», murmelt unser sichtlich nervöser Protagonist mantraartig vor sich hin und setzt zum Sprung vom Wolkenkratzer an. Unbeholfen, fast schon ängstlich rast er den schneebeckten Strassen Manhattans entgegen. Seine lose Basketballhose flattert im Wind, ebenso wie sein Kapuzenpulli mit dem roten Spider-Man-Logo. Der tödliche Aufprall naht und sowohl Spielfigur wie Spieler scheinen gleichermassen kurz den Atem anzuhalten.



Dann der rettende Netz-Schuss und unser Held schwingt sich knapp über die Dächer der gelben New Yorker Taxis hinweg. Seine unkontrollierte Fortbewegung erinnert dabei mehr an einen betrunkenen Tarzan als an den agilen und akrobatischen Spinnenman, den man aus Film, Comic und anderen Games kennt. Das hat aber auch einen guten Grund, denn unter dem Hoodie und der selbstgemachten Spider-Man-Maske steckt nicht der Original Spider Man, Peter Parker, sondern Miles Morales, der seine Spinnen-Fähigkeiten erst gerade frisch erhalten hat und noch am Üben ist.

Das Herumschwingen mittels Netzen ist wieder das A und O der Fortbewegung in New York City.  
Das Herumschwingen mittels Netzen ist wieder das A und O der Fortbewegung in New York City.  
Bild: Screenshot PS4

Der neue Spider Man

Die Fortsetzung «Spider Man: Miles Morales» setzt hier direkt an den Vorgänger an, ohne dessen Story zu spoilern. In «Spider Man» von 2018 wurde die Geschichte von Miles als Nebenstrang angekratzt und erzählte wie sein Vater bei einem Anschlag ums Leben kam und wie er seine Fähigkeiten erlangte. Um «Spider Man: Miles Morales» spielen zu können, muss man aber den Vorgänger nicht zwingend gespielt haben. Die Zusammenfassung aus dem Intro reicht sehr gut aus, denn man erzählt nun eine eigene, neue Geschichte rund um Miles, statt Peters Geschichte weiter zu strecken. Dieser tritt als Mentor des Superhelden-Frischling artig in den Hintergrund und überlässt Miles das Spielfeld. Sogar wortwörtlich, denn Peter Parker fährt für einige Wochen in den Urlaub und tritt die Verantwortung über New York City an seinen Azubi ab.



Dass Miles sich dafür noch nicht bereit fühlt, wird schnell klar, denn den letzten gemeinsamen Auftrag des Spinnen-Duos verbockt er und auch sonst wirkt er sehr unbeholfen und unsicher. Doch Peter glaubt unbeirrt an seinen Schützling und ist fest überzeugt, dass in Miles ein wahrer Superheld steckt. So hinterlässt er ihm auch gleich einen eigenen Spider-Man-Anzug, bevor er nach Europa verschwindet. Die Unsicherheit von Miles spürt man dann auch als Spieler, denn anders als sein grosses Vorbild steuert er sich anfangs etwas unbeholfener. Bei seinen Netzschwüngen dreht er sich unkontrolliert in alle Richtungen. Zwar ohne die geniale Fortbewegungs-Mechanik merklich zu stören, aber es sieht um Welten weniger episch aus als beim Lehrmeister. Dabei hilft es Miles wohl auch nicht, wenn ihn jeder hilfsbedürftige Bürger der Stadt zuerst fragt, wo denn der richtige Spider Man steckt, bevor sie Miles’ Hilfe in Anspruch nehmen.

Unbeschadet im Sturzflug von New Yorks Wolkenkratzern – das kann auch nur «die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft».
Unbeschadet im Sturzflug von New Yorks Wolkenkratzern – das kann auch nur «die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft».
Screenshot PS4

Neues altes Kampfsystem

Abgesehen von den Unsicherheiten beim Netzschwung, steht Miles’ bei seinem Soloauftritt dem Vorgänger aber in nichts nach. Die Kämpfe laufen noch genauso flüssig und actionreich ab, wie man sie mit Peter erlebte. Gegnern akrobatisch ausweichen und dann mittels Combos ordentlich den Hintern versohlen – das funktioniert auch im zweiten Teil wunderbar und macht jede Menge Spass. Gefühlt steuert sich Spider Man nun fast schon ein klein wenig flüssiger und schneller. Ausserdem hat man seine Fähigkeiten im Kampf etwas schlanker gestaltet, ohne je das Gefühl zu vermitteln, dass etwas fehlt. Miles verfügt in der Summe vielleicht über weniger Gadgets und Fähigkeiten, doch nun fühlt sich jede davon wirklich sinnvoll und stark an. Der neue Spider Man erhält sogar eine ganz eigene Superkraft, denn wie in der Comic-Vorlage kann Miles Bioelektrizität nutzen, um seine Angriffe mit Strom zu verstärken.

Mit seinen Bioelektrischen-Fähigkeiten heizt Miles den Gegnern ordentlich ein.
Mit seinen Bioelektrischen-Fähigkeiten heizt Miles den Gegnern ordentlich ein.
Bild: Screenshot PS4

Dabei entstehen auch neue Möglichkeiten für Rätsel, welche von den Elektro-Fähigkeiten Gebrauch machen und so hat man nie das Gefühl, dass man dies alles schon mal erlebt hat. Wie auch bei Peter Parkers Auftritt ist die offene Karte mit einigen Nebenaktivitäten übersät. Hier wird man als Spieler zum Glück auch nicht mit stumpfen Sammelaufträgen beschäftigt, sondern meistert spannende Herausforderungen, um so neue Fähigkeiten oder Verbesserungen freizuschalten.



Netter Nebeneffekt dabei ist, dass man sich mit der dabei gefundenen Währung neue Anzüge für Miles freischalten kann. Zwar haben sie diesmal keine anzugspezifischen Fähigkeiten wie noch beim Vorgänger, aber Miles ist mit seinen Grundfähigkeiten schon so gut ausgestattet, dass dies auch gar nicht nötig ist. Besonders herausgestochen ist hier der «Animiert»-Anzug, in Anlehnung an den Animations-Hit «In to the Spider-Verse». Der Anzug ändert das Spiel optisch und fügt bei Kämpfen die typischen Comic-Effekte wie «Pow», «Bämm» oder «Wham» hinzu und setzt so nochmal eine Schippe Coolness drauf.

Der coolere Spider Man

Dies wäre eigentlich gar nicht nötig, denn «Spider Man: Miles Morales» hat schon einen recht grossen Coolness-Faktor, was er vor allem seinem Hauptdarsteller und dem Soundtrack verdankt. In Brooklyn aufgewachsen und nun in Harlem wohnhaft, verbindet sich Miles Morales mit der Hip-Hop-Szene, was die Musik im Spiel gleich deutlich zu erkennen gibt. Der epische Spider-Man-Soundtrack wurde mit dickem Bass unterlegt und harmoniert wunderbar mit dem Gezeigten. Ausserdem kommt Miles’ Version des Spinnenmanns nicht minder wortwitzig als sein Vorbild daher, legt aber noch eine Schippe Lockerheit drauf. Spätestens wenn Miles im Verlauf der Story auch beginnt, an sich selbst zu glauben, nimmt sein Charakter so richtig Fahrt auf.

Auch im zweiten Teil weiss New York City durchaus zu glänzen.
Auch im zweiten Teil weiss New York City durchaus zu glänzen.
Bild: Screenshot PS4

Grafisch steht «Spider Man: Miles Morales» seinem Vorgänger in nichts nach. An einigen Stellen, sieht das Spiel nun gefühlt etwas flüssiger und besser aus als noch zuvor, aber man merkt, dass nun die Zeit für eine neue Konsolengeneration gekommen ist. Mehr liegt wohl auf der aktuellen Hardware nicht mehr drin, denn schon «Spider Man» wusste 2018 alles aus der Playstation 4 herauszuholen.

Wir haben «Spider Man: Miles Morales» auf der Playstation 4 getestet. Wie sich Grafik und andere Unterschiede auf der Playstation 5 präsentieren, werden wir nachliefern.

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