Man muss wohl fast schon bis ins Jahr 2003 zurückreisen, um eine bessere Wettquote für Roger Federer in Wimbledon zu erhalten. Aber ist der Schweizer wirklich nur noch ein Geheimfavorit?
Wirft man vor dem prestigeträchtigsten Tennisturniers der Welt einen Blick in die Wettbücher wird eines schnell klar: Novak Djokovic ist der haushohe Favorit für das anstehende Grand Slam im Londoner Stadtteil Wimbledon. Nicht einmal das Zweifache des Einsatzes erhält man bei einem Sieg des Serben, womit er sich aus Quoten-Sicht etwa in ähnlichen Dimensionen bewegt wie zuletzt Rafael Nadal in Paris.
Wer nun Roger Federer als engen Verfolger erwarten würde, wird aber eines Besseren belehrt. Stefanos Tsitsipas und Daniil Medwedew werden höhere Siegchancen eingeräumt als dem Schweizer. Erst dann folgt Federer mit einer Quote von rund 1:10, hauchdünn vor Alexander Zverev und Matteo Berrettini.
Acht Titel hat der Maestro auf dem heiligen Rasen schon abgeräumt. 2019 wäre um ein Haar ein neunter hinzugekommen. In einem epischen Final musste sich der Schweizer damals nach fünf Sätzen Novak Djokovic geschlagen geben. Dass Federer dieses Jahr trotzdem nur in den erweiterten Favoritenkreis aufgenommen wird, hat verschiedene Gründe, auf die wir im Folgenden genauer eingehen.
Macht der Körper mit?
Sein Alter und seine körperliche Verfassung sind auch bei Roger Federer zu einem ernsten Thema geworden. Zwar hat er während seiner gesamten Karriere immer vorbildlich auf seinen Körper gehört und sich nach Operationen jeweils genug Zeit gelassen. Trotzdem oder gerade deswegen, weiss man beim Schweizer mittlerweile jedoch nie, ob nicht schon früh im Turnier Schluss ist, weil es irgendwo zwickt oder klemmt.
In Paris war dies zuletzt der Fall. Der Viersätzer gegen den Deutschen Dominik Köpfer, welcher zudem noch drei Tiebreaks beinhaltete, setzte dem bald 40-Jährigen doch mehr zu als ihm lieb war. Dass er für den Achtelfinal gegen Matteo Berrettini nicht mehr antreten würde, war für Federer ziemlich schnell klar.
In Wimbledon würde er vielleicht mehr auf die Zähne beissen, aber trotzdem nie ein unnötiges Risiko eingehen. Das ist klug, schmälert aber natürlich auch seine Titelchancen.
Schwache Generalprobe in Halle
Ein weiterer Grund für die vermeintlich attraktive Quote ist wahrscheinlich auch sein jüngster Auftritt in Halle. Schon früh im Turnier zog er dort gegen den aufstrebenden Kanadier Félix Auger-Aliassime den Kürzeren. Den ersten Satz konnte Federer mit seiner Routine noch ins Trockene bringen, danach war er aber über weite Strecken unterlegen. Nicht das beste Vorzeugnis für Wimbledon.
Aber nicht nur das frühe Scheitern, sondern auch die fehlende Matchpraxis könnte sich nun negativ für Wimbledon auswirken. Der Schweizer muss also die ersten paar Runden überstehen, um richtig im Turnier anzukommen.
Nur als Nummer 7 gesetzt
Als drittes erschwerendes Element für die Mission Wimbledontitel kommt dann noch die aktuelle Klassierung ins Spiel. Obwohl die Veranstalter des All England Clubs hier jeweils ihre eigene Klassierung vornehmen, wird Federer nur als Nummer 7 geführt, bekommt also keinen Sonderbonus wie auch schon.
Dies wiederum bedeutet, dass er bereits im Viertelfinal auf einen absoluten Top-Shot treffen könnte, wenn er denn überhaupt so weit kommt. Denn schon in den ersten Runden könnte er auf äusserst ungemütliche Gegner wie Milos Raonic, Marin Cilic oder wie zuletzt auf Félix Auger-Aliassime treffen, die dem achtfachen Champion einiges abverlangen dürften.
Er bleibt halt der Rasenkönig
Die Auslosung für das Turnier ist am Freitag. Danach dürften sich die Wettquoten je nach Draw nochmal etwas verschieben. Ein einfaches Unterfangen wird der 21. Grandslam-Titel für Federer so oder so nicht. Doch eine solche Quote scheint trotz allen Vorzeichen noch attraktiv genug, um auf den Baselbieter zu setzen. Denn wenn einer weiss, wie man in Wimbledon jubelt und sich zu verneigen hat, dann ist es Roger Federer. Etwas einfacher wäre es wohl aber, wenn der Finalgegner dann nicht Novak Djokovic heissen würde.