46-jährige Serie gerissen? Das sagt Heinz Günthardt zum Schweizer Tennis-Absturz

Luca Betschart

15.10.2024

Heinz Günthardt: «Das Schweizer Tennis hat aktuell eine grössere Breite als früher»

Heinz Günthardt: «Das Schweizer Tennis hat aktuell eine grössere Breite als früher»

Keine Schweizer Frauen und Männer mehr in den Top 100. blue Sport spricht mit Heinz Günthardt über Ursachen, Lösungsansätze und Hoffnungen rund ums Schweizer Profitennis.

15.10.2024

Am Montag reisst eine Serie von 46 Jahren, in denen immer zumindest eine Schweizerin oder ein Schweizer zu den Top 100 der Tennis-Weltrangliste gehört. Heinz Günthardt erklärt im Interview, wieso das nur die halbe Wahrheit ist.

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L. Betschart, R. Müller

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  • Erstmals seit 1978 gehört weder eine Schweizerin, noch ein Schweizer zu den besten 100 Tennisspielern der Welt. 
  • Das ist aber nur die halbe Wahrheit, wie Heinz Günthardt im Interview mit blue Sport erklärt: «Wir haben zwei unter den ersten 100 – aber mit einem sogenannten Protected Ranking.»
  • Günthardt zeigt sich guten Mutes, dass es in der kommenden Saison aus Schweizer Sicht wieder aufwärts geht. Zugleich warnt er von zu hohen Erwartungen.

Seit 46 Jahren ist die Schweiz stets in den Top 100 der beiden Tennis-Weltranglisten vertreten. Zuletzt sind es Viktorija Golubic und Alexander Ritschard, welche die Schweiz Flagge hochhalten. Doch damit ist seit Montag Schluss: Sowohl Golubic als auch Ritschard büssen Punkte ein und fallen in der neu publizierten Weltrangliste aus den besten 100.

Erstmals seit dem 13. Februar 1978, als Heinz Günthardt erstmals in die Top 100 vorstiess, gehört damit keine Schweizerin und kein Schweizer in der offiziellen Rangliste zu den bestklassierten 100 Spielern. Eine über 46-jährige Serie ist gerissen. Oder etwa nicht?

«Das stimmt nur teilweise. Wir haben zwei unter den ersten 100 – aber mit einem sogenannten Protected Ranking. Das sind Belinda Bencic und Dominic Stricker», stellt Heinz Günthardt im Gespräch mit blue Sport klar.

Bencic und Stricker dank des geschützten Rankings in den Top 100

Das Protected Ranking ermöglicht Spielerinnen und Spieler mit einer Ausfallzeit von sechs Monaten oder mehr, ihre Position im Ranking zu schützen – um anschliessend nicht mit einer sehr viel schlechteren Position wieder in den Turnierbetrieb einzusteigen. «Bencic ist im Protected Ranking an Position 15 und damit im Prinzip immer noch die Nummer 15 der Welt. Offiziell ist sie nicht aufgeführt, weil sie nicht spielt momentan», erklärt Günthardt. Stricker, der nach seiner sechsmonatigen Verletzungspause ebenfalls aufs Protected Ranking zurückgreifen darf, rangiere im Protected Ranking auf Platz 94.

Unabhängig davon verläuft die Schweizer Tennis-Saison aber auch für Günthardt enttäuschend. «Wir haben bei den Grand-Slam-Turnieren sehr schlecht abgeschnitten. Das zeigt, wo wir momentan stehen», sagt der 65-Jährige. «Was man nicht vergessen darf: Tennis ist eine Weltsportart. Deshalb ist es so schwierig, vorne dabei zu sein.»

Denn die Schweiz zähle im internationalen Vergleich nach wie vor zu den kleinen Nationen. «Wir haben nicht so eine grosse Basis. Gibt es zwei, drei Verletzte, haben wir plötzlich niemanden mehr in der 2. Runde eines Grand Slams», sagt Günthardt. Genau das habe Swiss Tennis mit den Ausfällen von Leandro Riedi, Dominic Stricker und Belinda Bencic am eigenen Leib erfahren müssen: «Es sind aus Schweizer Sicht viele Sachen zusammengekommen in diesem Jahr. Wenn man keine Breite hat, fällt das extrem auf. Aber es war ein schlechtes Jahr, das kann man einfach nicht schönreden.»

Der schwierige Übergang zum Profi

Aus Verbandssicht streicht Günthardt aber vor allem die starke Konkurrenz als grosse Herausforderung heraus: «Andere Verbände haben teilweise das Zehnfache an Ressourcen.» Das schlage sich in jeglichen Bereichen nieder, etwa auch in der Juniorenförderung. «Das Schwierigste für einen Verband ist die Förderung der 18- bis 23-Jährigen, während dem Übergang vom Junior zum Profispieler. Solange sie Junioren-Turniere spielen, spielen sie am gleichen Ort. Danach verzettelt sich das ganze.»

Dass die Turniere ab da über die ganze Welt verteilt sind, bringt kleinere Verbände in Sachen Betreuung der jungen Profis zusätzlich an den Anschlag. Muss man sich deshalb Sorgen um das Schweizer Tennis machen? «Wir haben genügend SpielerInnen, die das Potenzial haben, damit das im nächsten Jahr um einiges besser aussieht», glaubt die einstige Weltnummer 22 und spricht gar von einer grösseren Breite als zu Zeiten von Federer.

Zugleich macht Günthardt aber deutlich: «Wenn wir dort anknüpfen wollen, wo Roger aufgehört hat, und in der zweiten Woche eines Grand Slams und um Titel spielen wollen, dann wird die Luft dünn.»

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