Er gilt als eines der grössten Verteidiger-Talente Europas. Doch wo auch immer Ozan Kabak spielt, steckt das Team in der Krise. Ein höchst unglücklicher Zufall oder steckt doch mehr dahinter?
Lange sah es im Januar nicht danach aus, als ob der FC Liverpool auf dem Transfermark noch aktiv werden und Verstärkung für die Abwehr holen würde. Obwohl mit Virgil van Dijk, Joe Gomez und Joel Matip die Innenverteidiger eins, zwei und drei lange verletzt ausfallen. Am Deadline Day, dem letztmöglichen Tag für Transfers am 1. Februar, schlugen die «Reds» dann aber doch noch zu.
Von Schalke 04 kam Ozan Kabak, leihweise bis Saisonende für die Gebühr von 1,3 Millionen Euro. Zudem hat Liverpool eine Kaufoption ausgehandelt, mit welcher der türkische Verteidiger im Sommer für etwas mehr als 20 Millionen Euro fix verpflichtet werden kann.
Viel hat man sich versprochen vom hochgelobten Top-Talent. Obwohl es in der ersten Saisonhälfte für Kabak auf Schalke ja überhaupt nicht lief. Mit 44 Gegentoren aus 17 Spielen stellte Königsblau mit Abwehrchef Kabak die mit Abstand schwächste Abwehr der Bundesliga-Hinrunde.
Kabak als Sündenbock für Schalkes Krise abzustempeln, wäre natürlich komplett vermessen. Auch wenn der 20-Jährige nicht nur mit seiner Spuckattacke im September im Spiel gegen Bremen Negativschlagzeilen schrieb und deshalb für vier Spiele gesperrt wurde.
Kabak, der Unglücksbringer
Nichtsdestotrotz war Ozan Kabak Jürgen Klopps Wunschtransfer. Auch, weil ihn sein Trauzeuge David Wagner – zwischen Juli 2019 und September 2020 Schalke-Trainer – vom Verteidigertalent überzeugen konnte. «Ja, Dave war schon sehr, sehr überzeugt von ihm. Er hat gesagt, Ozan wird eines Tages ein Captain sein», verriet der Liverpool-Coach nach Kabaks Ankunft. «Er ist wirklich ein riesiges Talent.»
Die Lobeshymnen auf den jungen Türken waren und bleiben gross. Schon seit seinem Profidebüt mit 18 Jahren bei Galatasaray Istanbul im Sommer 2018. Für den türkischen Traditionsklub machte Kabak 18 Spiele (6 Siege, 6 Remis, 6 Niederlagen), bevor er im Januar 2019 zum abstiegsbedrohten VfB Stuttgart wechselte.
Auch da war man auf Anhieb begeistert vom talentierten Abwehrspieler. «Der Junge ist so abgeklärt für sein Alter. Ich bin erstaunt, wie reif er schon ist», sagte Vorstandsvorsitzender Thomas Hitzlsperger wenige Wochen nach Kabaks Verpflichtung. Aber auch der neue Hoffnungsträger konnte Stuttgart nicht mehr vor dem Abstieg retten. Kabaks Bilanz beim VfB: 17 Spiele, 3 Siege, 6 Remis, 8 Niederlagen.
Es folgte der Wechsel zu Schalke. Einem Klub, der sich selbst in der Champions League sieht, seit Jahren den eigenen Ansprüchen aber hinterherhinkt und so auch die letzte Saison – die erste mit Kabak – auf dem enttäuschenden 12. Rang abschloss. Nun scheint der Abstieg kaum mehr abzuwenden. Schalke hat schon neun Punkte Rückstand auf das rettende Ufer – und Kabak hat sich aus dem Staub gemacht. Nach 10 Siegen, 12 Remis und 20 Niederlagen aus 42 Spielen für Schalke.
«Alptraum»-Start in die Premier League
«Für ihn war es nun der perfekte Zeitpunkt, um zu wechseln. Jeder Spieler braucht eine stabile Mannschaft um sich herum und das ist das, was wir ihm bieten können», sagte Klopp vor drei Wochen. Heute ist die Situation wieder eine ganz andere: Liverpool hat in der Liga seit Kabaks Ankunft alle vier Spiele verloren, die Titelverteidigung ist mit mittlerweile 19 Punkten Rückstand auf Leader Manchester City futsch. Die «Reds» müssen gar um die Champions League zittern, stehen aktuell mit fünf Zählern Rückstand auf die Top 4 nur auf Rang 6.
Kabak kam bislang dreimal zum Einsatz. Bei seinem Debüt (1:3 Niederlage bei Leicester) unterlief ihm nach Abstimmungsproblemen mit Keeper Alisson ein folgenschwerer Fehler. Bei der 0:2-Derby-Pleite gegen Everton am vergangenen Wochenende verlor der türkische Nationalspieler vor dem 0:1 das Laufduell mit Torschütze Richarlison. Die lokale Zeitung «Liverpool Echo» bewertete Kabaks Auftritt mit der schlechtesten Note aller Spieler und schrieb von einem «Albtraum» für den Neuzugang.
Die erhoffte Stabilität konnte Kabak der verletzungsgeplagten Liverpool-Abwehr bislang nicht verleihen. Auch beim 2:0-Sieg beim Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen RB Leipzig bleibt er nicht ohne Unsicherheiten, holte sich aber dennoch ein dickes Lob von Coach Klopp («er hat ein tolles Spiel gemacht»), der Kabak auch in Schutz nimmt: «Ozan hat riesiges Potenzial. Er hat nicht den leichtesten Karriereweg eingeschlagen.» Kabak selbst sagte nach dem Leipzig-Spiel: «Ich brauche noch ein bisschen Zeit, um mich anzupassen. Ich glaube, ich werde noch besser.»
Erstaunlich bleibt am Ende des Tages nicht nur der Umstand, dass Ozan Kabak bei all seinen Klubs das Unheil anzuziehen scheint, sondern dass er trotz der Miseren seiner bisherigen Vereine immer als hochgelobtes Supertalent einen Stammplatz innehatte und auf der Karriereleiter weiter hochkletterte. Um nach seinem Leihwechsel langfristig bei einem Top-Team der Premier League bleiben zu können – und nicht den Gang in die 2. Bundesliga antreten zu müssen – muss sich Kabak aber wohl doch noch deutlich steigern. Oder auf weitere Lobeshymnen hoffen.