Kommentar Stoppt den Wahnsinn! Weshalb die Länderspielpause mit Blick auf die Euro keinen Sinn macht

Von Tobias Benz

13.11.2020

Vladimir Petkovic bestritt mit der Schweizer Nationalmannschaft ein Freundschaftsspiel gegen eine B-Mannschaft aus Belgien.
Vladimir Petkovic bestritt mit der Schweizer Nationalmannschaft ein Freundschaftsspiel gegen eine B-Mannschaft aus Belgien.
Bild: Keystone

Trotz Pandemie und überfüllten Spielplänen finden aktuell internationale Freundschaftsspiele statt. Die Weigerung der Verbände, auf diese unnötige Überbelastung zu verzichten, könnte sie teuer zu stehen kommen.

Am Mittwochabend dürfte so manchem Nationalspieler die gleiche Frage durch den Kopf gegangen sein: «Warum?» In einer Zeit, in der eigentlich auf ausgiebiges Reisen verzichtet und eine Ausweitung des Kontaktpersonenkreises vermieden werden sollte, kommt es weltweit zu unzähligen Zusammenschlüssen von Nationalmannschaften. Nach den mit grösster Wahrscheinlichkeit intensivsten drei Monaten, die der Profi-Fussball je erlebte.

Im Spiel der Türkei gegen Kroatien wird der kroatische Abwehrspieler Domagoj Vida zur Pause aufgrund eines positiven Coronatests ausgewechselt und direkt unter Quarantäne gestellt. Das Ergebnis des Tests am Morgen hatte das Ärzteteam erst während des Spiels erhalten. Es wird bestimmt nicht der einzige positive Test dieser Länderspielpause bleiben.

Hunderte Spieler und Betreuer umarmen sich in diesen Tagen, durchmischen sich, und spielen gemeinsam drei unbedeutende Spiele, nur um dann – verletzt, erschöpft oder positiv getestet – wieder zu ihren Stammklubs zurückzukehren. Dass es sich bei einem dieser drei Matches dann sogar noch um ein komplett belangloses Freundschaftsspiel handelt, bekräftigt die Vermutung, dass die Waagschale zwischen Risiko und Ertrag nicht sehr ausgeglichen ist.

Ein Spielplan im Pandemie-Würgegriff – das hat Folgen

Offenbar stellt sich der Weltverband – der seit über zehn Jahren stolz den Slogan «Die Gesundheit der Spieler geht über alles» vertritt –  solche Fragen nicht. Dabei gibt es fast keine Argumente für eine Länderspielpause, geschweige denn Freundschaftsspiele. Geht es darum, den Spielrhythmus der Nationalmannschaften hochzuhalten? Um die fussballerische Qualität an den grossen Turnieren zu sichern? Oder muss einfach diese neue Nations League durchgeboxt werden, deren Sinn sich sogar dem erweiterten Kreis ihrer eigenen Zuschauer entzieht?

Klar ist, dass wenn so weiter gemacht wird – und es deutet alles darauf hin –, sowohl das Niveau der grossen Turniere als auch die Strahlkraft der Nations League Schaden nimmt. Covid-19 stiehlt dem Fussball nicht nur als Quarantäne-Verursacher die besten Akteure, der Spielplan wird durch die Pandemie derart im Würgegriff gehalten, dass die Verletztenliste der Top-Spieler aktuell länger und länger wird. Joshua Kimmich, Joe Gomez, Nathan Aké oder Ansu Fati sind nur die neuesten Namen auf einer schier endlosen Liste.



Kritik trifft auf taube Ohren

Die Länge dieser Liste ist überhaupt nicht verwunderlich, steht doch für die meisten Teams aktuell fast alle dreieinhalb Tage ein Spiel an. Kritiker gibt es genügend. Allen voran schreien Jürgen Klopp und Pep Guardiola nach längeren Pausen und mehr Auswechslungen. Nur hört ihnen niemand zu. Ein Vorschlag, auch diese Saison mit fünf Auswechslungen pro Spiel zu Ende zu spielen, wurde in England zuletzt knallhart abgelehnt.

Auch die Spieler selbst wehren sich, stellvertretend Nati-Star Remo Freuler. «Ich bin damit gar nicht einverstanden, dass wir so viele Spiele in so kurzer Zeit haben», sagte der bei Atalanta tätige Mittelfeldspieler bereits vor der letzten Länderspielpause. «In dieser Zeit wäre das wirklich nicht nötig gewesen, noch ein Freundschaftsspiel anzusetzen, wenn man schon die Nations League hat.»

Auch Toni Kroos ärgert sich, dass Quantität bei den Verbänden offenbar vor Qualität steht. Wettbewerbe wie die Nations League seien geplant, «um finanziell alles rauszusaugen, natürlich auch körperlich alles rauszusaugen aus jedem einzelnen Spieler».



Untätige Verbände

Selbst Nationaltrainer haben sich mittlerweile in die Diskussion mit eingeschalten. «Wir werden noch mehr Verletzungen sehen», warnte Englands Gareth Southgate am Mittwoch, nachdem sich England- und Liverpool-Verteidiger Joe Gomez im Training so schwer am Knie verletzte, dass er bis Ende Saison ausfallen könnte. «Wir hatten eine Möglichkeit. In zwei Jahren findet eine Winter-WM statt, wir hätten anders denken können», so Southgate weiter.

Die Saison kürzer oder länger zu gestalten, scheint bei den Verbänden aber nie eine ernsthafte Idee gewesen zu sein. Auch einzelne, nicht ganz so wichtige Wettbewerbe für einmal aussen vor zu lassen, war wohl keine Option. Nicht einmal auf ein Freundschaftsspiel in einer ohnehin schon vollgestopften Länderspielpause kann man verzichten.

Kein Wunder kommt es zu Situationen wie am Mittwochabend in Istanbul. Auf diversen Videos ist zu sehen, wie der positiv getestete Vida im Tunnel vor der Partie unwissend etliche Spieler umarmt und so direkt in eine 10-tägige Quarantäne schickt. Das Match war trotzdem klasse. Es endete nach 90 Minuten 3:3. Für die UEFA bestimmt ein Vollerfolg.

Sollten die Verbände nichts gegen die Überbelastung und Vielfliegerei unternehmen, schneiden sie sich mit Garantie ins eigene Fleisch. Ob Corona-Quarantäne oder Verletzungen – in diesem Taktschlag lädt die Euro 2021 zum Gipfeltreffen der B-Mannschaften.

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