Lara Gut-Behrami Lara Gut-Behrami: «Jene, die mir zum Rücktritt geraten haben, sind nicht mehr Teil meines Lebens»

Von Manu Rothmund, Peter Staub und Luca Betschart

6.10.2021

Gut-Behrami: «Valon hat mir geholfen, ehrlicher zu mir zu sein»

Gut-Behrami: «Valon hat mir geholfen, ehrlicher zu mir zu sein»

Viele hatten Lara Gut-Behrami schon zum Rücktritt geraten, doch im vergangenen Winter kehrte sie im grossen Stil zurück: Doppel-Weltmeisterin in Cortina (Super-G, Riesenslalom), dazu Bronze in der WM-Abfahrt und Zweite im Gesamt-Weltcup.

06.10.2021

Früh dem Interesse der Öffentlichkeit ausgesetzt, legt Lara Gut-Behrami trotz vieler Höhepunkte einen steinigen Weg zurück. Im Interview mit blue Sport gewährt die Tessinerin ungewohnt tiefe Einblicke.

Von Manu Rothmund, Peter Staub und Luca Betschart

Am 28. Dezember 2007 debütiert der erst 16-jährige Teenager Lara Gut im Ski-Weltcup. Wenig später nimmt der steile Aufstieg bereits gehörig Fahrt auf, als die Draufgängerin Anfang Februar 2008 in ihrer ersten Weltcup-Abfahrt überhaupt in St. Moritz völlig überraschend als Dritte aufs Podest rutscht – wortwörtlich. Den Sieg vergibt die Tessinerin mit einem glücklicherweise folgenlosen Sturz kurz vor der Ziellinie. Ihren Namen aber kennt man ab da in der gesamten Ski-Welt und darüber hinaus.

Nach ihrem sportlichen Durchbruch hat die Ski-Schweiz die Tessinerin gewissermassen beim Erwachsenwerden begleitet. Die unbeschwerten Teenager-Jahre erlebt Lara Gut-Behrami eigentlich nie. Viel Druck und grosses öffentliches Interesse sind ständiger Begleiter. Sehr oft gelingt es Gut-Behrami allerdings, damit umzugehen. Zahlreiche Erfolge prägen die Laufbahn, wobei beispielsweise der Gewinn des Gesamt-Weltcups 2015/16 herausragt.

Was Aussenstehende jedoch nicht miterleben oder kaum mitbekommen, sind die anderen Momenten. Jene, in denen die Top-Leistung ausbleibt und man als Sportlerin mit sich hadert. «Wenn es nicht gut geht, bist du drei Viertel des Jahres alleine im Hotel-Zimmer, du hast niemanden um dich.»

Gut-Behrami: «Wie oft hätte ich eine Umarmung gebraucht?»

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Lara Gut-Behrami erzählt im Interview mit blue Sport aus den Höhen und Tiefen ihrer Karriere. Was macht die Schweizer Speedfahrerin so stark? Was hat ihr in den schwierigen Momenten gefehlt?

07.10.2021

Eine Botschaft an die Kritiker

Zudem fehle in solchen Zeiten die Nähe der Familie, der Freunde oder des Ehemannes. «Aber die Zweifel, die Schwierigkeiten bleiben natürlich», erzählt Gut-Behrami und liefert ein Beispiel von der Ski-WM 2021 in Cortina d’Ampezzo. «Da bin ich nach dem Sieg im Riesenslalom zu meiner Mutter gerannt, und wir haben uns umarmt. Aber das waren 10 Sekunden, 10 Sekunden von so vielen Jahren, von so vielen Rennen! Und das vermisse ich. Wir haben als Familie durch meine Karriere so viel erlebt. Aber wie oft waren wir getrennt? Wie oft hätte ich eine Umarmung gebraucht?»

Auch von gesundheitlichen Rückschlägen wird sie auf ihrem Weg immer wieder zurückgeworfen. Besonders einschneidend ist der Kreuzbandriss und die Meniskusverletzung im linken Knie, eingefangen im Einfahren zum WM-Kombinations-Slalom 2017 in St. Moritz. Es dauert lange, bis sich Gut-Behrami davon erholen kann, auch wenn der Rücktritt nie zum Thema wird. «Am meisten hat mir zu schaffen gemacht, dass ich nicht herausgefunden habe, was genau noch fehlt.»

Viele raten der Speed- und Riesenslalom-Spezialistin in dieser Phase gar zum Rücktritt. Doch im vergangenen Winter kehrt sie im grossen Stil zurück: Doppel-Weltmeisterin in Cortina (Super-G, Riesenslalom), Bronze in der WM-Abfahrt und der zweite Schlussrang im Gesamt-Weltcup. «Ich hatte das Glück, dass die Leute um mich herum mich kompromisslos unterstützt haben und alle ruhig geblieben sind», weiss Gut-Behrami zu schätzen und hat nichts vergessen: «Ich werde all jenen keine zweite Chance geben, die mir damals geraten haben, aufzuhören. Die sind nicht mehr Teil meines Lebens.»

Die Unterstützung von Valon Behrami

Über die Jahre macht Gut-Behrami eine Entwicklung durch, wie sie selber sagt. «Früher hatte ich oft Mühe, meine Schwächen zu zeigen. Wenn es mir nicht so gut ging, hatte ich das Gefühl, es breche alles zusammen. Jetzt bin ich reifer, ich fühle mich sicherer in meinen Entscheidungen. Ich traue mich nun auch zu sagen, ich will heute nicht, oder lasse mir auch helfen.» Ein langer Prozess, der sie aber weiter gebracht habe.

Eine wichtige Rolle spielt dabei auch ihr Ehemann Valon Behrami, mit dem sie seit 2018 verheiratet ist. Das Paar lebt in Udine (wo Valon früher gespielt hat), in Genua und im Tessin. Oder es ist für Sport-Einsätze unterwegs. «Valon hat mir vor allem geholfen, ehrlicher zu mir zu sein. Mich mehr zu trauen, meinen Weg zu gehen. Ich habe jemanden an meiner Seite, der mich unterstützt, der begreift, dass nicht immer alles so leicht ist, dass es auch viele schwierige Momente gibt.» Das Spitzensportler-Paar versteht sich, weil es die gleiche Sprache spricht.

Die Vorfreude auf die Olympia-Saison

Vor ihrem 14. Weltcup-Winter kann Lara Gut-Behrami deshalb auch zugeben: «Ich vermisse, dass ich am Abend nicht heimgehen kann, dass ich die ganze Zeit herumreisen muss. Ich vermisse die Qualitätszeit mit meinen wahren Freunden, mit meiner Familie. Man lernt irgendwann im Leben, dass einem dies am meisten bringt. Ich habe Kolleginnen, die ein anderes Leben führen. Diese Normalität würde ich später auch einmal gerne spüren.»

Nichtsdestotrotz ist der 30-Jährigen die Vorfreude anzumerken. Nach der WM-Saison ist vor der Olympia-Saison, auch wenn Peking für Gut-Behrami noch sehr weit weg ist. Zu viele Fragen sind noch offen, mit denen sie sich zum heutigen Zeitpunkt noch nicht beschäftigen will. Eines ist für sie aber klar: «Wenn ich in 20 Jahren einmal sage, ich habe an den Olympischen Spielen von Sotschi, Pyeongchang und Peking teilgenommen, weiss man gar nicht, ob das Sommer- oder Winterspiele gewesen sind. Und das ist vielleicht nicht unbedingt der Sinn von Olympischen Spielen.»

Der Talk mit Lara Gut-Behrami in voller Länge

Unsere Skistars – Der Talk mit Lara Gut-Behrami

Unsere Skistars – Der Talk mit Lara Gut-Behrami

Grosse Erfolge und grosse Enttäuschungen prägen die Karriere von Lara Gut-Behrami. An der WM 2021 in Cortina lief sie zu Hochform auf. Sie wurde Weltmeisterin im Super-G und im Riesenslalom, dazu gewann sie Abfahrts-Bronze. Im Gespräch mit Manuel Rothmund blickt die Tessinerin zurück auf 14 intensive Jahre im Weltcup, erklärt, warum ihr die Familie so wichtig ist, und weshalb sie sich später einmal auf ein ruhiges Leben freut.

20.10.2021