Zweite Dosis aufschieben Sollte auch die Schweiz nach «britischem Modell» impfen?

Von Uz Rieger

6.1.2021

Grossbritanniens Premier Boris Johnson beobachtet am 4. Januar 2021 die Impfung einer Pflegekraft in London. In Grossbritannien geht man dazu über, die zweite Impfdosis bedeutend später zu verabreichen, um zunächst mehr Menschen impfen zu können.
Grossbritanniens Premier Boris Johnson beobachtet am 4. Januar 2021 die Impfung einer Pflegekraft in London. In Grossbritannien geht man dazu über, die zweite Impfdosis bedeutend später zu verabreichen, um zunächst mehr Menschen impfen zu können.
Bild: Keystone

Grossbritannien als Vorbild bei der Corona-Impfung? London will die zweite Dosis herauszögern, um so rascher mehr Leute zu schützen. Ein Zürcher Forscher bringt dieses Modell nun auch für die Schweiz ins Spiel.

In Grossbritannien wird bei Covid-19-Impfungen die zweite Dosis aufgeschoben, um so mehr Menschen einen ersten Schutz gegen das Coronavirus geben zu können. Wäre das auch ein mögliches Vorgehen für die Schweiz?

Noch am Dienstag schloss Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen, in einer Medienorientierung einen solchen Schritt für die Schweiz aus, da er dadurch Lücken im Impfschutz befürchtet.

Nun jedoch bringt Christian Münz, Leiter der Expertengruppe Immunologie innerhalb der Covid-Taskforce des Bundes, das «britische Modell» ins Spiel. «Man sollte jetzt möglichst viele Leute mit einer ersten Dosis impfen», sagte der Zürcher Professor der SRF-«Rundschau». Man könne «das Risiko eingehen, die zweite Impfdosis um bis zu drei Monate zu verzögern», so der Experte.

Ein solches Vorgehen ist unter Experten nicht unumstritten, denn es steht nicht in Einklang mit der Zulassung des Biontech/Pfizer-Impfstoffes. In der Schweiz werde eine Impfstrategie nach britischem Vorbild «im Moment» denn auch nicht geprüft, erklärt BAG-Mediensprecher Daniel Dauwalder auf Anfrage von «blue News».

Trotzdem erkennen Fachleute auf der ganzen Welt darin grosse Chancen zur Eindämmung der Pandemie, zumal mit den neu aufgetauchten Virus-Mutationen eine rasante Ausbreitung droht.

Wie läuft die Impfung in der Schweiz ab?

Der bislang einzige in der Schweiz zugelassene Impfstoff von Pfizer/Biontech wird in zwei Dosen verabreicht. Nach der zweiten Spritze soll der Geimpfte einen – zeitlich wahrscheinlich begrenzten – rund 95-prozentigen Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus haben. Wie lange die Impfung wirkt, wird von den Herstellern und auch der Zulassungsbehörde Swissmedic überwacht. 

Laut einer Studie der US-Arzneimittelbehörde FDA haben Geimpfte 10 Tage nach der ersten Dosis bereits eine Schutzwirkung von 52,4 Prozent erreicht. Um den bestmöglichen Schutz zu erhalten, ist laut der Schweizer Zulassung des Impfstoffes die zweite Spritze nach mindestens 21 Tagen zu verabreichen. Eine Woche später dürfte dann die volle Schutzwirkung vorhanden sein.

Andere Zulassungsstudien definieren den zeitlichen Abstand laut der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA zwischen 19 und 42 Tagen. Laut der EMA ist eine Obergrenze für den zeitlichen Abstand zwischen den Dosen jedoch nicht explizit definiert.

Welche Chance bietet der Aufschub der zweiten Dosis?

Der mögliche positive Effekt eines Aufschubs um etwa drei Monate liegt auf der Hand: Momentan ist der Impfstoff noch in limitierter Menge vorhanden, die Fallzahlen drohen aber wegen der Virus-Mutationen rasch ausser Kontrolle zu geraten. Wird die zweite Dosis nach hinten verschoben, können zunächst doppelt so viele Personen geimpft werden und damit immerhin den Grundschutz von rund 50 Prozent erhalten. Da die Hygiene- und Abstandsregeln ohnehin auch nach einer Impfung eingehalten werden müssen, würde das Ansteckungsrisiko so in der Breite erheblich reduziert.

Welche Risiken bestehen, wenn die zweite Dosis später oder gar nicht geimpft wird?

Bekommt eine Person nur den ersten Teil der Doppelimpfung verabreicht, wird der Impfschutz von 95 Prozent nicht erreicht und verbleibt bei etwas über 50 Prozent. Man hat also in etwa ein doppelt so hohes Risiko, sich mit Covid-19 anzustecken. Die US-Arzneimittelbehörde FDA befürchtet, dass eine einmalige Impfung obendrein keinen langanhaltenden Schutz bieten könnte. Leif Erik Sander, Immunologe an der Berliner Charité-Klinik, erklärte der «Welt» dazu: «Bei der ersten Impfung wird ein natives Immunsystem angeregt. Darin finden sich wenige Zellen, die das Impf-Antigen erkennen. Diese Zellen müssen sich aber vermehren und Antikörper produzieren. Bei einem einmaligen Kontakt reicht ihre Zahl nicht aus, sie sterben wieder ab und verschwinden.»

Manche Kritiker befürchten zudem, dass die Coronaviren Resistenzen entwickeln könnten, falls Personen nicht «durchgeimpft» werden. Hier winken die meisten Experten indes ab. Sander hält das «für sehr theoretisch», denn bereits nach einer Impfung sei der Schutz sehr hoch und die Coronaviren seien wenig variabel. Die Immunabwehr des Körpers, die durch die verschiedenen Impfstoffe ausgelöst werde, sei hingegen sehr breit und richte sich nicht nur gegen eine Variante des Virus.

Auch Taskforce-Mitglied Münz meint, es gebe bislang keine Hinweise, dass eine verzögerte zweite Impfung die Bildung von impfresistenten Viren beschleunigen könnte.

Es bleibt allerdings das Problem, dass man mit einer zu späten zweiten Impfgabe womöglich versäumt, den bestmöglichen Schutz zu erreichen, weil die Wirkung der ersten Impfung bereits verpufft ist. Die Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA sieht eine zweite Impfung nach sechs Monaten deshalb nicht mehr im Einklang mit den Bestimmungen. Es handle sich dann um eine sogenannte «Off-Label-Anwendung». Solche Änderungen erforderten eine Anpassung der Zulassung und mehr klinische Daten, da es zurzeit keine Zahlen gebe, «die einen Schutz nach der ersten Dosis über zwei bis drei Wochen hinaus zeigen».

BAG erteilt der Idee eine Abfuhr

Auf andere Daten greift offenbar Christian Münz zurück. Er sagte zu SRF, Studien hätten bereits gezeigt, dass der Grundschutz der ersten Impfung bis zu drei Monate Bestand habe, weshalb man die Habe der zweiten Impfdosis entsprechend verzögern könne.

BAG-Expertin Virginie Masserey erteilte der Idee von Münz erst heute auf einer gemeinsamen Medienkonferenz mit Bundesrat Alain Berset eine Abfuhr. Sie erklärte, das Vorgehen des BAG gründe auf wissenschaftlichen Studien, wonach zwei Dosen im Abstand von drei Wochen verabreicht würden. Dieser Vorgabe werde man folgen. Zudem werde es nur kurzfristig einen Engpass bei den Impfdosen geben. Man müsse deshalb auch keine Kompromisse bei der Sicherheit und dem zeitlichen Abstand der Impfdosen eingehen.

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