Kolumne am MittagLothar Matthäus sagt die Wahrheit, und alle verstehen ihn
Von Bruno Bötschi
23.6.2021
Mit Sprüchen wie «Wir dürfen den Sand nicht in den Kopf stecken» und «Wäre, wäre – Velokette» wurde er berühmt. Doch nun äussert sich Lothar Matthäus, 60, über Qualitäten, die den deutschen Fussballern heute fehlen.
Von Bruno Bötschi
23.06.2021, 11:51
23.06.2021, 12:29
Bruno Bötschi
Die Voraussetzungen dafür hätte er zumindest gehabt. «Ich hatte einen schnellen Antritt, auf den ersten Metern war ich einer der schnellsten Spieler der Welt, ich konnte dribbeln, das ist ja heute auch wichtig», antwortet Lothar Matthäus vergangene Woche im «Zeit Magazin» auf die Frage:
Was denken Sie, könnte der Matthäus der Fussball-Weltmeisterschaft 1990 heute noch mithalten?
Wirklich überrascht hat mich Loddar's Antwort nicht. Der 60-jährige Ex-Fussballprofi ist keiner, der aufs Maul hockt. Das kam in der Vergangenheit nicht immer gut an. Sein Image, nicht zuletzt in Deutschland, hat deshalb zwischenzeitlich gelitten.
Den Ruf mit schöner Regelmässigkeit ruinieren
Aber klar ist auch: Sportler haben es schwer. Lassen die körperlichen Kräfte nach, bleibt oft nur noch wenig übrig. Manche verwenden die verbleibende Energie darauf, mit schöner Regelmässigkeit ihren Ruf zu ruinieren.
Boris Becker wird in diesem Zusammenhang gern genannt. Aber auch Lothar Matthäus hätte es fast hinbekommen, die Erinnerungen an seine grosse Zeit auszulöschen.
Wahr ist aber auch: In der deutschen Nationalmannschaft war er weniger Grossmaul und mehr begnadeter und auch begeisternder Mitreisser. Er, dessen grösster Erfolg der Weltmeister-Titel 1990 war, ist bisher denn auch als einziger Deutscher jemals zum Weltfussballer gewählt worden.
Loddar ist zudem mit 150 Einsätzen nach wie vor Rekord-Nationalspieler. Auch seine fünf WM-Teilnahmen mit insgesamt 25 WM-Spielen sind weltweit unerreicht. Zwischen seinem ersten und seinem letzten Tor in der Bundesliga liegen 7287 Tage – sage und schreibe fast 20 Jahre.
Selbstkritischer Matthäus
Genug der Lobhudeleien, zurück zur Frage: Könnte der Matthäus der Fussball-Weltmeisterschaft 1990 heute mit Ronaldo und Co. noch mithalten?
Möglicherweise ja.
Die deutsche Nationalmannschaft hat am vergangenen Samstag Portugal zwar schwindlig gespielt und den Match mit 4:2 gewonnen, eines blieb jedoch offensichtlich: Dem Team fehlt ein Leader.
Also einer, der anfeuert. Einer, der schreit. Einer, der läuft. Und läuft. Und weiterläuft. Und nie aufgibt, zu kämpfen – auch wenn es mal nicht so richtig gut laufen will. Einer wie Loddar.
Davon, also vom «nicht richtig laufen wollen», erzählt Lothar Matthäus, der inzwischen für Sky als Fussballexperte tätig ist, auch im Gespräch mit dem «Zeit Magazin». Und er tut dies durchaus selbstkritisch.
Nach der Europameisterschaft 1980 habe er etwas den Boden unter den Füssen verloren. Er habe plötzlich andere Dinge im Leben genossen als das Spiel mit dem Ball. Eine wilde Phase sei es gewesen. Deshalb könne er heute auch immer nachvollziehen, «wenn das jungen Spielern passiert».
Matthäus spielte damals bei Gladbach unter Trainer Jupp Heynckes. Dieser sei es auch gewesen, der in diesen schwierigen Monaten zu ihm gehalten habe, als er nachliess. «Ich hatte die Ernsthaftigkeit für meinen Job verloren.» Heynckes habe ihm dies verziehen, er sei allerdings eine Zeit lang nicht in die Nationalmannschaft berufen worden.
Na dann, schauen wir mal, zu was sich Toni Kroos und Co. an der Euro 2020 noch alles berufen fühlen. Und ob das Team heute Abend gegen Ungarn einmal mehr beweist, dass Deutschland eben eine Turniermannschaft ist und der Weg weitergeht, als es der Grossteil der letzten Resultate vermuten lässt.
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.