Heute vor 80 Jahren Gleiwitzer «Bandenüberfall» – SS-Kommando als «polnische Meute»

Von Philipp Dahm

31.8.2019

Ein fingierter Überfall polnischer Freischärler auf einen Sender in Gleiwitz  in Oberschlesien liefert Adolf Hitler vor 80 Jahren den Vorwand, um seinen lange geplanten Überfall auf Polen zu beginnen.

31. August 1939, Hotel «Haus Oberschlesien» in Gleiwitz, das heute Gliwice heisst. Gegen 16 Uhr klingelt im Zimmer von Alfred Naujocks das Telefon. Die Stimme am anderen Ende der Leitung sagt bloss: «Grossmuter gestorben.» Der 27-Jährige legt auf, er weiss: Der Einsatz geht los.

Naujocks ist Offizier des Sicherheitsdienstes (SD) und damit eine Art Geheimagent der NSDAP. Der 27-Jährige trommelt seine Einsatzgruppe zusammen: fünf oder sechs Männer der SS. Sie fahren zum Sender Gleiwitz – einem Funkturm, der das Signal des Reichsenders Breslau ausstrahlt.

Zwei Polizisten bewachen den Eingang. Sie wissen Bescheid, lassen die Gruppe gewähren. Vom Pförtner ist keine Spur zu sehen. Im Sender stösst die Truppe auf vier Personen, die überwältigt und eingesperrt werden.

Ein Schauspieler als Alfred Naujocks im DDR-Film «Der Fall Gleiwitz» von 1961.
Ein Schauspieler als Alfred Naujocks im DDR-Film «Der Fall Gleiwitz» von 1961.
Bild: DEFA

Der Fernmeldetechniker im SS-Kommando unterbricht nicht ohne Mühe das Programm aus Breslau, und die Männer senden eine Botschaft, der die Polen zum Aufstand aufruft. Die kurze Nachricht wird wiederholt und insgesamt etwa vier Minuten lang ausgestrahlt – nicht nur auf Polnisch, sondern notabene auch auf Deutsch.

Die Nazis deponieren in dieser Szene schliesslich noch den Körper eines 41-jährigen Vertreters aus der Gegend, den die Gestapo als polenfreundlich ausgemacht und am Vortag verschleppt hat. Dann rauscht die Truppe von SS-Sturmbannführer Naujocks ab.

«Unerhörter Bandenüberfall»

Schlesien ist in diesen Tagen ein schmachvoller, schmerzhafter Dorn in Deutschlands Fleisch: 1922 gehen hier nach Abstimmungen wichtige Industriegebiete verloren, die der Zweiten polnischen Republik zufallen. Noch 1921, drei Jahre nach dem Waffenstillstand von 1918, schiessen Polen und Deutsche in Schlesien aufeinander.

Nach dem Verlust schlägt die Stunde der Revanchisten und spätestens nachdem Hitler 1938 die Sudetendeutschen «heim ins Reich» geholt hat, ist das Kohlerevier an der Grenze an jenem 31. August ein nationalistisches Pulverfass. Kein Wunder also, dass die deutsche Presse wegen der scheinbaren Polen-Attacke schäumt.

Von wegen «Gegenangriff»: Der «Völische Beobachter» vom 2. September 1939.
Von wegen «Gegenangriff»: Der «Völische Beobachter» vom 2. September 1939.
Bild:  Gemeinfrei

Noch am Abend berichtet der Reichsrundfunk über den vermeintlichen Angriff auf den Sender in Gleiwitz, bei dem die Polizei einen der Täter erschossen habe – deshalb nahm das Team die Leiche des 41-Jährigen mit.  Zeitungen wie das NSDAP-Blatt «Völkischer Beobachter» wüten wegen des «unerhörten Bandenüberfalls» einer «polnischen Meute» und sehen bereits die «Kriegsfackel» brennen.

Pulverfass Oberschlesien

Die Kommandoaktion in Gleiwitz war nicht die einzige der «Operation Tannenberg». Im Grenzort Pitschen (heute Byczyna) fingieren SS-Leute den Überfall eines Forsthauses, bei Rybnik täuschen sie den Angriff auf einen Grenzposten vor.

Filmaufnahmen von British Pathé von 1939.

Die Aktionen sollen Adolf Hitler eine Legitimation verleihen für das, was eigentlich von langer Hand geplant ist: der Überfall auf Polen, den der Diktator in seiner berüchtigten Rede am 1. September vor dem deutschen Reichstag verkündet.

«Diese Vorgänge [polnischer Überfälle] haben sich nun heute Nacht abermals wiederholt», schnaubt Hitler, seine Worte werden auch im Radio übertragen. «Nachdem schon neulich in einer einzigen Nacht 21 Grenzzwischenfälle waren, sind es heute Nacht 14 gewesen, darunter drei ganz schwere.»

Zurückschiessen? Nicht erst seit 5.45 Uhr

Es ist seine Politik, die Deutschland direkt und ganz bewusst in den Abgrund des Zweiten Weltkrieges steuert. Doch der Österreicher sagt: «Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen. Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten.»

So berichtete das US-TV 1939 über den Polen-Feldzug.

Das Wort «Krieg» vermeidet Hitler – und tatsächlich schiesst die Wehrmacht schon seit 4.45 Uhr zurück. Der «Volksdeutsche Selbstschutz» ist auf den Konflikt eingestellt: Im «Sonderfahndungsbuch Polen» stehen bereits 61'000 Namen von Intelletuellen, Lehrern und polnischen Nationalisten, von denen die meisten in den folgenden Tagen ermordet werden.

Deutschlands dunkelste Stunden sind eingeläutet. Den Führer kümmert das nicht. Zehn Tage zuvor hat er vor Offizieren gesagt: «Die Glaubwürdigkeit ist gleichgültig, im Sieg liegt das Recht.»

Das Ende der Geschichte ist bekannt.

Der Untergang der USS Hornet

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