Nach zwei misslungenen Auftritten bleibt der Türkei nur noch das Hoffen – auf ein kleines Wunder und die pädagogischen Fähigkeiten von Kulttrainer Senol Günes.
Senol Günes hat eine harte Woche hinter sich. Der türkische Trainer musste heftig einstecken, seit dem Beginn der EM. Zuerst das 0:3 gegen Italien, dann das 0:2 gegen Wales. Die Medien im Land gehen nicht zimperlich mit der Mannschaft ins Gericht. «Kein Fussball, keine Taktik, kein Glaube, kurz gesagt: nichts», zog der frühere Internationale Engin Verel in einer Kolumne sein Fazit.
Entschuldigungen für die bisherigen Leistungen hat Günes keine gesucht. Der 69-Jährige nahm die Schuld auf sich und bedauerte, dass sein Team nicht so gut sei wie erhofft. Die Vorzeichen waren vielversprechend. Speziell gegen die starken Gegner konnte die Türkei überzeugen, seit Günes 2019 zum zweiten Mal die Nationalmannschaft übernommen hatte. Es gab Siege gegen Frankreich und die Niederlande, ein Remis gegen Deutschland.
Und es gab Günes selber. Er steht für Erfolg. 2002 führte er die türkische Mannschaft um Hakan Sükür bis in den WM-Halbfinal. Davor und danach feierte er Meistertitel in der Heimat zuhauf, mit Trabzonspor als Spieler sowie 2016 und 2017 mit Besiktas als Trainer. «Man spürt bei ihm sofort: Da ist etwas», sagt Gökhan Inler, der beim letzten Titel von Besiktas dabei war. «Senol Günes ist einer wie Ottmar Hitzfeld.»
Goalie, Lehrer und Namensgeber
Günes war Goalie, Hitzfeld Stürmer. Wie der Deutsche überzeugt aber auch der Türke die Spieler mit seiner ruhigen Autorität, seiner Lehrer-Persönlichkeit. Hitzfeld hat eine Ausbildung als Mathematiklehrer. Günes unterrichtete Geschichte und Geographie, während er in den Achtzigerjahren für Trabzonspor im Tor stand. Wissen zu vermitteln und vermittelt zu bekommen, empfindet er als Privileg. Seine Eltern konnten weder Lesen noch Schreiben.
Es ist ein eindrücklicher Weg, den der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Günes gegangen ist. Als Spieler in seiner Heimatstadt Trabzon mit sechs Meistertiteln und drei Cupsiegen in 15 Jahren. Als Trainer mit über 30 Jahren Erfahrung. Und als Person, die gern auch mal über den Fussball hinaus blickt. In Trabzon ist das Stadion seit 2016 nach ihm benannt.
Nun also bröckelt das Monument etwas. Wenn von Günes' Team berichtet wird, oder zumindest von den ersten beiden Partien, ist in der Türkei auch die Rede von der schlechtesten Mannschaft des Turniers, was die Organisation betrifft. «Wir wären gern mit einer besseren Ausgangslage ins Spiel gegangen», sagt der Coach. Die Chance, das Turnier über die Vorrunde hinaus zu verlängern, ist für die Türken gering. Aber zumindest ein versöhnlicher Abschluss vor vielen eigenen Fans in Baku ist für Günes und seine Spieler Pflicht.