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Bötschi fragt Martin Suter: «Das war ein grosser Fehler»
Von Bruno Bötschi
9.12.2020
Er ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Schweiz. Martin Suter, 72, über das Leben als Linkshänder, die Liebe, Drogen und sein neues Buch, das er zusammen mit Benjamin von Stuckrad-Barre geschrieben hat.
Das letzte Mal, als der Bestsellerautor und der Journalist sich zum Interview trafen, trank man nach dem Gespräch zusammen noch ein Glas Champagner und sprach ein bisschen über Gott und die Welt.
In diesem Jahr ist vieles anders, statt live – Corona sei Dank – trifft der Schreiberling den Schriftsteller per Facetime. Und zum ersten Mal sprechen die beiden über ein Buch, in dem Suter selber vorkommt. Bisher war er «nur» der Autor seiner Geschichte.
Im Gesprächsband «Alle sind so ernst geworden», das heute erscheint, spricht Martin Suter mit Benjamin von Stuckrad-Barre über Hochzeiten, Teufel, Madonna, Siri, Kokain, Verliebtheit und sonst noch ein paar weltbewegende Dinge.
Suter war einst Werbetexter und wurde bereits mit 26 Jahren Creative Director einer Werbeagentur. Parallel dazu begann er, Drehbücher und Reportagen zu verfassen. 1991 startete er seine Karriere als Schriftsteller. Mit dem Roman «Small World» gelang ihm 1995 der Durchbruch.
Herr Suter, wir machen heute per Facetime ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in den nächsten 45 Minuten möglichst viele Fragen. Und Sie antworten möglichst kurz und schnell. Wenn Ihnen eine Frage nicht passt, sagen Sie einfach ‹weiter›.
Das ist gut so.
Gut aufgestanden heute Morgen?
Ja. Ich bin wie immer früh aufgestanden.
Was heisst ‹früh›?
So gegen halb sechs Uhr.
Es ist kurz nach 11 Uhr am Mittag. Demnach sind Sie jetzt hellwach?
Ja – aber ich werde schon bald wieder müde (lacht).
Dann bitte jetzt einen klugen Satz zum Jahr 2020.
Gut, dass es bald vorbei ist.
Mögen Sie Redewendungen?
Nicht besonders.
Zum Autor: Bruno Bötschi
«blue News»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.
Als Linkshänder halten Sie demnach auch nicht viel von der Redewendung ‹Zwei linke Hände haben›?
Mmmh … das trifft nicht auf mich zu, ich habe nur eine linke Hand.
Ihre Lehrerin wollte Ihnen das Schreiben mit der linken Hand austreiben.
Das Fräulein Hauser war spezialisiert darauf, aus Linkshändern Rechtshänder zu machen.
Früher wurden Linkshänder dazu gezwungen, mit rechts zu schreiben.
Fräulein Hauser war eine liebe Lehrerin. Ich wurde nicht gezwungen, mit der rechten Hand zu schreiben. Wir waren damals in der ersten Klasse, ich ging in Zürich-Oerlikon zur Schule, acht Linkshänder. Am Ende war ich der einzige Schüler in der Klasse, der noch mit der linken Hand geschrieben hat.
Aber wieso wollte man aus Linkshändern Rechtshänder machen?
Linkshänder sein kann ziemlich unpraktisch sein. Die ganze Welt ist auf Rechtshänder ausgerichtet. Kinderlöffel sind für Rechtshänder gemacht, Scheren auch. Und in der Schule, wir schrieben damals mit Federn, war die Gefahr gross, dass du als Linkshänder das Blatt mit Tinte verspritzt hast.
Warum das?
Rechtshänder ziehen die Feder, Linkshänder stossen sie.
Wieso blieben Sie der einzige Linkshänder in Ihrer Klasse?
Ich bin kein sturer Mensch und auch nicht jemand, der unbedingt Recht behalten will. Ich schaffte die Umstellung einfach nicht. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mit der rechten Hand Buchstaben malen sollte, aber es einfach nicht funktionieren wollte – bis irgendwann die Tränen flossen.
War das ein traumatisches Erlebnis?
Nicht wirklich – als Linkshänder war man etwas Besonderes. Und als Kind ist man ja nicht ungern etwas Besonderes. Ich bin zudem noch am 29. Februar 1948 geboren.
Sie waren demnach ein doppelt besonderes Kind.
Es gibt noch eine dritte Besonderheit: Ich wurde an einem Sonntag geboren.
So grundsätzlich: Wie funktioniert es mit dem Schreiben während der Corona-Pandemie?
Meine Arbeitsweise als Schriftsteller hat sich ich den letzten Monaten nicht gross verändert. Ich machte schon vorher Homeoffice.
Seit Sie vor zwei Jahren Ihre Internetseite martin-suter.com lanciert haben, frage ich mich immer wieder: Wie schafft es Martin Suter, so fleissig zu sein?
Das frage ich mich auch (lacht).
Auf Ihrer Website finden Ihre Fans neue ‹Business Class›-Kolumnen. Man kann Kapitel lesen, die Ihren Roman ‹Lila, Lila› fortsetzen. Es gibt Berichte aus der Allmen-Krimiwelt. Und weil Sie wegen der Corona-Pandemie nicht mehr auf Lesereise gehen können, haben Sie in diesem Sommer auch noch Videos hochgeladen, in denen Sie aus Ihren Texten lesen. Arbeiten Sie Tag und Nacht durch oder wie schaffen Sie das alles?
Eigentlich habe ich schon vor langer Zeit damit aufgehört, nachts zu arbeiten. Aber ich gebe zu, in den letzten Wochen und Monaten habe ich es doch hin und wieder getan. Aktuell schreibe ich am fünften Kapitel für meinen Roman ‹Lila, Lila›. Eigentlich wollte ich den Text gestern Abend hochladen, aber ich habe es nicht mehr geschafft. Ich muss heute nochmals daran arbeiten. Wegen des neuen Gesprächsbuchs ‹Alle sind so ernst geworden›, das ich zusammen mit Benjamin von Stuckrad-Barre geschrieben haben, muss ich gerade ziemlich viele Interviews geben und habe deshalb zu wenig Zeit zum Schreiben.
Nochmals: Was treibt Sie an?
Schreiben ist mein Beruf. Zudem war ich noch nie ein Freund der Pensionierung. Ich mag es allen Menschen gönnen, die sich auf das AHV-Alter freuen. Aber genauso habe ich Mitleid mit jenen, die gern weiterarbeiten würden, aber nicht dürfen und deshalb in ein Loch fallen und sich überflüssig fühlen.
Wirklich wahr, dass Sie rund die Hälfte Ihrer Schreibzeit Ihrem digitalen Auftritt widmen?
Mmmh … ja, wahrscheinlich ist dem so, aber ich habe fest vor, dies in nächster Zeit zu ändern respektive die Produktionsabläufe für meine Internetseite anders zu organisieren. Ich gebe zu, es ist viel mehr Arbeit, als ich am Anfang dafür einberechnet habe. Aber es macht eben auch viel Spass.
Im ‹Tages-Anzeiger› war zu lesen, Ihr Verlag und der Buchhandel hätten Angst davor, dass Sie im Internet Ihre Zeit verplempern und deshalb nicht dazu kämen, einen neuen Roman zu schreiben.
So schlimm ist es nicht – und ich darf Ihnen verraten: Ich schreibe aktuell an einem neuen Roman und komme damit ganz nett voran.
2014 zogen Sie nach Zürich, also in jene Stadt, über die Sie einst sagten, Sie könnten hier nicht arbeiten, denn die Betriebsamkeit würde Sie zu sehr ablenken.
Ich dachte wirklich, Zürich würde mich vom Schreiben abhalten. Zum Glück ist dem bisher nicht so. Das Jahr 2020 war wegen der Corona-Pandemie sowieso viel ruhiger. Ich konnte mich fast noch besser auf das Schreiben konzentrieren als sonst. Ich habe in den letzten Jahren aber auch lernen müssen, Nein zu sagen. Zudem respektieren die Menschen auch je länger desto mehr, dass ich mit 72 nicht mehr ständig herumtingeln will. Ein Schutzschild ist auch mein Verlag, der Anfragen mit dem Hinweis ‹Herr Suter hat keine Zeit, er schreibt gerade an seinem neuesten Roman› ablehnt.
Diese Antwort habe ich auch schon gehört.
So, so … (lacht).
Es heisst, Benjamin von Stuckrad-Barre, mit dem Sie das Buch ‹Alle sind so ernst geworden› geschrieben haben, sei auch ein sehr betriebsamer Mensch.
Das ist wahr. Benjamin ist ein übersprudelnder Mensch. Ein grosser Unterschied zwischen ihm und mir ist zudem: Benjamin kommt in seinen Büchern vor, nein, sie handeln sogar fast ausschliesslich von ihm. Ich dagegen halte mich total raus aus meinen Geschichten, ich bin nur der Autor von ihnen. Benjamin ist Schriftsteller mit aller Konsequenz, ich war das lange nicht.
Wie meinen Sie das?
Ich getraute mich nur Schriftsteller zu werden, weil mich meine Kolumnen ‹Businessclass› und der ‹Geri Weibel› finanziell über Wasser halten konnten. Am Anfang habe ich zudem auch noch regelmässig Werbetexte geschrieben.
Ein Freund von mir sagte: Benjamin von Stuckrad-Barre und Sie würden wie die Faust aufs Auge zusammenpassen. Hier der ruhige und bedachte Suter, dort der quirlig-dauerplappernde von Stuckrad-Barre.
Ihr Freund hat möglicherweise nicht Unrecht. Ich glaube, ich darf für Benjamin und mich reden, wenn ich sage, dass wir gerade auch diese Gegensätze suchen. Es gibt jedoch auch Gemeinsamkeiten, die sind vielleicht nicht so augenfällig.
Zum Beispiel?
Wir leben beide eine gewisse Distanz zum klassischen Literaturbetrieb. Und wir legen beide Wert darauf, immer korrekt gekleidet zu sein.
Sie kifften ‹Schwarzen Afghan›, er zog ganz viel Kokain.
Ich weiss nicht, welche Drogen Benjamin in seinem bisherigen Leben schon alle genommen hat. Möglicherweise hat er schon von allem ein bisschen probiert. Ich war da deutlich vorsichtiger.
Warum?
Ich kenne mehrere Menschen, die dem Charme dieser Mittel ganz erlegen sind. Das wollte ich unter allen Umständen verhindern. Deshalb konzentrierte sich meine Drogensucht auf ein paar Mal Kiffen und später auf guten Rotwein.
‹Wenn das legal wäre, wäre das, glaube ich, ein gelöstes Problem›, sagen Sie auf Seite 65 des Buches ‹Alle sind so ernst geworden›. Sie sind demnach für die Freigabe von Drogen?
Ja, das bin ich. Ich habe längere Zeit in Guatemala gelebt und gesehen, wie ein Land kaputtgeht, wenn es zu einem Drogenumschlaglatz wird. Es ist schrecklich, wie viele Menschen deswegen sterben müssen und immer noch sterben. Ich bin überzeugt davon, wenn Drogen in den mittelamerikanischen Ländern nicht mehr das umsätzmässig wichtigste Exportgut wären, würde das Leben dort anders aussehen. Gäbe es den ‹War on Drugs›, den die Amerikaner seit 1972 führen, nicht mehr, wären Drogen längst kein derart tödliches Geschäft mehr, das in der Legalität stattfindet. Welche entschärfenden Auswirkungen die Legalisierung von Drogen hat, sieht man in jenen Ländern, die Cannabis freigegeben hat.
Sie lernten Herrn von Stuckrad-Barre während Ihrer Ferien in Heiligendamm, Deutschland, kennen.
So ist es – und zwar im Sommer 2018.
Sie taten scheinbar den ersten Schritt.
Stimmt auch. Ich ging auf ihn zu – also nachdem meine Frau zu mir gesagt hatte: ‹Schau, dort hinten, das ist doch der Benjamin von Stuckrad-Barre.›
Was sagten Sie als Erstes zu Herrn von Stuckrad-Barre?
Wahrscheinlich ‹Hallo› oder ‹Freut mich Sie zu sehen›. Ich war ein bisschen verlegen, als ich das erste Mal vor Benjamin stand und mich vorgestellt habe. Je länger unser erstes Treffen zurückliegt, desto legendärer werden die Erzählungen darüber. Irgendwann weiss man als Protagonist selber nicht mehr, wie es genau war. Benjamin behauptet heute, ich hätte nach der Begrüssung gesagt: ‹Ich schreibe auch›, worauf er geantwortet habe: ‹Das weiss ich doch.›
Beim ersten Zusammentreffen trugen Sie eine orange leuchtende Badehose. Was trug Herr von Stuckrad-Barre?
Ebenfalls eine Badehose, mit Palmen und Flamingos drauf.
Wie ging es nach dem ersten Kennenlernen weiter?
Wir fanden uns gegenseitig spannend und haben uns danach während der restlichen Ferientage regelmässig getroffen – zum Essen mit unseren Familien, aber auch einfach zum lockeren Austausch miteinander. Irgendwann wurden daraus thematische Gespräche, aus denen bald darauf ein erster Podcast entstanden ist. Diesen habe ich dann auf meiner Internetseite publiziert, die damals noch neu war. Zuerst war es ein einmaliger Versuch, um zu schauen, ob es die Zuhörer*Innen auch so lustig finden wie wir beide. So ging das immer weiter.
Und Ihre Frauen, was hielten die von Ihren Gesprächsrunden? Haben sie sich nicht irgendwann angefangen zu nerven, dass Sie beide lieber über Gott und die Welt diskutieren, statt Ferien zu machen?
Das weiss ich gar nicht mehr so genau, wie stark sie sich über unsere Gesprächsrunden geärgert haben. Oder ob sie vielmehr froh waren, dass wir Männer ab und zu für ein, zwei Stunden verschwunden sind. Ach, wissen Sie, ich habe meiner Frau schon öfter versprochen, dass ich während der Ferien nicht arbeiten würde. Wirklich gelungen ist es mir noch nie.
Haben Sie vor den Gesprächen jeweils besprochen, über welche Themen Sie reden wollen?
Meistens machte jeder eine Liste mit möglichen Themen, danach diskutierten wir darüber. Hin und wieder wählten wir ein Thema von den Listen, manchmal redeten wir aber auch etwas ganz anderes, weil wir während der Diskussion über mögliche Gesprächsthemen auf etwas anderes gestossen sind.
Es passiert öfter, dass sie während eines Gespräches völlig vom eigentlichen Thema abkommen.
Ja, das haben wir uns erlaubt.
Benjamin von Stuckrad-Barre sagt über die Gespräche mit Ihnen: ‹Ich rede, er sagt was.›
Meine Wortkargheit mit diesen wenigen Worten derart schön zu erklären, hat mir sehr geschmeichelt. Benjamin sagt natürlich auch was – und ehrlich gesagt: Er ist viel eloquenter als ich. Vielleicht ist es genau das, was die Gespräche so amüsant macht. Mir kam es irgendwann so vor, als seien wir zwei verschiedene Tierarten, die miteinander spielen und Spass haben zusammen.
Haben Sie alle Bücher von Herrn von Stuckrad-Barre gelesen?
Fast alle.
Welche seiner Werke mögen Sie ganz besonders? Welche weniger?
Das ist eine Stimmungsfrage. Ich möchte mich deshalb nicht auf ein Buch festlegen. Was ich sehr mag an Benjamins Werken: Man muss sie nicht in einem Zug lesen. Man kann sie auch mal weglegen und später weiterlesen. Das Einzige, was schade ist: Seine Bücher haben keine Lesebändchen.
Ich behelfe mich in solchen Fällen mit Eselsohren.
Früher galten Eselsohren als schlimm. Es hiess, man habe keine Ehrfurcht vor dem Produkt Buch. Ich weiss natürlich längst, dass das nicht stimmt, trotzdem mache ich nach wie vor keine Eselsohren, sondern verwende Buchzeichen.
Wessen Idee war es, den gemeinsamen Podcast nun auch noch als Buch mit dem Titel ‹Alle sind so ernst geworden› herauszugeben?
Im vergangenen Sommer habe ich einige unserer Gespräche an Stefanie Seier in Berlin geschickt. Sie hat die Gespräche für uns transkribiert und hat das wunderbar gemacht. Sie hat uns fast nie falsch verstanden, hat jedes Satzzeichen richtig gesetzt.
Wie ging es weiter?
Benjamin und ich machten danach eine Lesung in Heiligendamm. Das fühlte sich etwas schräg an: Wir lasen etwas, was wir schon einmal gesprochen hatten und danach transkripiert worden ist. Nach der Lesung haben wir die Texte dem Diogenes-Verlag offeriert und gefragt, ob sie daraus ein Buch machen wollen.
Dachten Sie, mit einem gemeinsamen Buch mit von Herrn Stuckrad-Barre könnten Sie eine jüngere Leserschaft erreichen?
Es war durchaus ein Gedanke von mir, dass ich damit eine andere Gruppe Menschen ansprechen kann – obwohl meine Internetseite eine überraschend junge Leserschaft hat. Oder wie sagt man dem heute? Userschaft?
Followerschaft vielleicht.
Auf jeden Fall machen gemäss Statistik von Google Analytics die 24- bis 35-Jährigen mit Abstand den grössten Teil der Leserschaft auf meiner Internetseite aus. Das hat mich, ehrlich gesagt, selber auch erstaunt.
Wie lange dauerte es nach dem ersten Kennenlernen, bis Sie sich zum ersten Mal richtig genervt haben über Herrn von Stuckrad-Barre?
Richtig genervt hat er mich noch nie. Menschen, die mich nerven, tun das meistens auf Anhieb.
Gab es auch schon mal einen richtig heftigen Streit zwischen Ihnen beiden?
Nein.
Herr von Stuckrad-Barre beschrieb die Gespräche mit Ihnen im ‹Spiegel› folgendermassen: ‹Ich empfinde es als eine Liebesgeschichte. Weil ich mich tatsächlich – das ist immer ein Kriterium für mich, sonst verlier ich die Freude und bin einfach weg – immer verlieben muss in das, was ich tue. In die Menschen, mit denen ich was tue. Irgendwie muss es funken, sonst ist es nix und wird es nix.›
Es kommt darauf auf, wie man Liebe oder Verliebtsein definiert – aber so grundsätzlich würde ich sagen, dass diese Aussage auch auf mich zutrifft. Es ist sicher so, dass man sich sehr gut mögen muss, wenn man so lange und so intensiv miteinander redet. Im ersten Jahr, also während der Ferientage in Heiligendamm, haben wir fast täglich Gespräche geführt, danach haben wir uns einmal in Zürich getroffen und ein anderes Mal bin ich nach Berlin gereist. Wir sprachen oft stundenlang, hin und wieder haben wir auch geblödelt und oft auch sehr ernst gesprochen – und das alles haben wir aufgenommen.
Zwei Bestsellerautoren, ein Buch: Ich denke, ‹Alle sind so ernst geworden› wird leichten Schrittes auf Platz 1 der ‹Spiegel›-Buch-Hitparade hüpfen.
Das weiss ich nicht, ob wir das schaffen werden. Die Konkurrenz ist extrem gross. Was ich jedoch weiss: Noch bevor unser Buch in den Handel kam, gab es derart viele Vorbestellungen, dass bereits eine zweite Auflage in den Druck gehen konnte. Es besteht demnach ein Interesse daran. Ich hoffe jetzt einfach, dass unser Werk diesem Interesse auch gerecht wird.
Es macht ja auch schon eine Armada von Stars – von Katja Riemann über Thomas Gottschalk und Hazel Brugger bis zu Bill und Tom Kaulitz von Tokio Hotel – mit hübsch gebastelten Videos Werbung für das Buch.
Benjamin ist sehr aktiv auf Instagram und er war in den 1990er-Jahren einer der bekanntesten Vertreter der Popliteratur. Deshalb ist er in der Popwelt stärker ein Begriff als ich. Und irgendwann gab es dann einen Lawineneffekt: Wenn der was macht, will oder kann ich das auch und immer so weiter. Es ist unglaublich, wie viele bekannte Menschen mit Filmchen bereits Werbung für unser Buch machen.
Man hat Sie einst ‹Wunderkind der Werbung› genannt. Darum die Frage: Was halten Sie von den Filmchen?
Ich finde es sensationell, ein Buch so zu bewerben. Auch, weil das bisher so noch nie gemacht wurde. Gleichzeitig freue ich mich in meinem Alter immer wieder diebisch, wenn ich bei solchen Pioniertaten dabei sein darf. Meine Internetseite sehe ich übrigens auch als Pioniertat an.
Es gibt auch einige Videos von Herrn von Stuckrad-Barre und Ihnen. Sorry, wenn ich das sagen muss, aber Ihr Gegenüber sieht darin nicht sehr gesund aus …
Benjamin möchte gern hager aussehen. Das ist sein Look. Ich finde jedoch nicht, dass er ungesund aussieht. Ich habe ihn in den Ferien in den Badehosen gesehen und war ziemlich beeindruckt davon, wie er in die nur 17 Grad warme Ostsee gesprungen und darin herumgekrault ist. Später hat er noch stundenlang Fussball gespielt mit seinem Sohn. Benjamin ist äusserst fit und, also aus meiner Sicht, ein junger Mann.
Schnell einen Rückblick auf Ihre Karriere als Werber: Ihr absolut bester Werbespruch?
Wir erfanden weniger Slogans, sondern wir schrieben oft lange Werbetexte. Ich arbeitete auch nicht bei einer normalen Agentur, sondern ab 1968 als Werbetexter bei der GGK in Basel, welche sich als eine Art intellektuellen Hort verstand. Unser Vorbild war der US-amerikanische Werber Howard Luck Gossage, der am liebsten ganz lange Textanzeigen realisiert hat. Gossage sagte: ‹Ein Werbetext kann nicht zu lang sein. Er kann höchstens zu wenig lang gut sein.›
Wie finden Sie die Weihnachts-TV-Spots, die seit Ende November im Stakkato auf den diversen Schweizer Fernsehkanälen gezeigt werden?
Zum Leidwesen der Fernsehsender kann man heute ja die TV-Werbung überspringen. Kürzlich habe ich jedoch einen Migros-Weihnachtspot gesehen, der mir sehr gut gefallen hat. Einen Moment glaubte ich, es handle sich um einen Spielfilm. Es gibt immer wieder gute Werbung, aber es gibt auch immer wieder viel schlechte Werbung, weil immer wieder derselbe Fehler gemacht wird.
Von welchem Fehler reden Sie?
Die Werber*Innen verkaufen die Konsument*Innen als dumm.
Werden in der Familie Suter Geschenke gemacht zu Weihnachten?
Unsere Tochter, sie ist 14, wird beschenkt. Meine Frau und ich haben damit schon vor Längerem aufgehört, wir beschenken uns lieber hin und wieder unter dem Jahr.
Gibt es irgendwelche weihnächtlichen Traditionen, die Sie seit Jahren hochhalten?
Früher waren wir im Engadin an Weihnachten, später reisten wir über die Festtage regelmässig nach Asien. Das ist beides zurzeit nicht möglich. Also ins Engadin könnten wir zwar reisen, aber die Vorstellung, ständig eine Maske zu tragen im Hotel, ist wenig verlockend.
Weihnachtsschmuck – ja oder nein?
Ja. Da sind wir ganz traditionell. Wir haben einen Adventskranz, einen Adventskalender und wir stellen auch einen Weihnachtsbaum auf.
Kennen Sie Rituale beim Schreiben?
Lange Zeit trug ich während des Schreibens eine Dächlikappe. Sie half mir, dass ich mich besser konzentrieren kann. Irgendwann habe ich die Kappe in eine Versteigerung gegeben, während der persönliche Gegenstände von Promis angeboten worden sind. Das war ein grosser Fehler.
Warum?
Seither kann ich mich überhaupt nicht mehr konzentrieren während des Schreibens (lacht).
Hat die Kappe eine Nachfolgerin gefunden?
Nein. Aber ich habe mir zwei eiförmige Handtrainer angeschafft, um meine Handmuskeln zu stärken, während ich an etwas herumstudiere.
Während Sie schreiben, trinken Sie da auch mal ein Glas Alkohol zur Aufmunterung?
Ich schreibe, wie gesagt, nur noch selten am Abend – und wenn doch einmal, dann erlaube ich mir so gegen 18 Uhr ein Cüpli.
Champagner oder Prosecco?
Champagner.
Haben Sie Lieblingswörter?
Mmmh … genau, Mmmh ist mein Lieblingswort.
Mmmh …
Ihres demnach auch (lacht).
Schreiben Sie heute anders als mit 40? Langsamer? Schneller? Bedachter?
Was heute anders ist: Ich habe weniger Mühe, lange Texte zu schreiben. Als ich Ende der 1970-Jahre anfing für das Magazin ‹Geo› zu schreiben, schrieb ich immer ewig lang an einer Reportage. Oder zumindest kam es mir so vor.
Hat Sie das Schreiben, das Geschichtenerzählen in all den Jahren nie im Stich gelassen?
Solche Zeiten gibt es immer wieder. Aber ich lasse mir deshalb die Laune nicht verderben. Spüre ich am Abend, dass ein Text nicht gelungen ist, lege ich ihn zur Seite und arbeite zwei Tage später nochmals daran.
Und wenn der Text dann immer noch nicht funktioniert?
Während ich schreibe, habe ich immer ein zweites Dokument offen, in dem ich Textteile zwischenlagere, die ich nicht gut finde. In den meisten Fällen greife ich jedoch nicht mehr darauf zurück – bis ich die Textteile irgendwann lösche.
Wäre das nicht eine neue Rubrik für Ihre Internetseite ‹Texte von Martin Suter, die zu schlecht waren, um veröffentlicht zu werden›?
Eine gute Idee. Ich versuche ja immer wieder neue Dinge auf meiner Internetseite.
Schreiben Sie heute besser als mit 30?
Dieses Gefühl habe ich nicht. Es gibt allerdings einen Punkt, auf den man während des Romanschreibens besonders achten muss. Ein Roman darf nicht routiniert wirken. Deshalb könnte es sein, dass ich heute langsamer schreibe als noch vor ein paar Jahren. Denn ich überlege mir immer wieder: Habe ich so etwas Ähnliches nicht schon einmal geschrieben?
Möchten Sie bis an Ihr Lebensende schreiben?
Das würde ich gern so machen – und es wäre schön, wenn es bis dahin noch ganz viele Bücher werden würden.
Bibliografie: Alle sind so ernst geworden, Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre, 272 Seiten, Diogenes, 33 Fr.
Noch mehr «Bötschi fragt»-Gespräche gibt es unter diesem Link.
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